Wir gehen heute erst am frühen Nachmittag zum Strand. Es ist 14 Uhr und ziemlich viel los. Trotzdem finden wir einen Premium-Platz direkt an der Wasserkante. Mit freiem Blick aufs Meer, einer frischen Brise und weniger als fünf Meter vom kühlen Nass entfernt!
Ich bin trotzdem skeptisch. Der Strand ist voll, aber dieser Top-Spot ist noch frei. Warum? Ist er zu nah am Meer und die Wellen schwappen dort ständig auf dich und deine Strandutensilien? Oder hat sich der Mann zur rechten zum Mittagessen eine deftige Cassoulet reingepfiffen und lässt jetzt seinen Darmwinden freien Lauf? Oder lebt an dieser Stelle im Meer ein Seeungeheuer, das ahnungslose Badegäste ins Wasser zieht und verspeist? Wahrscheinlich eine Kombination aus allem.
Der Rest der Familie nimmt meine Vorbehalte gegenüber dem Liegeplatz nicht ernst und breitet unsere Badetücher aus. Ich überlege, ob ich ins Wasser gehen soll. Was dafür spricht: Es bietet eine erfrischende Abkühlung und der Weg ist sehr kurz. Was dagegen spricht: Ich bin dann im Wasser.
Die aufmerksamen Stammleser*innen wird es nicht überraschen, wenn ich bekenne, kein großer Fan von Wasser zu sein. (Duschen ausgenommen.) In meiner Rangliste der beliebtesten Elemente belegt Wasser den letzten Platz. (Platz 3: Feuer (zu heiß), Platz 2: Erde (schmutzig), Platz 1: Luft (brauchst du zum Atmen)) Vor allem mag ich es nicht, Wasser ins Gesicht zu bekommen. Und noch weniger, mit dem Kopf unter Wasser zu tauchen. Das brennt in den Augen, deine Ohren laufen voll, du kannst nicht atmen. Alles Argumente, die dagegen sprechen, deinen Kopf ins Wasser zu stecken.
Der Mensch ist nun mal kein Unter-Wasser-Lebewesen. Hätten Gott, Allah, Buddha, Shiwa oder das fliegende Spaghettimonster gewollt, dass wir unter Wasser leben, hätten sie uns Kiemen gegeben. Da wir aber keine Kiemen haben, gehe ich davon aus, dass Gott, Allah, Buddha, Shiva oder das fliegende Spaghettimonster nicht wollen, dass wir mit dem Kopf unter Wasser gehen. Ich finde, das ist eine sehr bestechende, wenn auch leicht ins Tautologische spielende Argumentation.
Ich vertage meine Wasser-Entscheidung und gehe meiner Lieblingsstrandbeschäftigung nach: Dösen. Das geht hier ganz phantastisch. Im Hintergrund rauscht das Meer, die Menschen um dich herum murmeln, in der Ferne zirpen die Zikaden. Der perfekte Klangteppich, um in die REM-Phase zu dämmern.
Wache eine Viertelstunde später auf. Ich drehe meinen Kopf nach links und schaue auf eine Taube. Die Taube schaut zurück. Ich bin verwirrt. Warum ist hier eine Taube? Träume ich noch? Der Strand ist doch der Lebensraum von Möwen und nicht von Tauben. Die gehören nicht hierher, sondern in die Stadt, wo sie rumgurren und alles voll kacken. Also, was will die Taube hier am Strand?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Tauben. Einige meiner besten Freunde sind Tauben. Ich möchte auch auf keinen Fall Tauben diskriminieren oder Ressentiments gegen Tauben schüren. Es heißt nicht umsonst „Alle Vögel sind Tauben, fast überall.“ Trotzdem haben Tauben meiner Meinung nach an einem Strand nichts verloren. (Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.)
Vielleicht ist es aber gar keine Taube, die mich anglotzt, sondern eine verkleidete Möwe auf dem Weg zu zu einer Mottoparty. Oder die Taube macht hier Urlaub. So ein Stadtleben ist ja anstrengend. Mit dem ganzen Gegurre und der ständigen Vollkackerei. Da willst du dich auch mal ein, zwei Wochen im Jahr erholen, ohne dass dir irgendein dahergelaufener Penner das Recht abspricht, am Strand abzuhängen.
Ich kann nicht länger den Blickkontakt mit der Taube halten und schaue weg. Sie trippelt weiter, läuft über ein paar Handtücher und über das Bein eines verdutzten Mannes. Dann pickt sie an einem Baguette, das irgendeinem Kind runtergefallen ist.
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Am Hafen neben unserem Stamm-Strand wurde in den letzten Tagen eine große Bühne aufgebaut. Für das Cassis en scéne festival. Heute Abend spielt dort Patrick Bruel. Ein Künstler, der mir gänzlich unbekannt ist. Das hat aber nichts zu bedeuten. Ich habe vor circa 20 bis 25 Jahren den Anschluss an aktuelle, angesagte Musik verloren. Deswegen ist es durchaus möglich, dass Patrick Bruel der größte Rockmusiker ist, den Frankreich jemals hervorgebracht hat.
Gestern dachte ich kurz, dass ich Patrick Bruel doch kenne. Das lag aber nur daran, dass ich seinen Namen hier täglich auf den Veranstaltungspostern lese.
Morgen treten Earth, Wind and Fire auf. Das ist natürlich ein spektakulärer Show-Act. Zumindest für Menschen aus der Generation meiner Eltern. Wahrscheinlich hat sie der Typ aus der Stadtverwaltung gebucht, der für das 14.-Juli-Feuerwerk die Psychedelic-Rock-Flower-Power-Musik ausgesucht hat. Für die Originalband hat es allerdings nicht gereicht. Stattdessen spielen Earth, Wind & Fire Experience. Hört sich wie der mäßig originelle Name einer Coverband an. So wie Rolling Stoneheads, ReBeatles oder Modern Talking Reloaded. Die Tickets kosten trotzdem über 50 Euro. Vielleicht kann man mit Monopoly-Geld bezahlen. Quasi Covergeld für die Coverband. (Miese Witze aus dem Niveaukeller sind der Grund, warum ich weiterhin kein Geld für meine Blogbeiträge nehmen kann.)
Am Donnerstag gibt es noch einen Auftritt von Axel Bauer und Bénabar. Zwei Künstler, von deren Schaffen ich bis zu unserer Ankunft in Cassis ebenfalls noch nichts wusste. Aber, wie gesagt, das schließt nicht aus, dass sie trotzdem die größten Rockstars sind, die Frankreich je hervorgebracht hat. Außer Patrick Bruel.
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Nachdem wir Kaffee getrunken und Melone und Brioches gegessen haben, ruhe ich mich auf dem Balkon aus. (Schönen Gruß aus der Seniorenresidenz „Meerblick“.) Im Hintergrund sind – wie immer – die Zikaden zugange. Inzwischen habe ich mich tatsächlich daran gewöhnt. Die meiste Zeit des Tages blende ich das einfach aus.
Irritierender finde ich mittlerweile, wenn das Dauergeratsche zwischendurch aufhört. Ab und an passiert das tagsüber. Zuerst schwillt das Zikadengeschrei an und plötzlich hört es kurz auf, bevor es mit noch größerer Intensität weitergeht. Ich stelle mir dann immer vor, den Zikaden fällt in diesem Moment auf, dass sie den Humanoiden zahlenmäßig weit überlegen sind. Daraufhin schmieden sie Pläne, alles in und um Cassis herum kahl zu fressen. Inklusive der Menschen.
Keine schöne Vorstellung, dass der Urlaub so endet. Aber ein entwicklungsfähiger Plot für einen gruseligen Horrorschocker: „Wenn die Zombie-Zikade zweimal zirpt”.
Weitere Titel für Zikaden-Filme, die mir spontan einfallen:
- Agenten-Film: Zirp an einem anderen Tag
- Romanverfilmung: Die Zikade in Venedig
- Superhelden-Film: Zirp-Man begins
- Dude-Movie: Zirpover
- Rom Com: 4 Zikaden und 1 Hörsturz
- Mafia-Film: Die Zikados
- Thriller: Das Schweigen der Zikaden
- Dooms-Day-Film: The day after the Zikaden
Vielleicht sollte ich mal aus der Sonne gehen.
(Falls Sie Interesse daran haben, die Rechte an einem dieser Titel zu kaufen, schreiben Sie bitte an igiveyouallmymoney@familienbetrieb.info. Danke!)
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Gestern wollte ich den Sohn aufgrund meines hohen Vorsprungs nicht als „ärgsten Verfolger“ ernst nehmen. Heute schlägt er zurück: Mit zwei Kniffeln und einer 405er-Runde holt er fast 200 Punkte auf, weil ich mit einer 218er-Runde schwächle.
Ich würde gerne sagen, dass ich das mit Absicht getan habe, um das Kniffel-Turnier spannender zu machen, die Zuschauerzahlen zu erhöhen und die Werbeeinnahmen zu steigern. Erstens haben wir aber keine Zuschauer, zweitens gibt es deswegen auch keine Werbung und drittens würde ich niemals den Kniffel-Pokal und schon gar nicht das Gewinner-Spaghettieis mit solchen Sperenzchen aufs Spiel setzen.
(Falls Sie das Kniffel-Turnier trotz fehlender Zuschauer sponsern möchten, schreiben Sie bitte ebenfalls an igiveyouallmymoney@familienbetrieb.info. Danke!)
Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Herrlich! Ich liebe einfach diese Urlaubsberichte in denen Tauben und Zikadenmonster ihren Platz haben.
Vielen Dank. Das freut mich sehr.