Der (fast) alljährliche Urlaubsblog. Diesmal nicht live, aber dafür in Farbe und HD. Zur besseren zeitlichen Orientierung sei erwähnt, dass der Urlaub Ende Juni / Anfang Juli stattfand. Die kompletten Beiträge finden Sie hier.
Ein Urlaubsziel für die ganze Familie. Oder: Mitgehangen, mitgefangen
„Nächstes Jahr fahren wir in den Sommerferien mal wieder nach Föhr“, eröffneten die Frau und ich vor ungefähr einem dreiviertel Jahr am Abendbrottisch den Kindern. Ich überbrachte die Botschaft und legte dabei mehr Begeisterung in meine Stimme als ein QVC-Moderator, der ein siebenteiliges Messerset mit eisgehärteten Klingen aus rostfreiem Stahl anpreist („Das ist der reinste Wahnsinn!!! Damit steht das Kochen nie mehr auf Messsers Schneide! Nie mehr. Waaaaahnsinn!!!“). Die Frau nickte dazu enthusiastisch wie ein Wackel-Dackel auf der Autobahn bei Tempo 250. So sollte bei den Kindern gar nicht erst der Gedanke aufkommen, dass ein Nordsee-Urlaub so viel Exotik und Aufregung wie ein Besuch der Attendorner Tropfsteinhöhle verspricht.
Der Sohn war trotzdem nur mäßig begeistert. Ihm hatte eher ein All-Inclusive-Chillen auf Teneriffa oder Madeira vorgeschwebt, weil er das bei irgendeinem YouTuber gesehen hatte, und sein Plan war es, dort den ganzen Tag am Pool abzuhängen und nur ab und an eine kleine Essenspause einzulegen. Der Urlaubstraum eines jeden Teenagers. Da der Sohn aber keinen Beitrag zum Urlaubsbudget leistet, ist sein Mitspracherecht bei der Wahl des Urlaubsortes sehr beschränkt. Irgendwo haben die liberale Erziehung und die demokratische Mitbestimmung in unserer Familie auch ihre Grenzen. Zum Beispiel bei den Finanzen.
Die Tochter erklärte wiederum, sie würde – unabhängig vom Reiseziel – nicht mitkommen, sie wolle lieber etwas mit ihren Freundinnen unternehmen. Dafür hatte ich großes Verständnis. Mit 16 – oder wie die Tochter sagt „fast 17“ – nehmen die eigenen Eltern auf der Liste der bevorzugten Urlaubsbegleitungen nicht gerade einen vorderen Platz ein. (So lange du noch vor der Lateinlehrerin oder dem Späti-Verkäufer von nebenan stehst, ist aber alles in Ordnung.) Ein paar Wochen später teilte sie dann mit, sie könne sich vorstellen, uns möglicherweise für ein Wochenende auf Föhr zu besuchen. Mit näher rückendem Urlaub hielt sie es für akzeptabel, die erste Woche mitzukommen. Anscheinend sind wir nicht die schlimmsten Eltern der Welt. Oder zumindest einigermaßen annehmbar. Insgeheim stimmt uns die Tochter bei dieser Einschätzung wahrscheinlich sogar zu. Damit wir uns darauf nichts einbilden oder – noch schlimmer – es irgendwann gegen sie verwenden, würde sie das aber nie öffentlich zugeben. Dafür habe ich ebenfalls großes Verständnis.
Für Föhr als Urlaubsziel sprachen aber auch ganz pragmatische Gründe. Nicht weil wir so woke sind und die Insel umweltfreundlich mit der Bahn – und nicht ganz so umweltfreundlich mit der Fähre – erreichen können. Nein, nach der Herz-OP der Frau im letzten Jahr hielten wir es einfach für klüger, nicht ins ferne Ausland zu reisen. Falls irgendetwas Unvorhergesehenes passiert und eine kurzfristige Behandlung nötig wäre, möchtest du nicht unbedingt in einem sardischen Bergdorf sitzen, wo mangels medizinischer Alternativen der Tierarzt die Notfall-Herz-OP durchführt. Ein Argument, dass die Kinder überzeugte. Und die Aussicht auf Föhrer Camping-Wecken ist ja auch nicht schlecht. Da ich sie immer vom Bäcker mitbringe, kommt das einem All-inclusive-Urlaub schon ziemlich nahe. (Der Sohn sieht das möglicherweise anders.)
Social-Distancing-Urlaub in Zeiten von Corona
Es sind noch zwei Tage bis zu unserem Urlaub und ich frage mich, ob es moralisch überhaupt vertretbar ist, in Zeiten von Corona Urlaub zu machen? Dabei suche ich unsere Koffer auf Spinnen ab. Das ist Teil meines Job-Profils in der Familie. Vor Jahren kam der Frau beim Öffnen eines Koffers mal eine Spinne fröhlich entgegengekrabbelt. Da sie ein eher distanziertes Verhältnis zu achtbeinigen Lebewesen pflegt, konnte ich sie damals nur mit Mühe davon überzeugen, dass es wirklich nicht nötig ist, den Koffer im Hof zu verbrennen. Dafür muss ich seither aber vor jeder Reise alle Gepäckstücke einer peniblen Spinnenkontrolle unterziehen. Eine Aufgabe, die ich sehr ernst nehme. Insbesondere wenn die Kinder älter und selbstständiger werden und immer weniger auf elterliche Unterstützung angewiesen sind, ist es ja wichtig, das Gefühl zu haben, überhaupt noch gebraucht zu werden. (Noch wichtiger ist es, dass der Rest der Familie ebenfalls dieses Gefühl hat. Sonst landest du schneller im Siechenheim als du „Prostatabeschwerden“ und „Granu Fink“ sagen kannst.)
Aber zurück zu meinen moralischen Urlaubsüberlegungen: Ist es eine gute Idee, zu verreisen, während sich weltweit ein tödliches Virus ausbreitet? Als Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner ist die Antwort ziemlich easy. Du sagst dir einfach, dass das Corona-Virus eine Erfindung von Bill Gates ist, um die Menschheit zu chippen, und schon kannst du ganz unbeschwert nach Malle fliegen und Schaumpartys feiern. Ob deine Theorie möglicherweise doch die ein oder andere argumentative Schwachstelle hat, darüber kannst du dann nachdenken, wenn du nach dem Urlaub auf der Intensivstation liegst und beatmet wirst.
Ich bin ohnehin skeptisch, was diese Verschwörungstheorien angeht. Wie stümperhaft muss eine Verschwörung bitteschön sein, die von Hirse-Hitler Attila Hildmann aufgedeckt wird? Wahrscheinlich gibt es unter Weltverschwörern sogar einen Hildmann-Test. Wenn der Avocado-Adolf deine Pläne durchschaut, weißt du definitiv, dass du nochmal ein wenig nachjustieren musst, bevor du die Weltherrschaft übernehmen kannst.
Aber ich denke, trotz der unumstrittenen Existenz des Corona-Virus ist unser Urlaub vertretbar. Schließlich machen wir keine Abenteuerreise in eine Fleischfabrik und Föhr ist auch nicht als Corona-Hotspot bekannt, wo wilde Orgien gefeiert werden und sich die Urlaubenden am Strand gegenseitig ablecken. Unser Corona-Risiko sollte also überschaubar sein, wenn wir uns auf Föhr genauso wie in Berlin an die empfohlenen Hygienemaßnahmen wie Niesetikette, Händewaschen und Masketragen halten.
Außerdem sind die Nordseestrände recht weitläufig – insbesondere bei Ebbe – und bieten genügend Platz, um anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Das ist ja auch in Nicht-Pandemie-Zeiten nicht das Schlechteste. Ohnehin kommt das Social Distancing meinem normalen Sozialverhalten sehr entgegen. Die Wohnung möglichst nicht verlassen, Abstand halten und Kontakte meiden, praktiziere ich quasi schon seit über 40 Jahren. Manchmal habe ich das Gefühl, mit der Corona-Isolation so gut zurechtzukommen, weil ich mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet habe. Das sollte mir auch auf Föhr gelingen!
Gute Nacht!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Klasse! :)))
Lustig 😁
Köstlich!
Schon vermisst!
Herrlich – danke 😊
Ich hatte einen echt blöden Tag und die Aluhüte machen mir mittlerweile wirklich Angst, aber „Hirse-Hitler“ und „Avocado-Adolf“ haben mich jetzt richtig zum Lachen gebracht, damit hatte ich heute nicht mehr gerechnet. Vielen Dank, das hat sehr gut getan.
Avocado-Adolf bzw. Hirse-Hitler Hildmann.😂 Und auch sonst sehr erbaulich. Danke!
Hirse-Hitler und Avocado-Adolf! Genial!
Ein Besuch der Attendorner Tropfsteinhöhle kann übrigens sehr aufregend sein! Wenn die 6jährige Tochter vorher gar nicht zur Toilette musste, in der Höhle aber spontan die Blase kurz vorm Platzen ist, die Führung aber noch mindestens 20 Minuten dauert.