Wache morgens auf und bemerke, dass mir im Bett ungefähr fünfzehn Zentimeter Platz am äußersten Rand zur Verfügung stehen. Rekonstruiere, dass zuerst der Sohn und dann die Tochter uns einen Besuch abstatteten. Beide beschlossen einfach über Nacht zu bleiben. Aber im Urlaub will man das ja nicht so eng sehen. Zumindest nicht so eng, wie es im Bett war.
Stellen nach dem Aufstehen fest, dass wir vergessen haben, Kaffeefilter mitzubringen und es auch keine Reste von Vormietern gibt. Dies löst bei den Erwachsenen eine leichte bis mittelgroße Panik aus. Erkläre mich daher gemeinsam mit dem Bonner Freund selbstlos bereit, zum nächsten Supermarkt zu fahren, um den Mangel an Kaffeefiltern zu beseitigen und auch andere Einkäufe zu erledigen.
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Unseren ersten Halt legen wir aber bei der örtlichen Bäckerei ein, wo ich meine ‚French Challenge‘ für den Tag absolvieren will. Allerdings kommt mir der Bonner Freund zuvor und gibt sehr souverän die Bestellung auf. Kann erst einschreiten, als die Bäckersfrau nach den falschen Baguettes greift. Mache mich mit einem elaborierten: „Non! Un moment, Madame.“ Bemerkbar. Mit einem rhetorisch etwas unbeholfenen „Les!“ zeige ich auf die Weißbrotstangen unserer Wahl. Die Verkäuferin schaut den Bonner Freund mitfühlend an und bringt mit einem empathischen Lächeln ihre Bewunderung zum Ausdruck, dass er mit seinem offensichtlich minderbemittelten Freund in den Urlaub fährt.
Anschließend besorgen wir im Supermarkt neben den ersehnten Kaffeefiltern Grillgut für den Abend sowie einige weitere Grundnahrungsmittel für die ersten Tage (Pudding, französischer Weichkäse, Bier und Wein). An der Kasse präsentiert die Verkäuferin uns einen von uns zu entrichtenden Gesamtbetrag in Höhe von zwei Tankfüllungen. Durchsuche unseren Berg Lebensmittel, ob wir unter Umständen aus Versehen ein paar Goldbarren in unseren Einkaufswagen gepackt haben. Haben wir aber nicht.
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Nach einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse des Ferienhauses bereiten wir uns auf den ersten Strandbesuch vor. Cremen dazu die Kinder mit einer Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50 ein. Begnüge mich selbst mit Lichtschutzfaktor 20.
Erinnere mich dabei daran, wie wir früher als Kinder mit einer Sonnenlotion der Marke Pizz Bruin gegen die Sonne geschützt wurden, die maximal Lichtschutzfaktor 5 hatte. Wahrscheinlich wäre die Verwendung von ranziger Kokosmilch ebenso effektiv gewesen. Das hätte einem zumindest die ökologisch bedenklichen Inhaltsstoffen der Sonnenmilch erspart, die heute größtenteils durch diverse EU-Richtlinien verboten sind beziehungsweise allenfalls noch von Gunther von Hagens zum Leichenplastinieren verwendet werden.
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Am Strand angekommen zeigen sich die Vorzüge unserer selbstaufbauenden Strandmuschel, die es uns ermöglicht, innerhalb kürzester Zeit unser Lager zu errichten. Der Bonner Freund präsentiert voller Stolz zwei Strandstühle, die er vor dem Urlaub erworben hat und in die wir uns nun wie zwei Rentner – und damit unserem geistigen Alter entsprechend – fläzen und auf das Meer starren.
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Das Wasser erstrahlt in strahlenden Blau, erweist sich aber als nicht besonders warm. Der Bonner Freund traut sich trotzdem hinein. Laut seiner Auskunft beträgt die Wassertemperatur ungefähr fünf Zentimeter (Männer wissen, wovon ich schreibe.).
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Verbringe dann längere Zeit damit, gemeinsam mit der dreijährigen Tochter unserer Freunde Olivenkuchen und Fantakuchen aus Sand zu backen. Bitte fragen Sie mich nicht nach dem Rezept. Es wurde mir auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht preisgegeben.
Ohnehin scheine ich nicht mit größerem Talent zum Sandkuchenbacken gesegnet zu sein. Muss mir nämlich mehrfach Sätze wie „So geht das nicht!“ oder „Das ist falsch!“ anhören.
“Du kannst das nicht!” Motivationssätze, die ich höre, wenn ich mit Dreijährigen Sandkuchen backe.
— Betriebsurlaub (@Betriebsfamilie) 3. August 2014
Überlege mir, ein Seminar zu entwickeln, bei dem junge Arbeitnehmer zum Start ins Berufsleben mit Kleinkindern Sandkuchen backen. Dies erscheint mir der beste Weg, um zu lernen, wie man sinnlose Aufgaben (Sand in ein kleines Förmchen füllen) ohne Murren durchführt und dabei lernt, mit Frustrationen und mangelnder Wertschätzung für die eigene Arbeit umzugehen („Du kannst das nicht!“).
Eine Geschäftsidee, die sich lohnt weiterzuverfolgen. Sie sollte außerdem den zukünftigen Reichtum garantieren, der es einem erlaubt, in der Bretagne ein Landhaus mit Meerblick zu erwerben.
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Schließlich wird es Zeit aufzubrechen. Nun stellt sich heraus, dass sich die Strandmuschel zwar schnell und quasi von alleine aufbaut, der Abbau derselbigen dagegen äußerst zeitintensiv und ein ingenieurwissenschaftliches Hochschulstudium voraussetzt. Für die übrigen Strandbesucher sehen unsere Einpackversuche wahrscheinlich aus, als übten wir eine Louis-de-Funès-Slapstick-Parodie ein.
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Zuhause angekommen bereiten der Bonner Freund und ich den Grill vor, um die heute Morgen erworbenen Putenbrüste und bretonischen Grillwürste in einen verzehrfähigen Zustand zu überführen. Streng genommen beschränkt sich mein Beitrag dabei auf die regelmäßige und konstante Zufuhr von kühlem Grillbier. Bin aber froh, dass ich mir zumindest nicht wieder Sätze wie „Du kannst das nicht!“ anhören muss.
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Beenden den Abend mit einer Kniffelrunde. Bei den Urlauben mit unseren Bonner Freunden ist es nämlich eine liebgewonnene und fast schon kultisch zelebrierte Tradition, dass abends, wenn die Kinder im Bett sind, gekniffelt wird. Mache dabei die Erfahrung, dass es nicht auf ungeteilte Zustimmung und Freude der Mitspieler stößt, wenn man drei Kniffel wirft und von insgesamt sechs Kniffelrunden vier gewinnt. Auch mein Vorschlag, morgen mit verbundenen Augen und einem Würfel weniger zu spielen, wird nicht als sympathisches Angebot, Chancengleichheit herzustellen, angenommen. Nun ja, Erfolg macht nun einmal einsam.
Gute Nacht!
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Wir haben unsere Strandmuschel erst 1-mal aus- und nach Stunden (!!!) wieder eingepackt. Seitdem wagen wir es nicht mehr, sie wieder auszupacken.
In diesem Sinne noch einen schönen Urlaub!
Wir wissen natürlich auch nicht mehr, wie wir es letztendlich geschafft haben, die Strandmuschel wieder einzupacken. Von daher dürfen sich die Strandbesucher in den nächsten Tagen auf weitere Schauspiele von uns freuen.
Ohja die Franzosen und ihre Blicke wenn man nicht den richtigen Aggsooh hat ;) Herrlich! Bin gespannt auf weitere Berichte… und hoffe das Meer erwärmt sich noch auf 6 – 7 cm ;) Liebe Grüße!
Richtig problematisch wird es, wenn der Aggsooh nicht stimmt und auch die Vokabeln fehlen :)
Ach was, die sind Dir nicht böse, wenn man das falsch spricht. Im Gegenteil.
Kauf keine Bratwürste in Frankreich. halte Dich in der Bretagne an Fisch.
Meine Erfahrung. Das Wetter wird ab dem ersten tag eher schlechter. Das Wasser kommt nie über 16 Grad. Damit muss man leben.
Ich bin gespannt auf weitere Berichte.
Die Franzosen sind vor allem nicht böse, wenn man Sachen nicht richtig ausspricht, wenn sie denken, man spricht eine ganz andere Sprache. Wetter hält sich am zweiten Tag noch auf hohem Niveau, die Wassertemperatur auf niedrigem.