Schon seit ein paar Tagen richten wir unsere Klamotten für den Urlaub. Das ist jedes Jahr das gleiche. Die Lieblingsklamotten reservierst du für den Urlaub und dann trägst du die Tage bis zur Abreise löchrige, ausgeleierte T-Shirts, die nicht einmal gut genug für den Altkleider-Container sind, und ausgebeulte Hosen mit Flecken, von denen du nicht weißt, wie sie entstanden sind und die seit Jahren nicht rausgehen.
Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht so viele Kleidungsstücke mitzunehmen. Eine lange Hose reicht vollkommen aus. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir in ein schickes Restaurant gehen wollen, in dem versnobte Kellner*innen das Tragen von kurzen Hosen missbilligen. Mehr als fünf T-Shirts, Shorts und Unterhosen benötige ich auch nicht. In der Ferienwohnung gibt es eine Waschmaschine und bei den Temperaturen in Südfrankreich trocknet die Wäsche innerhalb von ein paar Stunden. Ich gehe allerdings davon aus, dass meine Entscheidung für eine minimalistische Urlaubsgarderobe eine Schmetterlingsflügelschlag-Kettenreaktion in Gang setzen wird. Diese verursacht einen vierzehntägigen Kälteeinbruch in der Provence und führt gleichzeitig dazu, dass die Ferienwohnung-Waschmaschine irreparabel kaputt geht.
Ich schaue mir meinen überschaubaren Klamottenstapel an. Mich beschleicht das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Wobei es nicht so schlimm sein kann wie bei dem Kollegen meiner Frau. Der hat ihr kürzlich erzählt, wie seine Mutter einmal für einen Urlaub die Koffer gepackt hatte und sein Vater dann vergaß, diese ins Auto zu laden. (You had one job!) Das fiel aber erst bei der Ankunft im Urlaubsort auf. Da startet der Urlaub bestimmt nicht besonders harmonisch, wenn du den Kofferraum öffnest und feststellst, dass die ganze Familie die nächsten vierzehn Tage nichts zum Anziehen hast.
Meine Frau packt unsere Urlaubsklamotten in die Koffer und unseren großen Trekkingrucksack. Das liest sich jetzt ein wenig so, als sei ich zu faul oder zu blöd dafür. Dagegen verwehre ich mich. Meine Frau besteht darauf, das zu machen, weil sie eine besondere Rolltechnik perfektioniert habe, durch die sie möglichst viele Kleidungsstücke in möglichst wenig Koffer- und Rucksackplatz unterbekommt. (Das ist auch nötig, weil sie sich für eine in meinen Augen eher maximalistische Urlaubsgarderobe entschieden hat. Aber das nur am Rande.)
Unterdessen suche ich noch ein paar Utensilien für sportliche Strandaktivitäten zusammen. In dem Schrank, wo wir dafür erforderliches Gerät aufbewahren, finde ich unfassbar viele Beach-Tennisschläger. Anscheinend haben wir in jedem zweiten Urlaub ein neues Set gekauft. Unser Schrank sieht aus, als hätten wir einen exklusiven Generalvertrieb für Beach-Tennisschläger, der ganz Europa beliefert.
Dafür haben wir nur einen einzigen Beach-Volleyball. Dabei bin ich mir sicher, mindestens jeden zweiten Urlaub einen neuen gekauft zu haben. Den mussten wir dann immer in der Ferienwohnung zurücklassen, weil Beach-Volleybälle so schlecht zu transportieren sind.
Ich richte eines der Beach-Tennisschläger-Sets – vielleicht vergessen wir das am Ende des Urlaubs einfach in der Ferienwohnung, um unseren Schrank zu entlasten – sowie den Beach-Volleyball, der praktischerweise gerade ziemlich platt ist. Dadurch nimmt er nicht so viel Platz in dem Trekking-Rucksack ein. Allerdings muss ich nun auch eine unserer Ballpumpen einpacken. Von denen besitzen wir aus Gründen, die mir unbekannt sind, drei Stück.
Einen kleinen Ball, der gut auf dem Wasser titscht, nehme ich ebenfalls mit. Falls uns im Urlaub danach ist, einen Ball auf dem Wasser titschen zu lassen. Man kann ja nie wissen.
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Als nächstes drucke ich unsere Reisunterlagen aus, denn die Transportlogistik für unseren Urlaub fiel in meinen Verantwortungsbereich. Um die Recherche und Buchung der Wohnung hat sich dagegen meine Frau gekümmert. Das zählt in unserer durch streng funktionale Arbeitsteilung gekennzeichneten Ehe traditionell zu ihren Aufgaben und sie hat ein wirklich sehr gutes Händchen für die Auswahl von sehr guten Urlaubsdomizilen. Mir obliegt es dagegen, Bedenken über die etwaigen Kosten der Unterkünfte zu äußern, wofür ich ebenfalls ein gutes Händchen habe. Das findet aber nur selten lobende Anerkennung – eigentlich nie –, sondern du hast da schnell den Ruf der geizigen Spaßbremse weg.
Die Organisation der Anreise ist ziemlich aufwändig und anspruchsvoll. Vor allem, wenn du nicht fliegst, sondern mit dem Zug fährst. Du musst dazu neben der Bahn-Website verschiedene Internet-Plattformen für europäische Zugverbindungen sowie die Internetseiten der Zuggesellschaft in deinem Urlaubsland konsultieren, in mehreren geöffneten Browser-Fenstern Anschlusszüge, Umsteigeorte und Preise vergleichen und hoffen, eine halbwegs günstige Verbindung rausgesucht zu haben.
Also, normalerweise ist das so kompliziert. Diesmal war es total einfach. Über die Deutsche Bahn kannst du Tickets von Berlin nach Marseille buchen und musst dich dann nur noch um den Anschluss nach Cassis kümmern. Ich habe nur geschildert, wie komplex die Reiselogistik eigentlich ist, damit Sie nicht den durchaus richtigen Eindruck bekommen, meine Frau müsse wochenlang nach Urlaubsländern, malerischen Orten sowie bezahlbaren Appartements in Strandnähe suchen, während ich mit zwei Mausklicks unsere Zugtickets kaufe.
Drei Viertel der Familie, das heißt, meine Frau, der Sohn und ich, fahren morgen zunächst nach Marseille. Weil wir laut Fahrplan erst um kurz vor 22 Uhr ankommen, bleiben wir eine Nacht, schauen uns am nächsten Tag die Stadt an und fahren nachmittags weiter nach Cassis. Dort stößt abends die Tochter zu uns. Die war vorher schon ein paar Tage mit einer Freundin in Paris. (Anscheinend will sie ihre Ferien nicht ausschließlich mit ihrer Familie verbringen.)
Die Fahrt nach Marseille könnte etwas tricky werden. Die Abfahrtszeit ist zwar ganz entspannt um 9.30 Uhr. Das ist gut fürs Urlaubsfeeling. Schließlich möchtest du nicht mitten in der Nacht aufstehen müssen, um zum Flughafen oder Bahnhof zu fahren. Da fängt der Urlaub nur so mittelgut an. Außerdem müssen wir nur einmal in Frankfurt umsteigen, was ebenfalls von Vorteil ist. So brauchen wir nicht drei- oder viermal schwere Koffer, Rucksäcke und Taschen von einem Zug in den nächsten schleppen. Bei so etwas kannst du dir schnell einen Bandscheibenvorfall zuziehen und dann verbringst du den kompletten Urlaub in der Horizontalen auf einem durchgesessenen Ferienwohnungs-Sofa.
Allerdings haben wir in Frankfurt für den Umstieg in den TGV ganze dreizehn Minuten Zeit. Laut der aktuellen Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn – beziehungsweise Unpünktlichkeitsstatistik –, sind nur rund 70 Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich. Wir werden also mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent den Anschlusszug verpassen.
Als Reiselogistik-Beauftragter würde ich mich in diesem Fall um alternative Verbindungen, eventuell Übernachtungen und die Stornierung des Hotels in Marseille kümmern müssen. Das wäre gar nicht so schlimm. Immerhin wäre ich dann von der Anreise so gestresst, dass ich den Urlaub umso nötiger habe. Ich bekäme quasi mehr Leistung für das gleiche Geld. Eine fast schon realitätsverweigernde Sicht, durch die aber auch ein fast leeres Glas noch halbvoll erscheint. Toll!
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In der Küche inspiziere ich noch unsere Lebensmittelbestände. Ich möchte überprüfen, was davon die nächsten vierzehn Tag überlebt und was sich von den verderblichen Sachen für unser heutiges Abendessen eignet. Wir haben sehr viele Zwiebeln, ein Glas Essiggurken, das schon länger geöffnet ist, eine Salatgurke, die bereits seit geraumer Zeit in unserem Kühlschrank lebt, drei Bananen auf dem Weg zur Mumifizierung und einen Harzer Käse, der vor zwei Tagen abgelaufen ist.
Wir beschließen einstimmig, Pizza zu bestellen.
Alle Beiträge des Cassis-Urlaubsblogs finden Sie hier.
- Vorbereitung 1 (06.07.): Was Sie noch nie über Cassis wissen wollten und deshalb nicht zu fragen wagten
- Vorbereitung 2 (07.07.): Auch Nicht-Nicht-Stammfriseurinnen können gut Haare schneiden
- Anreise (08.07.): Nur Amateure erreichen ihre Anschlusszüge sofort
- Tag 01 (09.07.): Sightseeing in Marseilles. Oder: So weit die Füße tragen.
- Tag 02 (10.07.): Der mit der Kaffeemaschine tanzt. Oder sie mit ihm.
- Tag 03 (11.07.): Wer hoch läuft, muss noch höher laufen. Und dann noch höher.
- Tag 04 (12.07.): In der Ferne zirpen die Zikaden. Und in der Nähe. Und einfach überall.
- Tag 05 (13.07.): Ein Tag ohne Routinen. Fast wie im Urlaub.
- Tag 06 (14.07.): Liberté, égalité, fraternité! Oder: Ein Feuerwerk wie ein Drogenrausch
- Tag 07 (15.07.): Tage, an denen du vom Schwitzen schwitzt
- Tag 08 (16.07.): Morning has broken
- Tag 09 (17.07.): Ein Königreich für ein Wasser, Wasser, Wasser
- Tag 10 (18.07.): Je ne parle pas français. Really not.
- Tag 11 (19.07.): Was macht die Taube am Strand?
- Tag 12 (20.07.): Türlich, türlich!
- Tag 13 (21.07.): The boat that rocked
- Tag 14 (22.07.): Ein letztes Mal
- Heimreise (23.07.): Au revoir!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)