Wache heute Morgen erst um 7.30 Uhr auf. Körper und Biorhythmus scheinen sich allmählich an den Urlaub zu gewöhnen. Koche Kaffee, setzte mich auf den Balkon und begrüße den Tag. Der Tag grüßt zurück.
Muss eigentlich noch zwei bis drei Arbeits-Emails schreiben, die ich letzte Woche nicht mehr geschafft habe. Das macht man im Urlaub natürlich nur äußerst ungern. (Ersetzen Sie „macht man äußerst ungern“ durch „macht man so gerne wie eine Koloskopie ohne Betäubung“, dann erahnen sie meine gegenwärtige Gefühlslage.) Das Problem sind ja eigentlich nicht die zu schreibenden Mails, sondern die Antworten, die zu erwarten sind und die weitere Arbeit nach sich ziehen.
Die Internet-Verbindung erweist sich aber als äußerst instabil. Sehe das als Zeichen, und beschließe, das Email-Schreiben auf später zu verschieben. Vielleicht auf in so sieben bis zehn Tagen.
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Nach und nach stehen alle Familienmitglieder. Bei morgendlichem Lichte betrachtet, stellen die Frau und ich fest, dass die Kinder nach zwei Tagen am Strand eine sehr frische Gesichtsfarbe haben. Leicht ins Rötliche spielend. Aber nicht von der Sorte „Zarte Morgenröte“, sondern eher Signalrot. „Keine Durchfahrt!“, „Zutritt verboten!“, „Gefahr im Verzug!“ Von der Sorte „Was sind das eigentlich für Eltern, die ihre Kinder nicht ordentlich eincremen, da sollte man besser mal das Jugendamt informieren.“
Die Frau hat es am Rücken erwischt. Er ist rot und schmerzt. Mangelnde Vorbräune, nachlässige Applikation von Sonnencreme, zu lange in der Sonne und so weiter. Sie wissen schon.
Nur ich bin bisher verschont geblieben. Obwohl die Frau behauptet, ich hätte Sonnenbrand auf der Kopfhaut. Das würde da so rötlich schimmern. Sie sagt das aber nur, um das Gerücht in die Welt zu setzen, ich hätte schütteres Haupthaar. Das stimmt aber nicht. Im Gegenteil, mein Haupthaar ist sehr dicht. Möglicherweise nur nicht an allen Stellen gleichermaßen. (Die Frau hat übrigens viel mehr graue Haare als ich. Das aber nur am Rande.)
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Mein Plan für den heutigen Strandtag ist ganz einfach: Entspannen und Nichtstun. Rein gar nichts machen. Aber so was von gar nichts. An nichts denken, sich nicht bewegen und Gott einen guten Mann sein lassen. (Wobei ich ihn zuhause im Alltag auch nicht über Maßen beanspruche mit Wünschen, Sorgen oder Anfeindungen. Wir leben gewissermaßen in friedlicher Co-Ignoranz nebeneinander her.)
Bevor ich mit dem Nichtstun anfangen kann, steht aber noch die obligatorische Bestellung beim Strandbar-Kellner an, damit wir mit gutem Gewissen auf den Strandliegen rumlümmeln können. Ordere Cappuccino für mich und drei Frappés für den Rest der Familie. (Wenn das Jugendamt ohnehin schon wegen des fahrlässig nachlässigen Sonnencremeauftragens kommt, können die Kinder auch gleich koffeinhaltige Getränke zu sich nehmen. Das macht dann auch nichts mehr.)
Als die Getränke gebracht und Frau samt Kindern ins Wasser gegangen ist, will ich mit dem Abschalten beginnen. Das ist gar nicht so einfach. Versuchen Sie mal, an nichts zu denken. Sofort denkt man nämlich an ganz viel. Zum Beispiel daran, dass man vor dem Urlaub das Memo nicht mehr abgeschickt hat, dass die Kinderzimmer noch in den Schulferien renoviert werden müssen und dass man schon lange nicht mehr bei der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung war. (Der mit Abstand unschönste Gedanke beim An-Nichts-Denken.)
Irgendwann drifte ich doch ins Reich der Träume ab. Fast. Denn da spricht mich ein srilankischer fliegender Händler an und präsentiert mir eine große Auswahl an modisch äußerst fragwürdigen Sonnenbrillen. Erkläre ihm, ich hätte kein Interesse. Zu seinem Bedauern auch nicht an den Kopftüchern, Armbändern und Fußkettchen, die er ebenfalls feilbietet.
Kurz nachdem der Händler verschwunden ist, wird mein Entspannungsprozess erneut unterbrochen. Eine thailändische Frau von nicht mehr ganz jugendlichem Aussehen zeigt mir einen Flyer und offeriert mir eine Massage. Ich schüttle den Kopf. Sie erklärt, es sei „a very good massage“. Verstärke mein Kopfschütteln. Die Masseurin insistiert, es sei „really a very, very good massage“. Mein Kopfschütteln nimmt schleudertraumatische Ausmaße an. Endlich sieht sie ein, dass mit mir kein Geschäft zu machen ist und geht.
Fange an, meine hart erkämpfte Ruhe zu genießen, als die Tochter aus dem Wasser kommt. Als sie sich abgetrocknet, umgezogen und frisch eingecremt (sic!) hat, möchte sie sich unterhalten. Eigentlich ist das ja ganz schön. Man weiß bei präpubertierenden Kindern ja nie, wie lange sie überhaupt noch mit einem reden wollen, bevor die gesamte Kommunikation nur noch mittels beleidigten Gesichtsausdrücken, Achselzucken und Augenrollen bestritten wird. Trotzdem würde ich jetzt gerne ein wenig schlafen. Die Tochter ist nach einigen Minuten von meinen einsilbigen „Hmms“ genervt und liest lieber ein Buch.
Noch mehr lustige Strandschilder.
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Habe kaum die Augen geschlossen, als ein Mann einen kleinen Tisch neben meiner Liege aufbaut und mit lauten Rufen Maiskolben zum Verkauf anbietet. In kurzer Zeit bildet sich eine Traube hungriger Menschen um ihn, die alle Maiskolben erwerben wollen. Dies tun sie aber nicht vornehm schweigend, sondern veranstalten dabei einen Heidenlärm, der das Einnicken erheblich erschwert, um nicht zu sagen, unmöglich macht. Überlege gerade, die ganze Kiste Maiskolben zu kaufen, um den Spuk zu beenden, als der Mann seinen provisorischen Stand zusammenpackt und weiter zieht.
Endlich Ruhe, denke ich. Denke ich irrigerweise. Denn nun führt auf den Liegestühlen hinter mir ein adoleszenter Knabe seinen aknigen Kumpels die Klangqualität seines Handys vor, indem er miesen griechischen Gangster-Rap abspielt. Bin kurz davor, die Flugeigenschaften des Telefons zu testen, indem ich es mit Schwung ins Meer werfe.
Da kommen die Kinder und sagen, sie gingen Eis holen und wollen wissen, ob sie mir etwas mitbringen sollen. Bejahe ihre Frage. Man muss dieses Konzept des Nichtstun ja nicht sklavisch, buchstabengetreu bis zum Schluss durchziehen. Vor allem, wenn es ums Eis essen geht. Da muss man auch mal flexibel sein. Man hat ja schließlich Urlaub. Nach dem Verzehr des großen Schokoeis samt Waffel muss mein Körper sämtliche Energie für metabolische und digestive Prozesse aufbringen. Mich überfällt endgültig eine bleierne Müdigkeit.
Da taucht aber der vormalige Sonnenbrillen-Mann wieder auf. Er hat sich zwischenzeitlich in einen Turnschuh-Mann verwandelt und hält mir ein Paar Adidas-Treter vors Gesicht. Ich knurre etwas Ablehnendes. Anscheinend fordert dies seinen Verkäuferehrgeiz heraus und er zeigt mir ein Paar Nike-Sneakers. Mache eine unwirsche Handbewegung, mit der ich ihm bedeute, er solle verschwinden. Geradezu kolonialistisch-herrisch. Eigentlich gar nicht meine Art. Aber auch der weltoffenste, toleranteste und liberalste Mensch gerät an seine Grenzen, wenn er nicht seine Ruhe bekommt.
Der letzte Mensch, der in Griechenland so richtig entspannen konnte, war wahrscheinlich Diogenes. Der hatte seine Tonne und seine Ruhe. Er muss ein glücklicher Mann gewesen sein. Ich dagegen habe eine Sonnenliege und werde nun vom Strandbar-DJ terrorisiert, der eine Acid-Jazz inspirierte Trance-Musik auflegt und den Lautstärke-Regler bis zum Anschlag aufdreht. In mir weckt dies den Wunsch, mit seinem Kopf über den Plattenteller zu scratchen. Stelle fest, dass dieses Entspannen ganz schön aggressiv machen kann.
Bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, kommen Frau und Kinder aus dem Wasser und wollen zurück zur Ferienwohnung. Auf dem Heimweg sagt die Frau, sie sei vom langen Baden und der vielen Sonne ganz erschöpft und müsse sich zuhause erstmal hinlegen. Da ich mich den ganzen Tag ausgeruht hätte, würde es mir doch sicherlich nichts ausmachen, alleine einkaufen zu gehen.
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Zum Abendessen gibt es Gnocci mit selbstgemachter Tomatensauce. Eigentlich nicht wirklich ein landestypisches Gericht. Da alle Zutaten aber in einem griechischen Supermarkt gekauft wurden, irgendwie doch.
Abendmahl. Es muss nicht immer Griechisch sein.
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Bei der abendlichen Spielrunde gewinnt die Frau die Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie. Weil sie aber eine bekannte Serienschummlerin ist – quasi das Russland unter den Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielerinnen –, gehört sie von vornherein disqualifiziert. Der Sohn wird Zweiter, ist aber noch minderjährig und läuft somit außer Konkurrenz. Daher wird der Drittplatzierte – das bin zufällig ich – zum Gewinner erklärt. Allerdings schließen sich die anderen Familienmitglieder dieser Regelauslegung nicht an. (Sie wissen ja, der Erfolg, die Neider etc. pp.).
Das anschließende Kniffel-Spiel gewinnt der Sohn, ich werde Letzter. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Tochter die Punkte addiert hat und Sie wissen ja, dass es die heutige Jugend nicht mehr so mit dem Kopfrechnen und dem schriftlichen Addieren hat. Es wird mir allerdings nicht gestattet, das Ergebnis mit einem Taschenrechner zu kontrollieren. Somit kann das Spiel leider nicht offiziell gewertet werden.
Zum Abschluss spielen wir noch eine Runde „Stadt, Land, Fluss“ und ich fahre einen glorreichen Sieg ein. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich bei einem Spiel, wo es um Wissen, Geschwindigkeit und Kreativität und nicht nur um das Glück der Würfel geht. Die Mitspieler freuen sich übrigens nicht, wenn man ihnen das in genau diesen Worten mitteilt. Das sollten Sie sich merken, falls Sie mal in eine ähnliche Situation kommen.
Gute Nacht!
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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Köstlich…wirklich. Das mit den nervigen Strand-Verkäufern kenne ich noch aus Barcelona…die sind so nervig wie Schmeißfliegen. Und ebenso anhänglich (obwohl es eigentlich gegen meine Moral ist Menschen als Schmeißfliegen zu bezeichnen…).
Danke, dass du uns so mitnimmst, so krieg ich auch zu Hause etwas Urlaubsfeeling. :-)
Die Strand-Verkäufer nerven zwar, aber irgendwie tun sie einem auch ein wenig leid. Während wir uns in der Sonne aalen können, müssen sie versuchen ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer (zugegebenermaßen ramschigen) Ware hinbekommen.
Freut mich aber, dass dir der Urlaubsblog gefällt.
gback: Griechenland 2016 – Tag 5: Von fehlenden fluffigen Brötchen, unschönen Taucherlebnissen und hochwertigen Souvenirs | Familienbetrieb