Der alljährliche Urlaubsblog. Nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, alle Beiträge des Cassis-Blogs lesen möchten, werden Sie hier fündig.
Kurz nach fünf. Wir werden aus dem Schlaf gerissen. Nicht vom Wecker, denn unser Zug fährt erst um urlaubsfreundliche 9.30 Uhr los. Sondern von einem Tauberich, der ebenso lautstark wie penetrant um Aufmerksamkeit gurrt. Ich wünschte, Taubenmännchen könnten Porsche fahren. Dann müssten sie nicht in aller Herrgottsfrühe rumblöken, um zu zeigen, was für tolle und horny Typen sie sind.
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Meine Frau und ich nutzen die gewonnene Zeit produktiv. Wir schmieren Sandwiches. Eine Menge Sandwiches. Schließlich sitzen wir heute gut zwölf Stunden im Zug und Teil unserer Reisegruppe ist ein dauerhungriger Teenager. (Sowie zwei Eltern, die auf Zugreisen das Fressverhalten ausgehungerter Pumas an den Tag legen.) Daher habe ich gestern zwei Laibe Toastbrot sowie Belag für vier Laibe gekauft. Dazu noch belgische Waffeln, Kekse, Chips, Nic-Nacs, Joghurt-Gums und Kaugummis. Heißt ja nicht umsonst, dass Zugluft hungrig macht.
Bevor wir aufbrechen, bringe ich den Müll runter. Vor ein paar Jahren hatten wir das mal vergessen. In unserer Abwesenheit entstand im Mülleimer eine neue Lebensform, die bei unserer Rückkehr kurz davor war, sich in der Küche auszubreiten und anschließend die gesamte Wohnung zu übernehmen.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Schon seit ein paar Tagen richten wir unsere Klamotten für den Urlaub. Das ist jedes Jahr das gleiche. Die Lieblingsklamotten reservierst du für den Urlaub und dann trägst du die Tage bis zur Abreise löchrige, ausgeleierte T-Shirts, die nicht einmal gut genug für den Altkleider-Container sind, und ausgebeulte Hosen mit Flecken, von denen du nicht weißt, wie sie entstanden sind und die seit Jahren nicht rausgehen.
Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, nicht so viele Kleidungsstücke mitzunehmen. Eine lange Hose reicht vollkommen aus. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir in ein schickes Restaurant gehen wollen, in dem versnobte Kellner*innen das Tragen von kurzen Hosen missbilligen. Mehr als fünf T-Shirts, Shorts und Unterhosen benötige ich auch nicht. In der Ferienwohnung gibt es eine Waschmaschine und bei den Temperaturen in Südfrankreich trocknet die Wäsche innerhalb von ein paar Stunden. Ich gehe allerdings davon aus, dass meine Entscheidung für eine minimalistische Urlaubsgarderobe eine Schmetterlingsflügelschlag-Kettenreaktion in Gang setzen wird. Diese verursacht einen vierzehntägigen Kälteeinbruch in der Provence und führt gleichzeitig dazu, dass die Ferienwohnung-Waschmaschine irreparabel kaputt geht.
Ich schaue mir meinen überschaubaren Klamottenstapel an. Mich beschleicht das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Wobei es nicht so schlimm sein kann wie bei dem Kollegen meiner Frau. Der hat ihr kürzlich erzählt, wie seine Mutter einmal für einen Urlaub die Koffer gepackt hatte und sein Vater dann vergaß, diese ins Auto zu laden. (You had one job!) Das fiel aber erst bei der Ankunft im Urlaubsort auf. Da startet der Urlaub bestimmt nicht besonders harmonisch, wenn du den Kofferraum öffnest und feststellst, dass die ganze Familie die nächsten vierzehn Tage nichts zum Anziehen hast.
Meine Frau packt unsere Urlaubsklamotten in die Koffer und unseren großen Trekkingrucksack. Das liest sich jetzt ein wenig so, als sei ich zu faul oder zu blöd dafür. Dagegen verwehre ich mich. Meine Frau besteht darauf, das zu machen, weil sie eine besondere Rolltechnik perfektioniert habe, durch die sie möglichst viele Kleidungsstücke in möglichst wenig Koffer- und Rucksackplatz unterbekommt. (Das ist auch nötig, weil sie sich für eine in meinen Augen eher maximalistische Urlaubsgarderobe entschieden hat. Aber das nur am Rande.)
Unterdessen suche ich noch ein paar Utensilien für sportliche Strandaktivitäten zusammen. In dem Schrank, wo wir dafür erforderliches Gerät aufbewahren, finde ich unfassbar viele Beach-Tennisschläger. Anscheinend haben wir in jedem zweiten Urlaub ein neues Set gekauft. Unser Schrank sieht aus, als hätten wir einen exklusiven Generalvertrieb für Beach-Tennisschläger, der ganz Europa beliefert.
Dafür haben wir nur einen einzigen Beach-Volleyball. Dabei bin ich mir sicher, mindestens jeden zweiten Urlaub einen neuen gekauft zu haben. Den mussten wir dann immer in der Ferienwohnung zurücklassen, weil Beach-Volleybälle so schlecht zu transportieren sind.
Ich richte eines der Beach-Tennisschläger-Sets – vielleicht vergessen wir das am Ende des Urlaubs einfach in der Ferienwohnung, um unseren Schrank zu entlasten – sowie den Beach-Volleyball, der praktischerweise gerade ziemlich platt ist. Dadurch nimmt er nicht so viel Platz in dem Trekking-Rucksack ein. Allerdings muss ich nun auch eine unserer Ballpumpen einpacken. Von denen besitzen wir aus Gründen, die mir unbekannt sind, drei Stück.
Einen kleinen Ball, der gut auf dem Wasser titscht, nehme ich ebenfalls mit. Falls uns im Urlaub danach ist, einen Ball auf dem Wasser titschen zu lassen. Man kann ja nie wissen.
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Als nächstes drucke ich unsere Reisunterlagen aus, denn die Transportlogistik für unseren Urlaub fiel in meinen Verantwortungsbereich. Um die Recherche und Buchung der Wohnung hat sich dagegen meine Frau gekümmert. Das zählt in unserer durch streng funktionale Arbeitsteilung gekennzeichneten Ehe traditionell zu ihren Aufgaben und sie hat ein wirklich sehr gutes Händchen für die Auswahl von sehr guten Urlaubsdomizilen. Mir obliegt es dagegen, Bedenken über die etwaigen Kosten der Unterkünfte zu äußern, wofür ich ebenfalls ein gutes Händchen habe. Das findet aber nur selten lobende Anerkennung – eigentlich nie –, sondern du hast da schnell den Ruf der geizigen Spaßbremse weg.
Die Organisation der Anreise ist ziemlich aufwändig und anspruchsvoll. Vor allem, wenn du nicht fliegst, sondern mit dem Zug fährst. Du musst dazu neben der Bahn-Website verschiedene Internet-Plattformen für europäische Zugverbindungen sowie die Internetseiten der Zuggesellschaft in deinem Urlaubsland konsultieren, in mehreren geöffneten Browser-Fenstern Anschlusszüge, Umsteigeorte und Preise vergleichen und hoffen, eine halbwegs günstige Verbindung rausgesucht zu haben.
Also, normalerweise ist das so kompliziert. Diesmal war es total einfach. Über die Deutsche Bahn kannst du Tickets von Berlin nach Marseille buchen und musst dich dann nur noch um den Anschluss nach Cassis kümmern. Ich habe nur geschildert, wie komplex die Reiselogistik eigentlich ist, damit Sie nicht den durchaus richtigen Eindruck bekommen, meine Frau müsse wochenlang nach Urlaubsländern, malerischen Orten sowie bezahlbaren Appartements in Strandnähe suchen, während ich mit zwei Mausklicks unsere Zugtickets kaufe.
Drei Viertel der Familie, das heißt, meine Frau, der Sohn und ich, fahren morgen zunächst nach Marseille. Weil wir laut Fahrplan erst um kurz vor 22 Uhr ankommen, bleiben wir eine Nacht, schauen uns am nächsten Tag die Stadt an und fahren nachmittags weiter nach Cassis. Dort stößt abends die Tochter zu uns. Die war vorher schon ein paar Tage mit einer Freundin in Paris. (Anscheinend will sie ihre Ferien nicht ausschließlich mit ihrer Familie verbringen.)
Die Fahrt nach Marseille könnte etwas tricky werden. Die Abfahrtszeit ist zwar ganz entspannt um 9.30 Uhr. Das ist gut fürs Urlaubsfeeling. Schließlich möchtest du nicht mitten in der Nacht aufstehen müssen, um zum Flughafen oder Bahnhof zu fahren. Da fängt der Urlaub nur so mittelgut an. Außerdem müssen wir nur einmal in Frankfurt umsteigen, was ebenfalls von Vorteil ist. So brauchen wir nicht drei- oder viermal schwere Koffer, Rucksäcke und Taschen von einem Zug in den nächsten schleppen. Bei so etwas kannst du dir schnell einen Bandscheibenvorfall zuziehen und dann verbringst du den kompletten Urlaub in der Horizontalen auf einem durchgesessenen Ferienwohnungs-Sofa.
Allerdings haben wir in Frankfurt für den Umstieg in den TGV ganze dreizehn Minuten Zeit. Laut der aktuellen Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn – beziehungsweise Unpünktlichkeitsstatistik –, sind nur rund 70 Prozent der Züge im Fernverkehr pünktlich. Wir werden also mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent den Anschlusszug verpassen.
Als Reiselogistik-Beauftragter würde ich mich in diesem Fall um alternative Verbindungen, eventuell Übernachtungen und die Stornierung des Hotels in Marseille kümmern müssen. Das wäre gar nicht so schlimm. Immerhin wäre ich dann von der Anreise so gestresst, dass ich den Urlaub umso nötiger habe. Ich bekäme quasi mehr Leistung für das gleiche Geld. Eine fast schon realitätsverweigernde Sicht, durch die aber auch ein fast leeres Glas noch halbvoll erscheint. Toll!
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In der Küche inspiziere ich noch unsere Lebensmittelbestände. Ich möchte überprüfen, was davon die nächsten vierzehn Tag überlebt und was sich von den verderblichen Sachen für unser heutiges Abendessen eignet. Wir haben sehr viele Zwiebeln, ein Glas Essiggurken, das schon länger geöffnet ist, eine Salatgurke, die bereits seit geraumer Zeit in unserem Kühlschrank lebt, drei Bananen auf dem Weg zur Mumifizierung und einen Harzer Käse, der vor zwei Tagen abgelaufen ist.
Wir beschließen einstimmig, Pizza zu bestellen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
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„Hallo, haben Sie einen Termin?“, begrüßt mich die Frau im Friseurgeschäft. Sie ist jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, hat mittellanges Haar und ich habe ein Problem. Also, nicht weil sie jung, mittelgroß und aufwändig geschminkt ist und mittellanges Haar hat, sondern weil ich nicht weiß, ob sie meine Stammfriseurin ist.
Hört sich komisch an und ist es auch. Meine Stammfriseurin ist nämlich gar nicht meine Stammfriseurin, sondern die meiner Frau. Vor ungefähr sieben Monaten, kurz vor Weihnachten, habe ich mir von Ayşe – so hieße die Stammfriseurin meiner Frau, wenn ich mir den Namen nicht ausgedacht hätte – die Haare schneiden lassen. Weil ich sehr zufrieden war, habe ich seitdem immer Termine bei ihr gebucht. Allerdings war sie nie da und stattdessen hat sich dann eine ihrer Kolleginnen um meine Haare gekümmert.
Weil ich im Urlaub in Cassis nicht rumlaufen möchte, als trüge ich eine Mütze aus räudigem Yak-Fell, habe ich gestern übers Internet einen Termin bei Ayşe ausgemacht. Nun stehe ich hier und weiß ich nicht, ob die Frau, die mich gerade so freundlich begrüßt hat, meine Stammfriseurin beziehungsweise meine Möchtegern-Stammfriseurin ist.
Das ist natürlich peinlich und wirft kein gutes Licht auf mich. Aber ich war ja auch nur einmal bei Ayşe und das ist, wie gesagt, schon sieben Monate her. Außerdem sehen sich die Friseurinnen hier alle recht ähnlich – jung, mittelgroß, aufwändig geschminkt, mittellanges Haar. Da kann es schon mal passieren, dass du nicht weißt, wer dir gerade gegenübersteht. Zumindest, wenn du ein Trottel bist.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
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„Wer in Paris war und nicht in Cassis, der hat noch nichts gesehen.“
Eine ziemlich steile These, die der französische Schriftsteller Frederic Mistral seinem Protagonisten Calendal in den Mund gelegt hat.
Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Monsieur Mistral selbst in Cassis lebte, einem kleinen ehemaligem Fischerdorf in der Provence, das in einer Bucht der Calanque-Küste ungefähr 30 Kilometer von Marseille liegt. Außerdem setzte er sich für die Unabhängigkeit der Provence ein. Da bist du mit herabwürdigenden Statements über Paris schon mal schnell zur Hand. Allerdings erhielt Frederic Mistral Anfang des 20. Jahrhunderts den Nobelpreis für Literatur, was seinem Urteil doch wieder etwas Gewicht verleiht.
(Bitte Fragen Sie mich nichts zum Leben und Schaffen von Frederic Mistral oder seinen Romanhelden Calendal: Ich schreibe hier schließlich auch nur Sachen aus dem Internet ab.)
In Cassis werden wir unseren Sommerurlaub verbringen. Das hat aber nichts mit den touristischen Ratschlägen Frederic Mistrals zu tun. Als wir uns im trüben und regnerischen Herbst des letzten Jahres Gedanken über unser nächstes Urlaubsziel machten, erschien uns Südfrankreich eine gute Wahl zu sein. Weil wir gutes Wetter und Sonne satt für relevante Entscheidungskriterien hielten.
Da wussten wir noch nicht, dass die Durchschnittstemperaturen in Deutschland im Juli irgendwo zwischen Hochleistungs-Hochofen und glühendem Lavastrom liegen wird und es vielleicht klüger wäre, im Sommer in Island oder Nordschweden Urlaub zu machen, um sich ein wenig abzukühlen.
Wir entschieden uns aber nicht nur aus meteorologischen Gründen für Südfrankreich, sondern auch weil wir noch nie dort waren. Im Urlaub ist es ja schön, etwas Neues zu sehen. Von wegen neue Erfahrungen machen, seinen Horizont erweitern, über den Tellerrand blicken und so weiter. (Mit Mitte, Ende 40 bekommt das Thema lebenslanges Lernen ja auch eine immer größere Bedeutung.)
Gut, wir waren auch noch nie in Wanne-Eickel, Bitterfeld oder Bromskirchen. Da könnten wir auch etwas Neues sehen, neue Erfahrungen machen, unseren Horizont erweitern und über den Tellerrand blicken. Trotzdem versprechen wir uns von einem Strandurlaub am Mittelmeer einen leicht höheren Erholungsfaktor.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.