Als ich ins Zimmer meiner Frau zurückkomme, ist ihr Umzug auf die Normalstation im vollen Gange. Ein Arzt und eine Krankenschwester holen sie ab. Unterwegs blättert der Arzt in der Patientinnenakte und erkundigt sich nach dem Doktortitel meiner Frau.
In den letzten Tagen war mir bereits aufgefallen, dass sich die Ärztinnen und Ärzte dafür sehr und mit sichtbarer Nervosität interessieren. Sie reagieren dann immer erleichtert, wenn sie erfahren, dass meine Frau promovierte Historikerin und keine Medizinerin ist, die alles besser weiß und sich an keine ärztliche Anordnung hält.
Meine Frau liegt nun wieder auf der Kinderstation, auf der sie die erste Nacht verbracht hat. Es ist nicht einmal vier Tage her, dass sie die Station verlassen hatte und in den OP gebracht wurde. Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Die Zimmernachbarin meiner Frau ist ein Mädchen von 15 oder 16 Jahren. Damit ist sie jung genug, dass ihre Mutter mit in dem Zimmer übernachten darf. Diese ist gerade dabei, ihr Klappbett in einer Ecke zu verstauen. Die Mutter und das Mädchen begrüßen uns kurz.
Dem Mädchen scheint es, abgesehen von ihrem wie auch immer gearteten Herzfehler, recht gut zu gehen. Sie sitzt auf ihrem Bett und wie bei einem ganz normalen Teenager ist ihre Hand eine symbiotische Verbindung mit ihrem Handy eingegangen. Ihr Blick ist starr auf das Display gerichtet.
Ich mache erstmal den Zivi-Butler und räume den Schrank meiner Frau ein. Außerdem lege ich Handy und Tablet auf dem Nachtschrank bereit, damit sie wieder Zugang zur Außenwelt hat. Die dazugehörigen Ladegeräte stöpsle ich in die Steckdosen über dem Kopfende des Bettes ein. (Spoiler: Dort werden wir sie in einer Woche vergessen, wenn ich meine Frau abhole.)
Vom Stationswechsel erschöpft, schläft meine Frau erst einmal eine Runde. Ich hole mir in der Zwischenzeit im Kiosk etwas zu Essen. Schließlich ist das Frühstück erst vier Stunden her und ich möchte meinen Magen nicht vom Völlegefühl entwöhnen.
Heute setze ich mich nicht zum Mittagessen in den Lichthof, sondern schlendere durch die Gänge des Krankenhauses. Zu einem gesunden Lebensstil gehört ja nicht nur eine ausgewogene Ernährung, sondern auch ausreichend Bewegung. Dementsprechend sollte ich in der Mittagspause einen Ultra-Marathon laufen.
Neben der Bibliothek gerate ich in einen Stehempfang der Zahnärztekammer Niedersachsen. Die sponsert das 17. Herbstsymposium für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zu dem spannenden Thema „Das dentoalveoläre Trauma – eine interdisziplinäre Herausforderung“. Wie es sich für ein ordentliches Symposium gehört, gibt es ein Buffet mit Fingerfood, Kuchen, Kaffee und kalten Getränken. Auch alkoholischen. Möglicherweise sind die Organisatoren von der Attraktivität ihres eigenen Angebots nicht ganz überzeugt und wollen durch billigen und schlecht temperierten Rot- und Weißwein den Unterhaltungsfaktor der nachmittäglichen Vorträge steigern.
In den letzten Tagen habe ich in der Klinik unzählige Ankündigungen für solche Symposien und Veranstaltungen gesehen. „Praxis neu denken – Inspiration für Leitungskräfte in Gesundheitseinrichtungen“, „Gewichtsreduktion durch Hypnose“, „Infektiologisches Quiz“ oder „Irre war gestern – Pflegetag des Zentrums für seelische Gesundheit“, um nur einige zu nennen. Und immer schön mit Häppchen und Getränken. Da hätte ich mich die ganze Woche durchfuttern und eine Menge Geld sparen können. Alles was es gebraucht hätte, wären ein wenig Chuzpe, ein schlecht sitzender Anzug und ein paar auf Wikipedia angelesene Fachvokabeln für den Small Talk. Warum kommen einem die besten Ideen immer erst im Nachhinein?
Als ich aus der Mittagspause zurückkomme, ist meine Frau wach. Sie muss auf Toilette. Für Sie ist das ein – hoffentlich – ganz normaler Vorgang, für meine Frau aber etwas Besonderes. Ihren Katheter ist sie seit zwei Tagen los, aber auf der Intensivstation musste sie immer die würdelose und koordinativ gar nicht so einfache Bettpfannen-Prozedur auf sich nehmen, wenn sie musste.
Nun kann sie selbst auf Toilette gehen. Das erste Mal seit der OP. Vor drei Tagen war ihr Herz noch für mehrere Stunden abgeknipst und sie hing an der Herz-Lungen-Maschine und jetzt läuft sie schon wieder. Also, sie springt nicht gerade wie ein junges Reh durch das Zimmer, aber ich muss sie mir auch nicht über die Schulter werfen und zum Badezimmer tragen. (Das würden die Ärzte bestimmt auch nicht so gerne sehen. Von wegen frischer OP-Narbe, zu schonendem Brustkorb und so.)
Meine Frau ist noch ein wenig wackelig auf den Beinen. Ich gehe neben ihr, hake sie leicht unter und schiebe ihren Infusionsständer. Am Badezimmer angekommen, beschließe wir, dass sie alleine aufs Klo geht. Schließlich wollen wir uns den Zauber und die Erotik unserer Ehe noch ein wenig bewahren.
Ich warte aber vor der Tür, falls etwas passieren sollte. Vielleicht sollte ich mal klopfen, damit sie sich ein wenig heimisch fühlt. Wenn bei uns Zuhause die Oberschenkel die Klobrille nur für den Bruchteil einer Sekunde berühren, bollert sofort eines der Kinder gegen die Tür und gebietet Einlass, weil es super, super dringend muss. So will es das Gesetz!
Alle Folgen des Krankenhaus-Blogs:
- Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
- Tag 2: Don’t go breaking her heart
- Tag 3: Her heart will go on
- Tag 4: Every beat of her heart
- Tag 5: Tock! Goes her heart
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)