Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
08. Januar 2022, Stockholm
Wie echte Schweden-Profis frühstücken wir Zimtschnecken und trinken dazu wie echte Schweden-Amateure Cappuccino. Anschließend setzen wir unser Stockholm-Sightwalking fort und gehen zum königlichen Palast, der ungefähr 800 Meter von unserem Hotel liegt, damit ich dort meine nostalgischen royalen Schwärmereien ausleben kann.
Als Kind war ich nämlich großer Fan der europäischen Königshäuser und habe in den Klatschzeitschriften meiner Oma mit großem Eifer die Artikel über den königlichen Nachwuchs wie Prinz William und Prinz Harry gelesen. (Ich hatte sogar ein Baby-Foto von Prinz William an meiner Pinnwand hängen, was hier aber nicht weiter vertieft werden muss.) Da Prinzessin Viktoria von Schweden nur unwesentlich jünger war als ich, hielt ich es mit kindlichem Optimismus für durchaus möglich, dass wir einmal heiraten könnten, was mir eine Karriere als König ermöglicht hätte. Dazu ist es aber nie gekommen. (Ich mache meine Eltern dafür verantwortlich, weil wir immer nur in Dänemark, aber nie in Schweden Urlaub gemacht haben.)
Vor dem Palast stehen ein paar königliche Wachen. Ich frage mich, ob es sich dabei tatsächlich um Elite-Soldaten handelt oder nur um Schauspieler, die in alte Uniformen gesteckt werden und dann im Stechschritt die Palastmauern abschreiten müssen. (Sollten Mitglieder der schwedischen königlichen Wache dies lesen, möchte ich mich in aller Form für meine ehrabschneidenden Gedanken entschuldigen. Da ich nicht satisfaktionsfähig bin, macht es aber keinen Sinn, mich zum Duell herauszufordern.)
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Zur Mittagszeit fahren wir zu unserer zweiten Zimmerbesichtigung. Es geht wieder in den Süden Stockholms, diesmal nach Farsta. Am Bahnhof holt uns die potenzielle Vermieterin ab, damit wir uns nicht verlaufen, weil der Weg zu ihr so kompliziert sei. Sie ist ungefähr Mitte 50, heißt uns herzlich willkommen und entschuldigt sich, dass Schweden unhöflich seien und sich zur Begrüßung nicht die Hand gäben. Ich finde, in Corona-Zeiten ist das vielleicht gar nicht unhöflich, sondern eher vernünftig.
Vom Bahnhof aus betreten wir eine großzügige, moderne Einkaufsstraße mit allerlei Geschäften des täglichen und des untäglichen Bedarfs. Nach ungefähr zehn Minuten erreichen wir die Wohnung, wobei der Weg eigentlich doch gar nicht so kompliziert ist. (Selbst für einen Menschen wie mich, der über den Orientierungssinn einer Stubenfliege verfügt.)
Das zu vermietende Zimmer ist zwar nicht allzu groß, aber funktional eingerichtet und vollkommen ausreichend für eine erste Studentenbude. Das Bad und die Küche sind ebenfalls in Ordnung. Spätestens als die Vermieterin verkündet, dass sie Kuchen gebacken hat und Kaffee für uns kocht, ist uns klar, dass die Tochter das Zimmer nehmen wird.
09. Januar 2022, Stockholm
Wir schlafen heute aus und nehmen gegen kurz nach 11 unser liebgewonnenes schwedisches Touri-Frühstück ein (Zimtschnecken und Cappuccino). Danach machen wir wieder einen unserer ebenfalls liebgewonnen Spaziergänge, schlagen diesmal aber einen anderen Weg ein, um noch etwas Neues zu sehen.
Wir gehen am Wasser entlang, vorbei am pompösen Grand Hotel und an luxuriösen Wohnhäusern. Auf der anderen Uferseite zeichnet sich eine Vielzahl herrschaftlicher Gebäude ab, die alle sehr wichtig aussehen. Allerdings weiß ich bei keinem einzigen, um welche Einrichtung, Kirche oder Sehenswürdigkeit es sich handelt. Früher hast du vor einem Städtetrip den neuesten Marco-Polo-Reiseführer gelesen, um vorab top-informiert und auf dem neuesten Stand zu sein, heute hast du diese Informationen alle kompakt und viel aktueller in der Hosentasche, bist aber zu faul, dein Handy rauszuholen, um kurz etwas nachzulesen. (Mit „du“ meine ich selbstverständlich mich. Wobei ich mir relativ sicher bin, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht.)
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Nachmittags fahren wir mit Sack und Pack, das heißt, mit einem großen Koffer, einem kleinen Koffer, zwei kleinen Rucksäcken und zwei Jutebeuteln, nach Farsta, um das neue Zimmer der Tochter einzurichten. Bei Kaffee und Kuchen unterzeichnet die Tochter dann den Mietvertrag und bekommt von ihrer Vermieterin ihren Schlüssel ausgehändigt. Nun hat die Tochter ganz offiziell ihre erste Studentenbude. Toll! Und meine Frau und ich dürfen ganz offiziell für die erste Studentenbude eines unserer Kinder bezahlen. Ein bisschen toll!
Anschließend gehe ich mit der Tochter nochmal zum Supermarkt, um gemeinsam mit ihr die nötigsten Sachen für die nächsten Tage einzukaufen. Schließlich möchtest du als Vater sicher gehen, dass dein Kind genügend Nudeln und Ketchup hat, um ein ordentliches Studentinnenleben zu führen.
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Schließlich ist die Zeit gekommen, um Abschied zu nehmen. Ein komisches Gefühl. Ich fahre morgen früh zurück nach Berlin, die Tochter bleibt hier in Stockholm.
Für die Tochter geht ein Lebensabschnitt zu Ende und ein neuer beginnt. Und für uns Eltern auch. Mir wird etwas wehmütig. Natürlich ist es gut, wenn du dein Kind zur Selbstständigkeit erzogen hast, so dass es eines Tages auszieht, um auf eigenen Füßen zu stehen. Aber muss das denn jetzt schon sein? Es ist doch erst 18 Jahre her, dass wir sie auf dem Arm gehalten haben und uns darüber freuten, das süßeste Baby der Welt zu haben. (Es ist auch 18 Jahre her, dass wir feststellten, ein sehr schlafunwilliges Baby zu haben, aber das ist eine andere Geschichte.)
Ja, es muss wohl jetzt sein, dass die Tochter den Schritt wagt, die Welt alleine und ohne unsere ständige Begleitung zu erobern. Zum Studium in eine andere Stadt und sogar ein anderes Land zu gehen, wo du niemanden kennst und die Sprache nicht beherrschst, ist besorgniserregend und angsteinflößend. Aber auch interessant, spannend und herausfordernd und wahrscheinlich wird es eine der besten Zeiten im Leben unserer Tochter.
Mir bleiben zum Abschluss nur die Worte des jungen Mannes aus dem Testzentrum:
„Viel Spaß in Schweden und pass gut auf dich auf. Und vergiss’ uns nicht und komm’ wieder zurück.“
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
da bin ich ja auf weitere ähnliche einträge gespannt: Familie macht Urlaub in Schweden :-D
Vielleicht gibt es dort dann auch Campingwecken…?! 🙂
So ein wunderbarer Bericht aus Stockholm, er hat mich ganz melancholisch gemacht – aber mich zum Glück auch zum Lachen gebracht. Ich habe selbst jahrelang in Schweden (unter anderem auch Stockholm) studiert und gearbeitet. Und es waren tatsächlich die besten Jahre meines Lebens. Sag‘ deiner Tochter, sie soll Glühwein (Glögg) im Chokladkoppen in Gamla Stad trinken, in Ett Bageri beim Stadion Zimtschnecken essen und auf Djurgarden spazieren gehen. Vielleicht hat ja noch Rosendals Trädgård für einen Cappuccino auf ;-). Du siehst, ich lebe meine Stockholm-Träume über deine Tochter aus. Pussar och kramar till Sverige!
Vielen Dank, ich werde es der Tochter ausrichten.
Alles Gute für Fräulein Tochter :)
Herzlichen Dank!