Dass ich dieses Jahr so gut wie gar nichts gebloggt habe, ist ja kein Zustand. Kein Urlaubsblog, kein Gespräch mit dem Tod, kein Garnichts. Daher kurz vor Schluss ein retrospektiver Krankenhaus-Blog. Quasi wie Urlaub, nur ohne Urlaub.
Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
Tag 2: Don’t go breaking her heart
Tag 3: Her heart will go on
Tag 4: Every beat of her heart
Freitag, 7.20 Uhr. Ich schicke den Kindern nach dem Aufstehen einen Guten-Morgen-Gruß, auf den sie nicht reagieren. Also alles im grünen Bereich Zuhause. Anschließend gehe ich zum Frühstücksraum. Wie im Foyer wurde hier viel Marmorimitat verbaut – vielleicht gab es da ein Sonderangebot – und es gibt die gleichen Messinglampen und samtbezogenen Zebra-Stühlen.
Auf den Tischen stehen große Thermoskannen mit Kaffee und kleine Tischmülleimer. Bei meinem Klassenkameraden Olaf gab es auch immer diese kleinen Tischmülleimer. Das übte als Kind eine eigenartige Faszination auf mich aus. Einerseits fand ich das ein bisschen abstoßend. Wer will schon im Angesicht eines Mülleimers frühstücken? Andererseits war es praktisch, um den eigenen Tellerrand von Eierschalen, Käserinden und Wurstpellen freizuhalten. Tischmülleimer sind eigentlich wie Darmspiegelungen. Eklig, aber gleichzeitig nützlich.
Der Hotelbesitzer flaniert durch den Frühstücksraum. Er ist Mitte 60, trägt schwarze Slipper mit kleinen Troddeln, blaue Jeans, ein weißes Polohemd sowie einen dunkelblauen zweireihigen Blazer mit goldenen Knöpfen. Seine Brille ist das gleiche Modell wie das seiner Frau: randlos mit blaugetönten Gläsern. Die beiden teilen nicht nur den gleichen Brillengeschmack – wobei mir das Wort Geschmack in diesem Zusammenhang etwas unpassend erscheint –, sondern seine rot-bräunliche, leicht ins Ledrige spielende Haut lässt vermuten, dass sie auch dem gleichen Hobby frönen: Die Mittagspause unter der Sonnenbank verbringen. Bei jedem Gast erkundigt er sich nach dem Wohlbefinden und hält einen kleinen Plausch.
Da mir nicht nach morgendlichem Small-Talk ist, widme ich mich lieber dem reichhaltigen Frühstücksbuffet. Das hat diverse Müslis und Cornflakes, frischen Obstsalat – d. h. Obstsalat, der heute Morgen frisch aus der Dose geholt wurde –, Käse- und Wurstplatten sowie Brot und Brötchen in großer Auswahl zu bieten. Außerdem gibt es Eier in verschiedenen Aggregatszuständen, Bacon, gebratene Würstchen ebenso wie süße Teilchen, Waffeln und vieles mehr, was das Frühstücksherz begehrt und der Cholesterinspiegel fürchtet. Da mich das neue Hotel 100 Euro mehr kostet als meine vorherige Schlaf-Box, werde ich mir hier mein Geld zurückholen müssen.
Nach meinem ausgiebigen Frühstück gehe ich ins Krankenhaus. Der Kioskbesitzer schaut mir enttäuscht hinterher, als ich entgegen meiner üblichen Morgenroutine keinen Kaffee bei ihm hole. Es tut mir leid für ihn, aber auch ich habe meine Grenzen.
Auf der Intensivstation begrüßt mich meine Frau freudestrahlend. Sie habe heute Morgen eine halbe Scheibe Brot mit Butter gegessen. „Das ist toll“, erwidere ich und denke an das Müsli, das Rührei, die beiden Toast, die zwei Brötchen, den Käse, die Marmelade, das Nutella, den Obstquark, den Muffin und die Kanne Kaffee, die ich zum Frühstück hatte. Wir hatten also beide einen gelungenen kulinarischen Start in den Tag.
An der Bettkante habe sie auch kurz gesessen, berichtet meine Frau weiter, und die Krankengymnastin sei ein paar Schritte mit ihr gegangen. Somit hat meine Frau heute Morgen definitiv mehr Sport als ich gemacht.
Nachher werde sie außerdem auf die Normalstation verlegt, erzählt sie noch, als die Ärzte zur Visite erscheinen und die Besucherinnen und Besucher rausbitten. Angeblich wegen der Privatsphäre der Patientinnen und Patienten. Ich glaube, vor allem, weil Angehörige die Angewohnheit haben, nervige Fragen zu stellen, zusammengegoogeltes medizinisches Halbwissen zum Besten zu geben und die Diagnosen von Menschen anzuzweifeln, die zwölf Semester Medizin studiert haben und über mehr als zehn Jahren Berufserfahrung verfügen.
Ich gehe in den Eltern-Aufenthaltsraum neben der Intensivstation. Dort sitzen zwei Mütter und unterhalten sich über die Krankheitsgeschichten ihrer Kinder. Über Kopf-OPs, Reanimationen, allergische Schocks und andere unschöne Dinge. Um nicht den Eindruck zu erwecken, sie zu belauschen – und um mich nicht an der Unterhaltung beteiligen zu müssen –, blättere ich in einer der Lesezirkel-Klatschzeitschriften, die auf dem kleinen Beistelltisch ausliegen.
Das Magazin heißt „Closer“ und bis eben wusste ich nichts von der Existenz einer solchen Zeitschrift. Das passt ganz gut zum Inhalt, denn von der Existenz der meisten „Promis“ (*macht mehrere Air-Quotes in der Luft*), über die berichtet wird, wusste ich bis gerade auch nichts.
Irgendwie kommt es mir unpassend, fast schon obszön vor, dass an diesem Ort, wo verzweifelte Eltern sitzen, die hilflos und ohnmächtig um ihre Kinder bangen, Zeitschriften ausliegen, die mit Artikeln über Schönheits-OPs, Alkoholeskapaden oder sonstigen Alltags-Unwichtigkeiten irgendwelcher Stars und Sternchen gefüllt sind. Als ich das später meiner Frau erzähle, meint sie aber, dass die Eltern mit ihrem ganzen Leid, ihrer Angst und ihren Sorgen auch mal Ablenkung bräuchten und dafür seien die Banalitäten und Trivialitäten der Schein- und Möchtegern-Promis vielleicht gerade richtig.
Wahrscheinlich hat sie recht. Sollten Sie also gerade vom Schicksal gebeutelt sein, helfen Ihnen möglicherweise die folgenden Informationen:
- Lena Gehrke und ihr neuer Lover suchen eine Wohnung in Berlin.
- Barbara Schöneberger muss sich krankhafter Fan-Liebe erwehren.
- Sophia Vegas – wer auch immer das ist – ist nach der Geburt ihrer Tochter besessen davon, dünn zu sein.
- Cathy Hummels führt nicht das Leben, das sie sich wünscht.
- Florian Silbereisen sagt ja zum Flirten, aber nein zum Verlieben. (Möglicherweise sagt das Verlieben auch nein zu Florian Silbereisen, aber darüber steht nichts in dem Heft.)
- Heidi Klum wird von einem Erotik-Sternchen ausgenutzt. (Nein, nicht Bill Kaulitz)
- Bei Evelyn Budecki – I have no idea – gab es nach der letzten „Let’s dance“-Folge ein Tränen-Drama.
(Für die Richtigkeit und den Wahrheitsgehalt der Informationen kann keine Gewähr übernommen werden.)
Alle Folgen des Krankenhaus-Blogs:
- Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
- Tag 2: Don’t go breaking her heart
- Tag 3: Her heart will go on
- Tag 4: Every beat of her heart
- Tag 5: Tock! Goes her heart
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Die Überschriften sind toll, ich hab jeden Tag einen anderen Ohrwurm.
Was ich mich aus User der ITS auch schon gefragt habe: warum gibt es da keine Patiententoilette?
Normalstation ist ein schönes Wort. Wir dürfen dann als nächstes die Superstation erwarten, wenn alles gut läuft.
BOMMEL😍
Alles Gute für deine Frau 🌟💐 Ich werde jetzt mal bei deinem Blog ganz vorne anfangen zu lesen 🤓