Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Ich laufe durch das Villenviertel hinter dem Waldweg und in meinem Kopf singt es: „Schweiß, Schweiß, Baby. Schweiß, Schweiß, Baby.“
Sorry, ich komm nochmal rein.
Ich laufe durch das Villenviertel hinter dem Waldweg und in meinem Kopf singt es: „Like Schweiß in the sunshine!“
CUT! Nochmal von vorne. Und ACTION!
Ich laufe durch das Villenviertel hinter dem Waldweg und in meinem Kopf singt es: „I’ve had the Schweiß of my life!“
Egal, das bleibt jetzt so. Ist ja kostenlos.
Am Ende des Villenviertels ist die Straße leicht abschüssig. Das ist ungewohnt, aber auch mal ganz schön.
Da ich mir heute 16,5 Kilometer auferlegt habe – bitte sagen Sie nichts –, erreiche ich heute einen Nachbarort von Cassis. Auf dem Schild am Ortseingang steht Roquefort. Wie cool ist es bitte schön, in einem Ort zu wohnen, der wie ein Käse heißt? Noch cooler wäre es nur, in einem Käse zu wohnen. Oder in einem Käsekuchen. (Auch wenn der wahrscheinlich sehr schwer sauber zu halten ist.)
In Roquefort laufe ich an einer langen Mauer entlang, bis ich an einem geöffneten Hoftor vorbeikomme. Sofort kommt ein Hund angerannt. Er scheint leichte Anger-Management-Probleme zu haben, und bellt und zetert und mordiot, was das Zeug hält. Als wolle er mir sagen: „Alter, denk nicht einmal daran, auch nur deinen kleinen Zeh hier aufs Grundstück zu setzen. Dann zerfetz ich dich in der Luft und mach Ragout aus dir.“
Ich wäge meine Optionen ab. Der Hund ist nicht klein genug, um ihn mit einem Tritt über den Zaun aufs Nachbargrundstück zu befördern. Würde ich natürlich nie machen. Vor allem weil ich gar nicht so weit schießen kann. Bei dem Hund handelt es sich aber auch nicht um den entlaufenen Pitbull vom Waldweg. Erstens sieht er nicht aus wie ein Pitbull und zweitens trägt er kein rotes Halstuch. Auch kein andersfarbiges.
Eigentlich habe ich keine Angst vor Hunden. Beim Laufen in Berlin habe ich die Erfahrung gemacht, dass die sich in der Regel gar nicht für mich interessieren. Irgendwo ist meistens ein anderer Hund, der viel spannender ist. Dem schnüffeln sie am Po, dann wedeln beide mit dem Schwanz und rennen über die Wiese.
Hier bin ich aber auf mich allein gestellt. Hoffentlich weiß der Hund, dass ich keine Angst vor ihm habe. Möglicherweise gibt es da interkulturelle Missverständnisse. Kann ja sein, dass der französische Hund meinen deutschen Läuferschweiß für Angstschweiß hält. Das weckt dann einen Sado-Urinstinkt in ihm und irgendein genetischer Code befiehlt ihm, mich durch Roquefort zu jagen.
Ein Laufduell gegen ihn würde ich wohl verlieren. Ein Beißduell auch. Da kann ich nur hoffen, dass im Falle einer Verfolgungsjagd das Adrenalin in meinem Körper so kickt, dass ich mit einem Satz über die mannshohe Mauer aufs Nachbargrundstück springen kann. Ein eher unrealistisches Szenario. Mein persönlicher Sportunterricht-Hochsprungrekord liegt bei 1,30 Metern. (Vielleicht sogar nur bei 1,25 Metern.)
Glücklicherweise hat der Hund kein Interesse daran, mich zur Strecke zu bringen. Das erspart mir, mich auf dem Bürgersteig wie ein Ball zusammenzurollen und zu hoffen, dass der Hund bei seiner Beißattacke keine Schlagader trifft und ich wie ein Lamm zum Pessachfest ausblute.
Ich schlage den Rückweg Richtung Villenviertel ein. Dort muss es in den letzten 20 Minuten zu massiven tektonischen Verschiebungen der Erdplatten gekommen sein. Jetzt beim Hochlaufen kommt mir der Anstieg viel steiler vor als vorhin beim Runterlaufen. Und die Sonne scheint auch viel heißer.
Kurz hinter der Waldwegschranke kommt mir eine Gruppe Pfadfinder entgegen. Was für ein Glück! Pfadfinder sind bestimmt auch in Frankreich der guten Tat verpflichtet. Gleich werden sie mir Wasser reichen, aus Ästen eine Sänfte bauen und mich darauf zurück in die Ferienwohnung tragen.
Zu meiner Überraschung – und leichten Irritation – tun sie das aber nicht. Sie machen noch nicht einmal Platz, so dass ich neben dem Weg laufen muss. Um das wieder gut zu machen, müssen die Knaben heute zwei gute Taten vollbringen. Sonst schmoren sie in der Pfadfinderhölle.
Zugegebenermaßen sehen die Jungs selbst ziemlich geschafft aus. Da kann ich ihnen aber nicht helfen. Ich habe die Guten-Taten-Regeln nicht gemacht. Du kannst gute Taten nun mal nicht nur vollbringen, wenn es dir gerade in den Kram passt. Im Gegenteil: Gerade wenn die Tat beschwerlich und anstrengend ist, ist sie doch besonders gut. Im Prinzip ist es meine gute Tat, den Pfadfindern die Möglichkeit zu geben, mich nach Cassis zu tragen, damit sie ihre gute Tat für heute erledigt haben. Da sie das aber anscheinend anderes sehen, bringen sie mich um das Vollbringen meiner guten Tat und dafür werde ich selbst in der Pfadfinderhölle schmoren.
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Auf dem Weg zum Bäcker überkommt mich das dringende Bedürfnis, ja fast schon ein Zwang, Türen zu fotografieren. Hier eine Grüne. Knips! Dort eine Gelbe. Knips! Und da eine aus Holz. Knips!
Was will mir mein Unterbewusstsein damit sagen, dass es mich wie einen Besessenen durch die Gassen von Cassis schickt, auf der Suche nach dem nächsten Türenmotiv? Ich frage mich, welchen tieferen Sinn Türen haben. Meine Güte, was stimmt mit mir nicht? Vorgestern habe ich über die Metaphorik, wenn nicht gar Metaphysik, von Anstiegen nachgedacht und heute über die Symbolik von Türen. Was kommt als nächstes? Reflektionen über das Wesen des Hefegebäcks? Und dann eine Kolumne in der Zeit „Das philosophische Solo. Wirre Gedanken, noch wirrer erklärt.“?
Türen haben einerseits etwas Einladendes. Wer dir die Türe öffnet, öffnet auch sich selbst. Schöner Spruch. Könnte ich auf ein Kissen sticken. Hier sind aber alle Türen geschlossen. Weil die Menschen keinen Bock haben, dass irgendein dahergelaufener zauseliger deutscher Tourist in ihre Wohnung glotzt. (Wahrscheinlich wollen sie nicht einmal, dass irgendein dahergelaufener zauseliger deutscher Tourist ihre Türen fotografiert.)
Da eine türkisfarbene Tür. Knips!
Andererseits verbergen Türen das Unbekannte. Du weißt nicht, was dich erwartet, wenn du sie öffnest. Wahrscheinlich eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Es ist nämlich unverschämt, übergriffig und verletzt die Privatsphäre, ungefragt und ungebeten eine fremde Tür aufzumachen.
Oh, eine Tür mit Eisenbeschlägen. Knips!
Oder ist es der Schutz, den Türen bieten, der mich anspricht? Wenn du eine Tür verschließt, bist du in Sicherheit und wehrst Gefahren ab. Hier gibt es aber keine Gefahren, vor denen ich mich in Sicherheit bringen müsste. Höchstens vor dem entlaufenen Pitbull. Im Wald gibt es aber keine Türen.
Toll, eine hübsche kleine Tür. Knips!
Außerdem symbolisieren Türen Möglichkeiten und Chancen. „Wenn sich eine Tür schließt, so öffnet sich eine andere”, sagt schließlich der Volksmund. Das ist natürlich Quatsch. Wenn du eine lebenslange Haftstrafe absitzt, geht da eine Tür zu, aber für eine sehr lange Zeit öffnet sich da keine für dich.
Eine verwitterte Tür. Knips!
Inzwischen habe ich so viele Türen geknipst, dass mein Handy knurrt: „Junge, jetzt isses aber mal gut. Wenn du noch eine scheiß Tür fotografierst, falle ich auf den Boden und dann wars das mit der Knipserei.“
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Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)