Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.
Joggen: Sag‘ zum Abschied leise Mäh
„Ihr müsst schon etwas Platz machen.“ Ich will den Schaf-Deich für meine letzte Laufrunde betreten, aber zwei Schafböcke stehen so vor dem Eingangstor, dass ich nicht durchkomme. Streng schaue ich sie an und lege möglichst viel meiner natürlichen Autorität in meinen Blick. Anscheinend habe ich davon aber nicht allzu viel, denn die Böcke schauen unbeeindruckt zurück. Der etwas größere von den beiden blökt kurz. Hört sich an wie „Du kommst hier net rein.“
Sie erinnern sich vielleicht, dass die Schafe mich schon vor zwei Tagen beim Laufen drangsaliert haben und mir andauernd in den Weg gelaufen sind. Wahrscheinlich ist es eine Übersprungshandlung, weil es heute mein letzter Lauf ist und wir uns dann verabschieden müssen. Indem sie mich nicht reinlassen, fällt der letzte Lauf aus und – ergo – gibt es keinen Abschied. Genau in dem Moment, als ich das denke, machen die beiden Böcke plötzlich bereitwillig Platz. Sieht fasst so aus, als versuchten sie, das Tor mit ihrem Maul aufzuziehen, damit ich schneller auf den Deich kommen kann. Wie niedlich!
Später gibt es einen weiteren Zwischenfall. An einem der Gatter, mit dem die Deichabschnitte voneinander abgegrenzt werden, ist der Boden vor dem Fußgängertor vollkommen übersät mit Schafskötteln. Es ist vollkommen unmöglich, dort durchzulaufen, ohne in Schafskot zu treten. Langsam grenzt das doch an Mobbing!
Sicherlich bilde ich mir das aber auch nur ein und es ist Zufall. Ich hatte ja schon mal geschrieben, dass Schafe sehr produktive Verdauer sind. Auf dem ganzen Deich liegen die Schafsexkremente. Häufig sind die Köttel eher klein, als hätte sich ein Meerschweinchen schnell erleichtert, aber es gibt auch den ein oder anderen monströsen Haufen, als hätte ein ausgewachsener T-Rex seine Notdurft auf dem Deich verrichtet.
Aufgrund der ausgeprägten Darmtätigkeit meiner wolligen Freunde lasse ich jetzt einfach mal „Im Zweifel für den Angeklagten“ gelten und gehe davon aus, dass sie nicht aus Schikane extra vor das Gatter geköttelt haben. Bestimmt ist es nur ein kleiner Abschiedsprank.
Nach einer knappen Stunde erreiche ich wieder das Eingangsgatter und drehe mich um. „Nun heißt es Abschied nehmen, meine Freunde“, sage ich zu den Schafen. Ich habe eine kleine Rede vorbereitet, in der es um Freundschaft, Vertrauen und Zuneigung geht. Mit ein paar lustigen Anekdoten aus den letzten zwei Wochen, aber auch ein paar emotionalen Sätzen, bei denen ich mit den Tränen kämpfe. Die Schafe eher nicht. Sie fressen teilnahmslos weiter. Eins blökt: „Whatever!“ Ich werde sie trotzdem vermissen!
Einkaufen: Nie ist ein Löwe zur Hand, wenn du ihn brauchst
Nach dem Frühstück und dem Packen – wie immer scheint sich das Gepäck nicht nur vermehrt zu haben, sondern es ist auch schwerer geworden – müssen wir nochmal zum Supermarkt, um ein paar Kleinigkeiten für die Heimreise zu besorgen. Heute ist es dort wesentlich voller, als in den Tagen zuvor.
Durch die vielen Menschen im Laden ist es nicht ganz einfach, den geforderten Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten. Manchen Leuten ist das möglicherweise egal, andere sind gedankenlos – nach meinem gestrigen Masken-Fail beim Bäcker möchte ich da nicht im Glashaus sitzend und Steine schmeißend irgendjemanden verurteilen –, und einige sind vielleicht einfach nicht in der Lage, die 1,50 Meter richtig einzuschätzen. Für letzteres Problem habe ich kürzlich im Internet von einer guten Merkhilfe gelesen. Ein ausgewachsener Löwe ist etwas mehr als 1,50 Meter lang. Sie müssen sich also immer nur fragen, ob zwischen Sie und Ihren Mitmenschen ein Löwe passt, und schon wissen Sie, ob Sie den erforderlichen Mindestabstand einhalten.
Noch viel cooler wäre es selbstverständlich, einen richtigen Löwen mit sich zu führen. Dann würde einem niemand zu nahe kommen. Allerdings weiß ich nicht, ob es überhaupt erlaubt ist, ein Tier mit in den Supermarkt zu nehmen. Egal! Wer will das schon mit dir diskutieren, wenn ein Löwe neben dir steht? Außerdem ist es ja für eine gute Sache: Indem die Menschen den Hygiene-Abstand einhalten, wird das Risiko minimiert, dass sie sich gegenseitig mit Covid-19 anstecken und die Corona-Sterblichkeit wird niedrig gehalten. Die steigende Raubtierattacke-im-Supermarkt-Sterblichkeit müssen wir dann leider in Kauf nehmen.
Der Fluch der Sonnenmilch
Den restlichen Tag genießen wir nochmal am Strand, denn heute ist der Himmel fast wolkenlos und die Sonne scheint satt. Also, für die diesjährigen Verhältnisse zumindest. Es sind immerhin 20 Grad!
Was die Attraktivität eines sonnigen Strandtags ein wenig schmälert, ist die Notwendigkeit, sich sorgfältig mit Sonnenmilch einzucremen. Wenn die Kinder schon größer sind, denkst du, das mit dem Eincremen ist nicht mehr so ein Drama, aber das ist ein spektakulärer Irrtum.
Die moderne Sonnencreme zeichnet sich dadurch aus, dass sie hautschonend, anti-allergen und auch ansonsten vollkommen untadelig ist. Gleichzeitig macht sie durch den Verzicht auf Paraffine, Silikone und Mikroplastik die Umwelt, die Wale, die komplette Fridays-for-Future-Bewegung im Allgemeinen und Greta Thunberg im Besonderen glücklich. (Und aufgrund der horrenden Preise auch die Hersteller und den Finanzminister.)
Allerdings habe ich den Eindruck, die moralische, ökologische und dermatologische Unbedenklichkeit der zeitgenössischen Sonnenmilch geht auf Kosten der Anwendungsfreundlichkeit. Mit anderen Worten: Sie lässt sich nicht besonders gut verteilen. Insbesondere weil ich über die nutzlose Superkraft verfüge, immer zu viel Sonnencreme zu nehmen und deswegen mindestens eine Viertelstunde brauche, bis alles halbwegs auf meinem Körper verteilt ist. Ein Vorgang, dem die semi-erotischen Ausstrahlung der Sonnenmilch-Werbung vollkommen abgeht, wo sich durchtrainierte, gebräunte Models mit makelloser Haut, gegenseitig eincremen. Ich dagegen sitze jetzt im Strandkorb und sehe aus wie eine Mischung aus graubärtigem Schneemann und einer Mumie, die mit ranzigen Quark-Tüchern eingewickelt wurde.
Die Jugend ist besser als ihr Ruf
Bei dem guten Wetter ist der Strand heute etwas voller, glücklicherweise aber nicht so überfüllt, dass der Corona-Abstands-Löwe zum Einsatz kommen muss. Es sind auch wieder viele Familien mit Kindern da. Namen wie Friedrich, Hannah, Julius, Klara, Justus und Paula schwirren durch die Luft, es wird geschnittenes Obst gereicht, mit ökologisch wertvollem Sandspielzeug gespielt und Ausnahmsweise-Eise geholt. Ein Hauch von Prenzlauer Berg weht durch die Strandkorb-Community.
Dafür, dass hier keine totale Bullerbü-Idylle ausbricht, sorgen die Jungs aus der Hamburg-Clique, die sich am Strandkorb neben uns versammeln. Zwei von ihnen sind 16 oder 17, die anderen beiden circa 9 und 10. Sie beugen sich über ein Handy und schauen Let’s-Play-Videos auf YouTube. Es wird gediggert, geaaaltert und geopfert, was das Zeug hält, und sie verwenden eine faszinierend effiziente Grammatik, die weitestgehend auf Präpositionen, Artikel und manchmal sogar Verben verzichtet.
Aber ich möchte hier keine kulturpessimistische Klage über die zunehmende Verdummung der Jugend anstimmen. (Wenn ich mir den Zustand des Planeten und die politische Landschaft in vielen Ländern so anschaue, scheinen auch die älteren Generationen nicht mit allzu viel Schwarm-Intelligenz gesegnet zu sein.) Außerdem würde ich mir meine Unterhaltungen, die ich als Teenager geführt habe, nur sehr ungern noch einmal anhören. Wir haben damals definitiv auch keine literaturwissenschaftlichen Diskurse über das Werk Thomas Manns geführt und uns wie Walther von der Vogelweide ausgedrückt.
Über die ausufernde Handynutzung von Jugendlichen möchte ich mich ebenso nicht auslassen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, mit Internet und sozialen Medien aufzuwachsen. Hätte es das schon zu meiner Schulzeit gegeben, ich hätte mein Abitur frühestens mit 25 gemacht. (Wenn überhaupt.) Außerdem kann ich mir kein abwertendes Urteil erlauben, weil ich selbst seit über einer Stunde auf mein Handy glotze und den „Vier plus Eins“-Blog von Caspar C. Mierau lese. Der ist literaturgeschichtlich vielleicht nicht ganz so bedeutend wie „Tod in Venedig“, aber wesentlich unterhaltsamer.
Wer braucht schon ein Auto, wenn er einen Heli haben kann?
Bevor sich die Eltern weiter über die Handynutzung ihrer Kinder aufregen können, gibt es ein großes Hallo bei der Hamburger Clique, als ein Bekannter an ihren Strandkörben erscheint.
„Na, gefällt dir Sylt nicht mehr und du willst mal auf eine schöne Insel?“, begrüßt ihn der Arzt.
Der Mann lacht, weil er weiß, dass in dem Scherz mehr Neid als Spott steckt.
„Bist du geflogen?“, will der Anwalt wissen.
Während ich überlege, wie und vor allem warum jemand nach Föhr fliegen sollte, nickt der Mann. Daraufhin sagt der Anwalt: „Dachte ich mir schon, dass der Heli auf dem Flugplatz deiner ist.“
Aha, er ist also mit seinem Helikopter gekommen. So unterschiedlich können Biographien verlaufen. Die einen fliegen in ihrem eigenen Hubschrauber von Sylt nach Föhr, die anderen schreiben krude Gedanken in ein Notizbuch. Hauptsache wir sind beide glücklich. (Ich bin es auf jeden Fall. Bei der prekären Parkplatzsituation in unserer Straße wüsste ich auch gar nicht, wo ich einen Helikopter abstellen sollte.)
Und es hat Pock-Pock gemacht
Ich hatte ja schon mal geschrieben, dass du als Eltern denkst, mit der Pubertät überkommt deine Kinder eine gewisse Trägheit, die es dir ermöglicht, ganz in Ruhe am Strand zu entspannen.
Der Sohn zeigt heute aber keinerlei Anzeichen von Pubertätsträgheit, sondern ist von Rastlosigkeit geplagt. Damit sind wir es auch, denn wir müssen ihn entertainen. (Es war vielleicht doch keine gute Idee, dass wir der Tochter erlaubt haben, die zweite Woche des Urlaubs alleine in Berlin zu verbringen.)
Zunächst erbarmt sich die Frau und spielt mit ihm im Meer Ball. Erstens, um sich selbst abzukühlen, und zweitens, weil es ihr peinlich ist, wie ich ins Wasser gehe. (Stichwort: „Tanz der sterbenden Schildkröte“) Anschließend bin ich an der Reihe und spiele mit ihm Beach-Tennis oder wie es bei uns heißt Pock-Pock. Da erweist es sich dann doch als Vorteil, dass der Sohn schon älter ist. Mit zunehmendem Alter und verbesserter Hand-Auge-Koordination macht Pock-Pock spielen mit ihm inzwischen wirklich Spaß. Als die Kinder noch kleiner waren, haben wir nämlich eher Pock gespielt, weil der Ball maximal einmal den Holzschläger berührte und am nächsten Tag hatte ich Gesäß- und Oberschenkelmuskelkater aus der Hölle, weil ich mich ungefähr 300-mal bücken musste, um den Ball aufzuheben.
Mittlerweile kommen aber richtige Ballwechsel zustande, und wir schaffen heute 113 Ballberührungen hintereinander. Ein neuer Familienrekord! Enttäuschenderweise feiert das nicht der gesamte Strandabschnitt mit Standing Ovations, aber trotz dieses Wermutstropfens ist es ein schöner Abschluss für unseren Urlaub.
Strand-Selfie: Bitte nicht lächeln
Bevor wir gehen, fällt der Frau ein, dass wir noch unser obligatorisches Partner-Urlaubs-Selfie machen müssen. Ein Vorhaben, das im Laufe der Jahre in der Umsetzung immer zeitaufwändiger wird.
Zunächst musst du dir so lange durch die Haare fahren, bis sie einigermaßen liegen, kein Geheimratsecken-Verdacht aufkommt und etwaige graue Haare geschickt verdeckt werden. Dann ist ein optimaler Aufnahmewinkel zu finden, um nicht den Eindruck zu erwecken, wir hätten ein Doppelkinn oder eine abnormal große Nase. Nun gilt es noch einen foto-kompatiblen Gesichtsausdruck aufzusetzen, bei dem ich allerdings auf keinen Fall lächeln darf, weil ich sonst aussehe, als hätte ich Durchfall, aber weit und breit ist kein Klo in der Nähe.
Nachdem du so viele Bilder geschossen hast, dass der Speicherplatz deines Handys allmählich knapp wird, musst du hoffen, dass wenigstens eine Aufnahme dabei ist, auf der keiner schielt, den Mund halb offen hat oder mit der Zunge in den Zähnen bohrt. Damit ist das Projekt Partner-Selfie aber noch nicht abgeschlossen, sondern es beginnt die intensive Post Production, um den Gesichtern wenigstens ein bisschen Schärfe und Kontur zu verleihen. Ist die Realität dann immer noch zu realistisch, werden noch ein bis zehn Filter über das Bild gejagt, und schon haben wir einen spontanen Schnappschuss, der zeigt, wie gut wir uns im Urlaub erholt haben.
Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute
Die Frau verteidigt souverän ihre Führung beziehungsweise baut sie sogar aus. Somit ist sie eine würdige Gewinnerin der zweiten Kniffel-Challenge und dass sie eine würdige Spaghetti-Eis-Esserin ist, daran bestehen sowieso keine Zweifel.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Es muss ein einzigartiger, wunderbarer und erholsamer Urlaub gewesen sein. Ich jedenfalls habe mich köstlich amüsiert. Danke dafür! 🤗
Vielen Dank, das freut mich sehr.