Die kompletten Folgen der Stockholm Diaries finden Sie hier.
Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Das ist unschön und wenn du Urlaub hast, noch unschöner. Aber heute geht es zurück nach Berlin. Mit dem Zug. Der fährt zwar erst um 8.30 Uhr los und der Bahnhof ist nur 500 Meter von unserem Hotel entfernt, aber wir haben einen kleinen Puffer eingeplant, damit wir vorher noch in Ruhe in einem Espresso House frühstücken können. Sonst würden wir riskieren, während der Fahrt in ein Zimtschnecken-Cold-Turkey zu fallen und damit wäre ja auch niemandem geholfen.
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Nach dem Frühstück erfahren wir, dass der Zug nach Kopenhagen fünfzehn Minuten Verspätung hat. Für alle Menschen, die immer über die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn meckern, eröffnet das vielleicht eine neue Perspektive: Andere Bahnen sind auch unpünktlich und über die kann man auch schimpfen. Macht hier aber niemand. Auf dem Bahnsteig sind alle extrem entspannt. Wahrscheinlich sind alle auf einem Zimtschnecken-High.
Unser Waggon ist ziemlich ausgelastet. Es gibt eine Jugendgruppe (ein bisschen laut), eine Seniorengruppe (ein bisschen gebrechlich), ein paar Geschäftsleute (ein bisschen wichtig) und uns (ein bisschen gefräßig). Außerdem fahren fünf Kleinkinder im Alter zwischen eins und zwei mit. Die wanken und schwanken ab und an durch den Wagen, brabbeln ein bisschen vor sich hin und sind ebenfalls alle super relaxed. Auch hier vermute ich die sedierende Wirkung von Zimtschnecken. Ist eines der Kleinen mal ein klein wenig quengelig, beruhigt es sich ganz schnell wieder. Wahrscheinlich nach der Zufuhr einer Zimtschnecke.
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Um halb eins gibt es eine Durchsage. Irgendwas sei mit dem dänischen Schienennetz, deswegen könne der Zug nicht bis Kopenhagen fahren und die Fahrt müsse bereits in Malmö enden. Die anderen Reisenden registrieren das mit Gleichmut, niemand regt sich auf. In Deutschland wäre wenigstens ein Murren durch den Waggon gegangen oder eine Meuterei gestartet worden.
Das Umsteigen in Malmö verläuft auch nicht ganz optimal. Im Bahnhof funktionieren die Rolltreppen und Aufzüge nicht und wir müssen alle unser Gepäck die stillstehenden Rolltreppen runtertragen. Wieder gibt es keinerlei Worte des Unmuts oder des Klagens. Ich frage mich, wie viele Zimtschnecken du essen musst, um in diesen zen-artigen Zustand zu kommen. Ich halte mich für einen recht entspannten und ausgeglichenen Menschen, der sich nur sehr, sehr selten aufregt, aber in Skandinavien würde ich als tobsüchtiger Choleriker gelten.
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Als wir im Zug nach Kopenhagen sitzen, bekomme ich eine SMS. Auf Schwedisch. Das Einzige, was ich verstehe, ist die Zahl 525 und der Name Julian, mit dem die SMS unterschrieben ist. 525 war die Nummer des Zuges, mit dem wir gerade gefahren sind. Vielleicht ist es eine Werbemail oder die Aufforderung, irgendwo eine Bewertung zu hinterlassen.
Allerdings gibt es keinen Link und es ist auch eher unüblich, dass solche Nachrichten namentlich unterschrieben sind. Ich lasse mir den Text im Internet übersetzen und bekomme folgendes Resultat.
Hallo!
Haben Sie im Zug 525 ein Nackenkissen vergessen?
Ihr Treiber Julian
(Ich gehe davon aus, dass Treiber eine fehlgeleitete Übersetzung für Fahrer ist. Oder auf mich wurde eine Treibjagd eröffnet, die von Julian angeführt wird.)
Es stellt sich heraus, dass ich tatsächlich mein Nackenkissen auf meinem Platz liegengelassen habe. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, dass ich es aus meinem Rucksack geholt habe. Somit kann mir eigentlich auch kein Vorwurf gemacht werden, dass ich das Kissen nicht wieder eingepackt habe, weil es in meiner Wahrnehmung ja nie den Rucksack verlassen hat. In meiner Wahrnehmung als 14-jähriger sah es aber auch gut aus, die Hosenbeine in die Socken zu stecken und das Ganze mit den Schnürsenkeln zusammenzubinden. Von daher ist meiner Wahrnehmung nicht allzu sehr zu trauen.
Ich bedanke mich bei Julian für die Nachricht und entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten. Da wir bereits im nächsten Zug seien, bitte ich ihn, das Kissen zu entsorgen. Dann bedanke und entschuldige ich mich ein weiteres Mal. (Das habe ich in England im Studium gelernt. Immer tausendmal „Thank you“ und „my deepest apologies“ sagen. Dann erkennt dich niemand als Deutschen.)
Julian antwortet noch einmal. Um 17.30 Uhr sei er an einem Ort, den ich weder lesen noch aussprechen noch schreiben kann. Sollten wir da in der Nähe sein, könnte er mir das Nackenkissen dort übergeben. Ich bedanke mich wieder und erkläre, dass wir dann schon unterwegs nach Hamburg seien und er das Kissen deswegen bitte wegwerfen möge. Kurz überlege ich, ob ich mich bei dem Kissen entschuldigen soll, lasse es aber bleiben.
Auf jeden Fall bin ich sehr beeindruckt von der Freundlichkeit und der Dienstleistungsmentalität der schwedischen Bahn-Mitarbeitenden. Julian ist jetzt mein neuer bester Freund und falls wir in Kopenhagen unseren Anschlusszug verpassen sollten, kann ich ihm schreiben und fragen, ob wir bei ihm übernachten können.
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In Kopenhagen angekommen, gehen wir erstmal zum Mittagessen zu MAX, einer schwedischen Fast-Food-Kette, wo die Burger laut Aussage der Tochter leckerer als bei McDonald’s sind. Beziehungsweise laut Aussage ihrer Freundinnen, denn sie selbst isst keine Burger, sondern nur Pommes oder Cheese Sticks, die seien da aber auch sehr gut.
Wir führen unsere Bestellung an einem Touchscreen durch. Positiv hervorzuheben ist, dass die Burger dort klima-positiv sind. Bei allen Produkten wird mehr CO2 kompensiert als ausgestoßen. Zumindest laut der MAX-Website. Außerdem ist das Angebot an vegetarischen und veganen Burgern sehr, sehr groß. Beim Durchscrollen habe ich den Eindruck, dass es mehr fleischlose als fleischhaltige Burger gibt.
Etwas nervig ist lediglich, dass der Touchscreen dir andauernd weitere Produkte anbietet. Vielleicht noch einen Burger? Oder eine extra Pommes? Wie wäre es mit einem größeren Getränk? Oder einem leckeren Nachtisch?
Wir haben gerade zwei Double-Burger-Menus bestellt – einmal mit cow beef und einmal mit plant beef. Mit Pommes, Saucen und Getränken. Warum sollten wir da noch einen Dubbel Friscoburgare oder einen DeliVery Cheezy Plant Burger nehmen? Und wissen Sie, wie viel Willenskraft ein Mensch aufbringen muss, wenn ihm zum Dessert Lyxshake Choklad, ein Luxury Chocolate Shake mit Sahne, Schokosauce und Schokostreuseln, vorgeschlagen wird?
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Der Bahnhof in Kopenhagen wartet wieder mit phantastisch schnellem mobilem Internet auf. Das war mir schon im Januar aufgefallen, als ich hier mit der Tochter auf Durchreise war. Das mobile Internet ist hier so flott, dass die Seiten bereits aufgehen, bevor du weißt, dass du sie anschauen willst.
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In einem kleinen Supermarkt füllen wir noch unseren Reiseproviant auf. An der Kasse funktionieren unsere EC-Karten nicht. (Ich hoffe, nicht weil unser Konto heillos überzogen ist.) Zum Glück können wir in bar mit Euro-Scheinen bezahlen. Zurück bekommen wir allerdings dänisches Kleingeld. Unter anderem eine 2-Kronen-Münze mit Loch in der Mitte.
Diese 2-Kronen-Münzen habe ich das erste Mal mit ungefähr sieben Jahren gesehen, im Familienurlaub in Dänemark. Das Loch in der Mitte faszinierte mich damals sehr und ich schlug meiner Mutter vor, sie könne die Münze mit einer Kette um den Hals tragen. Aus Gründen, die mir bis heute unbekannt sind, hat sie meinen Vorschlag nie aufgegriffen. Und mein Vater auch nicht. Dabei wäre das doch ein spitzenmäßiges Geburtstagsgeschenk gewesen. Zumindest in den Augen meines siebenjährigen Ichs.
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Die Fahrt nach Hamburg ist recht ereignislos. Zumindest für uns. Für den Mann, der gegenüber von mir sitzt, weniger. Der hat seinen Koffer nicht sorgfältig genug in der Ablage über ihm verstaut und irgendwann fällt er runter auf seinen Kopf. Zumindest ist er danach wach. „Hat `ne Wirkung wie Kaffee“, stellt er fest. „Nicht so lecker, aber dafür billiger“, antworte ich.
Zum Glück war es nicht unser übergewichtiger Bücherkoffer. Sonst säßen wir jetzt wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung in dänischer Untersuchungshaft.
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Unsere letzte Etappe von Hamburg nach Berlin ist ebenfalls sehr ereignisarm. Diesmal nicht nur für uns, sondern für alle Reisenden. Alle Koffer bleiben in den Ablagen liegen und es fliegen auch sonst keine Gepäckstücke durch den Zug. Das einzig bemerkenswerte an der Fahrt ist, dass die Deutsche Bahn überperformt und wir den Berliner Hauptbahnhof fünf Minuten zu früh erreichen. Da brauchst du nicht mal Zimtschnecken, um nicht zu meckern.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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