Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.
Das Wetter und andere Verdrießlichkeiten
„Und nun zum Wetter: Heute überwiegend bewölkt mit Schauern und Temperaturen von maximal 17 Grad.“ Erneut gibt mir die Wetterfrau im Radio wenig Hoffnung auf einen sommerlichen Urlaubstag am Strand. Aber das ist noch nicht alles. „Ab morgen dann nochmal ein wenig kühler“, fährt sie ungerührt fort. Noch ein wenig kühler? Als 17 Grad? Wer auch immer sich für Föhr den Marketingslogan „Friesische Karabik“ ausgedacht hat, um Touristen auf die Insel zu locken, ist entweder ein zynischer Bastard oder hat beim Texten zu viel Lösungsmittel geschnüffelt oder war noch nie in der Karibik. Wahrscheinlich eine Kombination aus allem.
Eigentlich hatte ich es mir immer ganz romantisch vorgestellt, mal im Herbst ein paar Tage auf Föhr zu verbringen. Mit langen Spaziergängen an der Strandpromenade, der Wind peitscht das Meer auf und wenn es doll regnet, gehst du rein zum Teetrinken und Kuchenessen. Nachdem ich das jetzt aber ein paar Tage mitgemacht habe, finde ich, der Romantikfaktor eines Herbsturlaubs ist möglicherweise doch überschätzt. Vor allem im Juli.
Abschied nehmen: Muss i denn, muss i denn, …
Die Tochter fährt heute zurück nach Berlin. Von daher passt das Wetter ganz gut. Zumindest wenn es nach der Kalenderblattweisheit „Wenn Engel reisen, weint der Himmel.“ geht. Ob das Kalenderblatt wohl auch weiß, wer reist, wenn dir der Regen direkt ins Gesicht peitscht, der Wind so unangenehm bläst, dass dir das Atmen schwer fällt, und der Nebel so tief über dem Meer hängt, dass du alles so verschwommen und schemenhaft erkennst, als hättest du deine Brille mit Leberwurst geputzt?
Am Fähranleger weint die Frau ein bisschen zum Abschied und die Tochter verdrückt ebenfalls ein paar Tränchen. Möglicherweise aber vor Freude, beginnt für sie doch jetzt der Höhepunkt der Sommerferien: Eine Woche ganz alleine Zuhause!
Corona-bedingt müssen wir jedoch die Spießer-Eltern geben und erklären, dass Partys tabu sind. Das gelte sowohl für eine Sturm als auch eine Chill. Um meinem Bildungsauftrag nachzukommen, hier eine kurze Erläuterung für alle Boomer:
- Sturm ist die sprachökonomisch-effiziente Abkürzung von Sturmfrei-Fete. Es handelt sich um eine richtige Party mit vielen Gästen, von denen du nur einen Bruchteil persönlich kennst, und lauter Musik, zu der wild getanzt wird. Alkohol trinken, rauchen und Rauschmittel konsumieren, sind wesentlicher Bestandteil einer gelungenen Sturm. Nachbar:innen sollten vorab über eine Sturm informiert werden, richtige Profis bieten dabei die Übernahme von Kosten für auswärtige Übernachtungen an. Bei der Ankündigung im Hausflur sollte auf die übliche Formulierung „Sollte es zu laut werden, feiert einfach mit“ verzichtet werden, weil sonst eventuell der leicht modrig riechende Typ mit den ungewaschenen Haaren aus der Erdgeschoss-Wohnung, von dem du nie weißt, ob er mehr zum Exhibitionisten oder zum Voyeuristen neigt, plötzlich Bier trinkend in der Küche steht. Nicht immer, aber auch nicht selten, ist es notwendig, nach der Sturm und bevor die Eltern zurückkehren, die Wohnung zu renovieren.
- Eine Chill ist dagegen ein lockeres Zusammensein mit ein paar Freund:innen, das ungefähr 100 Dezibel leiser ist als eine Sturm, wodurch die Gefahr, eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung zu bekommen, erheblich geringer ist. Was das Trinken von Alkohol, das Rauchen sowie der Konsum anderer Rauschmittel angeht, unterscheidet sich die Chill nur unwesentlich von der Sturm. Im Gegensatz zur Sturm muss nach der Chill die Wohnung in der Regel nicht neu tapeziert werden, es ist jedoch angezeigt, die Wohnung gut zu lüften und durchzufeudeln.
Als liberale Eltern sprechen wir aber selbstverständlich kein striktes Party-Verbot aus. Die moderne Erziehung möchte nämlich, dass Kinder in einer Ja-Umgebung aufwachsen, weil das förderlich für die Persönlichkeitsentwicklung und so sein soll. Deshalb verwenden wir eine konstruktive, im Prinzip bejahende Ausdruckweise bezüglich der zu unterlassenden Party: „Durch den Verzicht, eine Fete zu feiern, hast du die Möglichkeit, einen wichtigen Beitrag zu leisten, ein tödliches Virus an der Ausbreitung zu hindern.“ Der Tochter ist unsere Sprachregelung ziemlich egal, sie ist in der nächsten Woche hauptsächlich an einer Ich-habe-meine-Ruhe-Umgebung interessiert.
Familien-Selfie: Immer schön lächeln
Im letzten Moment fällt der Frau ein, dass wir noch unser traditionelles Familien-Urlaub-Selfie machen müssen. Eigentlich müsste ich das Handy halten, da ich in der Familie über die längsten Arme verfüge. Als im Prä-Social-Media-Zeitalter-zur-Welt-Gekommener fehlt es mir jedoch evolutionär bedingt an der motorischen Fähigkeit, das Handy so auszurichten, dass wir alle auf dem Bild sind und aus dem besten Winkel geknipst werden. Deswegen muss die Tochter das übernehmen. Sie ist auch die einzige von uns, die auf Knopfdruck ein fotogenes Lächeln produzieren kann. Mein Gesichtsausdruck ist dagegen immer eine Mischung aus „grinsender Wolf“ und „Erster Sieger beim Karl-Dall-Ähnlichkeitswettbewerb“.
Ich erkläre der Tochter, dass sie jetzt wenigstens ein schönes Andenken an ihre Familie hätte, wenn sie abends Heimweh hat und weinend im Bett liegt. Dann könne sie uns selbstverständlich jederzeit anrufen. Das sei total lieb, erwidert die Tochter, allerdings in einem Tonfall, in dem du mit einem senilen Onkel sprichst. Dann besteigt sie die Fähre und reist ab.
Du da, im Radio, was spielst du für `ne Scheiße
Wettermäßig gehen die Föhrer Edgar-Wallace-Festspiele weiter, so dass wir den Mittag in der Ferienwohnung verbringen. Im Radio läuft ein Lied der Hamburger Singer-Songwriterin Norma, die auf Föhr aufgewachsen ist. Im Refrain heißt es: „Es ist Sommer, 38 Grad im Schatten, Regen fällt heute aus.“ Genau verstehe ich den Text allerdings nicht, weil der Regen so laut gegen die Fensterscheibe prasselt. In welcher Welt lebt Norma eigentlich? Und in welcher der Radio-Moderator, dass er so etwas spielt und vorher noch nicht einmal eine Trigger-Warnung ausspricht?
Ich kenne Norma nicht persönlich und bin mir sicher, sie ist bestimmt eine super sympathische Person, die nett zu Tieren ist, regelmäßig Petitionen für gute Zwecke unterzeichnet und immer den Toilettendeckel runterklappt. Trotzdem mag ich sie nicht. Wer so etwas singt, ist mir einfach suspekt. Außerdem finde ich, es gehört sich für einen öffentlich-rechtlichen Radiosender nicht, solche Fake-News-Lieder zu spielen. Am besten nutze ich den verregneten Nachmittag, um dem NDR eine geharnischte Mail zu schreiben. Für so etwas zahle ich keine GEZ-Gebühren!!11!1!
Apropos Musik, die ich nicht hören will: Anschließend wird ein Lied von Sarah Connor gespielt. „Sind wir bereit“, ihr Corona-Charity-Song, mit dem sie Geld für Menschen sammelt, die durch die Pandemie in Not geraten sind. Das ist zweifellos ein sehr ehrenwertes Anliegen, aber muss das unbedingt mit schlichten Zeilen wie „Die Luft wird klarer und die Meere erholen sich langsam vom Benzin. Und im Hafen von Venedig sah man sogar schon ein‘ Delfin.“ vorgetragen werden? Andererseits ist es auch ganz originell, dass die Igel-Gruppe der Kita Frecher Spatz den Text schreiben durfte.
Auch die Zeile „Was, wenn das, wenn das hier eine Chance ist“ halte ich in der Corona-Zeit für etwas unpassend. Wenn du als Eltern monatelang im Home Office arbeiten und gleichzeitig deine Kinder Home-Schoolen oder Home-Kindergarden musstest, wenn du dich um deine wirtschaftliche Existenz sorgst, wenn du als Angehörige:r einer systemrelaventen Berufsgruppe bis zum Umfallen arbeitest und als einzige Anerkennung Balkon-Klatschen bekommst, oder um deine eigene Gesundheit oder die deiner Angehörigen bangst, dann ist das keine Chance – nicht einmal eine dornige –, sondern einfach kacke und diese „Alles hat sein Gutes“-Perspektive ist einfach fehl am Platz. Das ist im Prinzip der gleiche Unfug wie das Oscar-Wilde-Zitat:
„Everything is going to be fine in the end.
And if it’s not fine it’s not the end.”
Was für ein Humbug! Wenn du in eine Grube mit hungrigen Löwen fällst, ist das definitiv das Ende, aber genauso definitiv nicht „fine“.
Aber so lange durch den Song Geld für Corona-geschädigte Menschen zusammenkommt, ist es ja gut. Besser etwas Gruseliges als gar nichts tun. In diesem Sinne: Spenden Sie fleißig. Sie müssen noch nicht einmal den Song dazu anhören.
Sending picture postcards from Föhr
Ich nutze den Rest des verregneten Tages zur Erledigung einer wichtigen Aufgabe: Ich schreibe Postkarten. Das gehört in unserer funktional-arbeitsgeteilten Ehe traditionell zu meinen Urlaubs-Pflichten. (Vielleicht sollte ich das auch mal regeln, falls wir irgendwann doch noch einen Ehevertrag abschließen sollten.)
Vorsichtig merke ich an, die Frau könne doch auch mal ein paar Karten schreiben. Zumindest an ihre Verwandtschaft, die ich kaum kenne. Häufig weiß ich gar nicht, wann ich die Person, der ich da gerade schreibe, das letzte Mal gesehen habe. Einige der Angeschriebenen sind mir auch vollkommen unbekannt, so dass ich davon ausgehe, sie noch nie getroffen zu haben. Manchmal frage ich mich, was als nächstes kommt. Dass ich den Klassenkamerad:innen der Kinder schreibe? Vielleicht besser nicht, denn deren Eltern könnten das unter Umständen falsch verstehen. Nun ja, bei der krummbuckligen Verwandtschaft der Frau besteht noch die Gefahr, dass eine:r vielleicht etwas zu vererben hat, sich dann möglicherweise an die netten Postkarten erinnert, die immer von uns kamen, und ehe du dich versiehst, erbst du ein baufälliges Eigenheim in der nordhessischen Pampa. Vielleicht sollte ich das mit dem Kartenschreiben doch besser lassen.
Die Frau weigert sich kategorisch, mich beim Postkartenschreiben zu unterstützen, denn das würde doch schon seit jeher ich machen. Eine fast schon erz-konservative, in der Vergangenheit verharrende Einstellung, wie ich finde, die sich nicht einmal die Mühe macht, auch nur den Anschein einer logischen Begründung zu erwecken. Gönnerhaft bietet sie aber an, die Adressen auf den Karten zu notieren. Das lehne ich wiederum ab. Da habe ich auch meinen Stolz. Wie sähe das überhaupt aus mit zwei unterschiedlichen Handschriften auf der Karte?
Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass Stolz zu haben, nicht prinzipiell etwas Gutes ist, denn ich habe große Schwierigkeiten in unserem Adressbuch die Handschrift der Frau zu entziffern. Warum musste sie auch alles in Großbuchstaben schreiben? Erstaunlich, wie ähnlich sich Us, Ns und Ks sehen können. Vielleicht sollte sie mal zur Ergotherapie gehen und ein paar Malübungen machen. So unleserlich wie das ist, könnte sie glatt als Ärztin durchgehen. Ist sie aber leider nicht. Sonst wäre unser Haushaltseinkommen um ein Vielfaches höher, und ich könnte einem Bediensteten auftragen, nicht nur die Adressen zu entziffern, sondern auch gleich die Karten zu schreiben.
Während des Schreibens stelle ich fest, dass die Karten einen leichten Lösungsmittelgeruch verbreiten. Anscheinend wurde beim Druck auf Biofarben verzichtet. Und auch auf Farben, die nur ansatzweise den EU-Richtlinien zum sicheren Einsatz von Chemikalien entsprechen. Vielleicht hätte ich doch nicht die Karten für 50 Cent das Stück nehmen sollen. Egal. Die Ausdünstungen verursachen ein wenig Kopfweh, machen aber auch ein bisschen high. Leider werden die Texte trotzdem nicht besser. (Sorry, an alle, die eine billige Postkarte mit mittelmäßigen Urlaubsgrüßen bekommen haben.)
Das Texten der Postkarten ist dieses Jahr aber auch besonders herausfordernd. Normalerweise fasst du in drei oder vier prägnanten Sätzen den Urlaub zusammen, wobei du positive Aspekte wie Sonne, Spaß am Strand, gute Stimmung und leckeres Essen hervorhebst. Das ist aber angesichts der herbstlichen Temperaturen, der regelmäßigen Schauer und der begrenzten Strandbesuche gar nicht so leicht. Allerdings bin ich als PR-Berater gewohnt, mich im Grenzbereich zwischen Fiktion und Fakten, Wunsch und Wirklichkeit, Wahn und Wahrheit zu bewegen. Nach kurzem Überlegen steht dann der Text:
Liebe Tante Uschi, lieber Onkel Norbert,
wir senden euch herzliche Grüße von der Insel Föhr. Wir haben Wetter , Laune und Sand. Die Campingwecken sind auch wieder lecker. Mehr braucht es doch nicht in diesen Zeiten!
Liebe Grüße!
P.S.: Wir hoffen, ihr erfreut euch bester Gesundheit und genießt noch lange euren Lebensabend in eurem wunderschönen Haus in Dodenau.
Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Abends überlege ich, dass ich dem Wetter gegenüber doch eine positivere Einstellung entwickeln muss. Ich möchte hier ja nicht für einen Mecker-Onkel gehalten werden. Ohnehin ist es total almanhaft, dauernd über zu kalte Temperaturen und zu viel Regen zu schimpfen. Über das schlechte Wetter jammern ist einfach zu almanhaft. Außerdem ist es unangebracht. Zu viel Sonne und Hitze ist ja nicht gut für die Natur, für die Tierwelt und auch nicht für den eigenen Körper und Geist. Sie wissen schon, Dehydration, Sonnenstich, Hautkrebs und so weiter.
Also probiere ich das mal mit dem positiven Denken: Bei Kaffee und Kuchen in der Ferienwohnung zu sitzen, während der Regen gegen die Fensterscheiben prasselt, ist ja eigentlich total hygge. Fehlen nur noch ein paar Vanille-Duftkerzen und diese große Holzbuchstaben, die dekorativ auf dem Regal drapiert werden.
F U C K
Unser tägliches Kniffel-Spiel gib uns heute
Auch ohne die Tochter wird selbstverständlich weitergekniffelt. Diesmal geht es nicht um den Pokal, sondern um eine Portion Spaghetti-Eis, während die Verlierer zur Demütigung nur eine Kugel bekommen. Anscheinend ist das für die Frau ein größerer Anreiz als ein Cup und sie übernimmt gleich die Führung.
Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Ich freue mich, dass Du keinen Ärztinnengehalt-finanzierten Postkartenassi hast.
Wer weiß?!?
*vom durch das Ärztinnengehalt-finanzierten Personal Assistant getippt*
Ich muss gestehen, dass ich seit Tag 2 und den “panda-artigen Augenringen in der Größe von Traktorreifen” als Beschreibung einer AE-Mutter keine Lust mehr auf den Reiseblog habe. Diese ewigen ach so witzen Vergleich, die sich oft aneinander reihen, nun ja. Aber dieses…