Am Nachmittag muss meine Frau zum Ultraschall. Gemeinsam gehe ich mit ihr über den Gang zum Untersuchungszimmer. Dort, wo Ernie und Bert an der Wand hängen und wo am Montag mehrere Ärztinnen versucht hatten, bei meiner Frau Blut abzunehmen. Ist das erst fünf Tage her?
Ein Arzt erwartet uns bereits. Anscheinend hat der 20-Meter-Weg von ihrem Zimmer bis in den Untersuchungsraum doch ein wenig länger gedauert. Ernie und Bert begrüßen uns freudestrahlend von der Wand und der Arzt beginnt mit der Prozedur. Gekonnt fährt er mit seiner rechten Hand den Ultraschallkopf über den Brustkorb meiner Frau, während er mit der linken Hand einen kleinen Ball auf dem Ultraschall-Gerät bewegt und irgendwelche Linien auf dem Bildschirm nachzeichnet. Ich bin voller Bewunderung. Als ich mal versucht habe mit links die Maus zu bewegen, schoss der Cursor über den Monitor wie ein Chinchilla auf Koks.
Der Herzschlag meiner Frau klingt heute ganz anders als noch Anfang der Woche. Da war es durch die durchlässige Herzklappe so eine Art Rauschen, jetzt hört es sich durch die mechanische Herzklappe wie das Tock eines sehr langsamen Metronoms an. Hätte sie eine Schweine-Klappe bekommen, würden wir jetzt vielleicht ein Grunzen hören. Der Arzt ist mit dem Herzschlag sehr zufrieden und daher behalte ich meine Grunz-Vermutung, lieber für mich.
Nach der Ultraschall-Untersuchung hole ich für meine Frau aus dem Essenswagen in der Patientenküche das Abendbrot. Sie wundert sich ein wenig, dass sie schon wieder ganz viel Blutwurstaufschnitt auf dem Teller hat. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich das vorgestern bei der Essensliste angekreuzt habe, gebe mich aber ahnungslos. Meine Frau isst eine ganze Scheibe Brot mit Butter, ich erbarme mich der Blutwurst.
Kurz nach 20 Uhr verlasse ich das Krankenhaus und gehe in mein 80er-Jahre-Zeitreise-Hotel. Dort erwarten mich zu meiner Enttäuschung nicht Thekla-Carola-Wied und Peter Weck an der Rezeption und zu meiner noch größeren Enttäuschung auch nicht das Meerschweinchen Bommel. (Die Älteren erinnern sich.)
Dafür steht an der Hotelbar neben dem Empfang eine Gruppe von Versicherungsvertretern. Zumindest vermute ich das. Heute Morgen hatte ich gesehen, dass einer der Seminarräume des Hotels für ein Versicherungsunternehmen reserviert war, und die Männer reden alle etwas zu laut, lachen etwas zu dröhnend und sind etwas zu jovial, so dass die Schlussfolgerung Vertreter nahe liegt.
Einer der Männer wittert bei mir eine veritable Versicherungslücke, die er zu schließen gedenkt. Mit Provisions-Eurozeichen in den Augen fragt er mich, ob ich nicht einen mittrinken möchte. („Die Firma zahlt! HAHAHAHA!“). Auf der Liste meiner liebsten Abendbeschäftigungen steht „an der Hotelbar mit Versicherungsvertretern trinken“ zwischen „Zahnwurzelbehandlung“ und „sich einen stumpfen Löffel in den Oberschenkel bohren“. Mit der gebotenen Höflichkeit lehne ich ab und murmle etwas von einem langen Tag und dass ich früh ins Bett ginge.
Auf meinem Zimmer telefoniere ich mit den Kindern. Sie hätten heute früh verschlafen, erzählt der Sohn. Obwohl sie erst kurz nach sieben aufgewacht seien, also knapp fünf Minuten bevor sie normalerweise das Haus verlassen, hätten sie es aber noch pünktlich zur Schule geschafft, erklärt er mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. Vermutlich ging das nur durch Verzicht auf die Körper- und Zahnhygiene, aber so lange die beiden nicht im Schlafanzug in der Schule erschienen sind, soll mir das egal sein.
Die Tochter berichtet, sie hätten Pizza zum Abendessen gehabt. Aber keine Tiefkühl-Pizza oder vom Lieferdienst, sondern selbst gemacht. Mit eigenem Hefe-Teig, eigener Tomatensauce und allem, was dazu gehört. Ich freue mich, wie selbstständig die beiden sind, die Bilder, wie die Küche jetzt wohl aussieht, verdränge ich.
Anschließend rufe ich bei meiner Schwiegermutter und meinen Eltern an und erstatte in der Geschwister-WhatsApp-Gruppe Bericht. Diese ganze Informiererei ist auf Dauer ziemlich anstrengend. Vielleicht sollte ich einen YouTube-Kanal einrichten, auf dem ich jeden Abend das neueste ärztliche Bulletin vortrage. Oder rappe, um auch die junge Zielgruppe abzuholen. „Dr. C. is in da house!“ Das fetzt bestimmt total! (Und schon ist die junge Zielgruppe wieder weg.)
Kurze Zeit später gehe ich ins Bett und schlafe ziemlich schnell ein. Im Traum sitze ich im Aufenthaltsraum der Intensivstation, der voll mit Stars und Sternchen ist. Barbara Schöneberger erzählt von ihrem Stalker, Cathy Hummels beklagt sich über ihr Leben („Was für 1 Life!“) und Florian Silbereisen versucht, mit ihnen zu flirten, aber sie schütteln beide den Kopf. Eine fremde Frau fragt mich, ob ich ein Autogramm möchte. Es ist Evelyn Budecki. Ich lehne ab und esse eine Scheibe Blutwurst.
Viel Spaß beim Traumdeuten und gute Nacht!
Alle Teile des Krankenhaus-Blogs finden Sie hier:
- Tag 1: Ein kaputtes Herz muss man reparieren
- Tag 2: Don’t go breaking her heart
- Tag 3: Her heart will go on
- Tag 4: Every beat of her heart
- Tag 5: Tock! Goes her heart
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Lieber Herr Hanne,
es freut mich sehr zu lesen, dass Ihre Frau die OP gut überstanden hat und auf dem Weg der Besserung ist.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie schöne Festtage und eine besinnliche, erholsame Zeit.
Ihr Blog bereitet mir sehr viel Freude und ich möchte mich herzlich dafür bedanken.
In der Hoffnung noch viel von Ihnen zu lesen (vielleicht dann doch auch mal wieder von Ihrem Freund dem Tod).
Viele Grüße
Matthias