Cassis 2022 – Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort

Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.

Kurz nach fünf. Wir werden aus dem Schlaf gerissen. Nicht vom Wecker, denn unser Zug fährt erst um urlaubsfreundliche 9.30 Uhr los. Sondern von einem Tauberich, der ebenso lautstark wie penetrant um Aufmerksamkeit gurrt. Ich wünschte, Taubenmännchen könnten Porsche fahren. Dann müssten sie nicht in aller Herrgottsfrühe rumblöken, um zu zeigen, was für tolle und horny Typen sie sind.

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Meine Frau und ich nutzen die gewonnene Zeit produktiv. Wir schmieren Sandwiches. Eine Menge Sandwiches. Schließlich sitzen wir heute gut zwölf Stunden im Zug und Teil unserer Reisegruppe ist ein dauerhungriger Teenager. (Sowie zwei Eltern, die auf Zugreisen das Fressverhalten ausgehungerter Pumas an den Tag legen.) Daher habe ich gestern zwei Laibe Toastbrot sowie Belag für vier Laibe gekauft. Dazu noch belgische Waffeln, Kekse, Chips, Nic-Nacs, Joghurt-Gums und Kaugummis. Heißt ja nicht umsonst, dass Zugluft hungrig macht.

Bevor wir aufbrechen, bringe ich den Müll runter. Vor ein paar Jahren hatten wir das mal vergessen. In unserer Abwesenheit entstand im Mülleimer eine neue Lebensform, die bei unserer Rückkehr kurz davor war, sich in der Küche auszubreiten und anschließend die gesamte Wohnung zu übernehmen.

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Bereits eine knappe Stunde, bevor unser Zug losfährt, sind wir am Bahnhof. Sogar der Sohn, der normalerweise am liebsten eine Minute vor Abfahrt des Zuges erscheinen würde, ist mit unserem großzügigen Zeitmanagement einverstanden. Die Umsteige-Zeit in Frankfurt liegt bei nicht gerade üppigen dreizehn Minuten. Da wäre es sehr ärgerlich, wenn das funktioniert, uns das aber nichts bringt, weil wir schon in Berlin den Zug verpasst haben.

Auf dem Bahnsteig tummeln sich unglaublich viele Menschen. Kurz befürchte ich, dass die alle in unserem Zug mitfahren wollen. Wollen sie aber nicht. Vorher fährt von dem Gleis ein ICE Richtung Köln/Düsseldorf ab und außerdem warten noch ziemlich viele Reisende auf ihren Zug nach München. Der hat eine Stunde Verspätung. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Nach und nach lichtet sich der Bahnsteig. Weil die Schwarmintelligenz von Menschen, die in Züge aus- und einsteigen, eher so mittel ist, dauert das alles länger als vorgesehen. So kommen wir fünf Minuten später los, als die Deutsche Bahn das vorhatte. Nun haben wir noch acht Minuten, um rechtzeitig in Frankfurt anzukommen. Fällt das schon unter nervenkitzelnden Action-Urlaub? Vielleicht gibt es dafür einen Jochen-Schweizer-Erlebnisgutschein.

„Speed-Zugwechsel bei zu knapp bemessener Umsteigezeit (inklusive Bahnsteigsprint mit Kofferhieven)“ für 250 Euro (ohne Fahrschein). (Die genauen Teilnahmebedingungen entnehmen Sie bitte den AGBs.)

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Durch unseren Waggon läuft eine Familie mit zwei Töchtern, circa neun und zwölf. Die Eltern sind etwas unruhig, weil ihre Plätze schon belegt sind und ihre Reservierungen anscheinend doppelt vergeben wurden. Wurden sie aber nicht. Die Familie ist im falschen Zug. Nicht in dem, der nach München fährt und eine Stunde Verspätung hat.

Ich habe größtes Verständnis für dieses Missgeschick. Vor ein paar Jahren dachte ich auch mal, dass ein paar Reisende die gleichen Reservierungen wie wir hätten. Für den gleichen Zug, den gleichen Wagen, die gleichen Plätze. Ein Mann, der auf einem unserer vermeintlichen Sitze saß, meinte, vielleicht hätten wir die Reservierungen für morgen. Ich lachte und fragte mich, wer ist so doof und reserviert Plätze für das falsche Datum. Ich, stellte sich raus. Ich war so doof. Unsere Reservierungen und Tickets galten erst für den nächsten Tag.

Im Vergleich dazu läuft unsere heutige Fahrt wie am Schnürchen. (Altmodische und latent unpassende Metaphern wie diese sind der Grund, warum der Blog keine Bezahlschranke hat.) Zumindest fast. Die Bahn-App schickt mir im Fünf-Minuten-Takt Push-Benachrichtigungen.

Wir werden den Anschlusszug in Frankfurt voraussichtlich nicht erreichen.
Vielleicht klappt es noch.
Vermutlich eher nicht.
Unter Umständen könnte es funktionieren.
Realistischerweise nicht.
Eventuell doch, mit etwas Glück und falls sich der Mars im Sternzeichen Stier befindet.

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Viertel nach zehn hält der Zug in Lutherstadt Wittenberg. Nicht zu verwechseln mit Wittenberge in Brandenburg. In das hat der alte Luther nie einen Fuß gesetzt. Oder nicht lang genug, damit sich der Ort den Zusatz Lutherstadt geben kann.

Ein Bekannter von mir wohnte mal im brandenburgischen Wittenberge. Mehr als einmal fragten ihn japanische Touristengruppen nach dem Weg zur Schlosskirche, wo Luther angeblich seine 95 Thesen an die Tür genagelt hatte. Das ist dann etwas unangenehm für die Reiseleitung, wenn du erklären musst, dass ihr im falschen Ort gelandet seid, rund 150 Kilometer zu weit nördlich. Weil die dir anvertrauten Touris es höchstwahrscheinlich auch nicht besser wissen, kannst du aber einfach zu irgendeiner x-beliebigen Kirche gehen. Dort erzählst du, Martin Luther habe hier in DIY-Manier seine Postulate an die Pforte gekloppt und den Protestantismus in Gang gesetzt, und alle können ein Selfie machen und sind happy.

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Meine Frau muss im Zug noch an einer Telefonkonferenz teilnehmen. Das ist herausfordernder, als es sich anhört. In Nordhessen, wo wir uns inzwischen befinden, ist das Funknetz ungefähr so zuverlässig wie der Sohn, wenn du ihm morgens sagst, er soll nach der Schule daran denken, den Müll rauszubringen. Außerdem willst du im Zug nicht wie ein wichtigtuerischer Business-Kaspar die ganze Zeit ins Telefon brüllen. Das ist aber nötig wegen der schlechten nordhessischen Verbindung. Die Frau bringt sich daher eher schweigend in die Telko ein.

Das größere Problem von uns beiden habe aber ich: Ich habe Hunger und die Tasche mit unserem Proviant ist zu den Füßen meiner Frau an der Wand eingeklemmt. In der Telefonkonferenz sind unter anderem ihr Abteilungsleiter, ihr Unterabteilungsleiter und andere unheimlich wichtige Menschen. Wenn ich da im Hintergrund rufe, ich komme nicht an die Stullen und die Kekse ran, wäre das ziemlich unangenehm. Für meine Frau, aber vor allem für mich, weil ich dadurch wie ein lebensunfähiger Trottel rüberkomme, der zu blöd ist, sich selbst zu verpflegen.

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Über den Bord-Lautsprecher kommt die Durchsage, unser Zug habe mittlerweile 20 Minuten Verspätung und der TGV in Frankfurt warte nicht auf die Anschlussreisenden – sprich uns. (Schönen Dank auch!) Gleichzeitig wird eine kreative Lösung präsentiert: Wir sollen den ICE Richtung Basel nehmen und in Baden-Baden umsteigen. Dort könnten wir in unseren ursprünglich gebuchten TGV einsteigen, der unterwegs von dem ICE überholt würde.

Hört sich komisch an und ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert soll. Trotzdem lassen wir uns auf das Experiment ein. Es bleibt uns ohnehin nichts anderes übrig. Tatsächlich können wir sogar schon in Mannheim, der ersten Station nach Frankfurt, in unseren TGV umsteigen. Der hat durch irgendwelche Probleme auf der Strecke inzwischen auch eine Viertelstunde Verspätung. Schön, dass auch auf die französische Bahn Verlass ist.

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Fortsetzung


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