Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
30. Dezember 2024, Berlin
Jahresendeinkauf bei Penny. Die Situation im Eingangsbereich ist unübersichtlich. Die einen warten auf Einkaufswägen, die anderen stehen am Pfandautomaten an.
Ein abgerissener Typ spricht mich an. Ob ich auch Pfand zurückgeben wolle. Ich verneine, ich bräuchte einen Wagen.
Dann fragt er unvermittelt, ob ich ABBA kenne. „Die Band?“, frage ich zurück. Er nickt. „Ja“, erwidere ich zögerlich. „Die Lieder habe ich gesungen“, sagt er. „In einer Cover-Band?“, frage ich. Er schüttelt den Kopf. „Die Lieder sind von mir.“ Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Vor allem weil er danach sagt: „Die von den Beatles auch. Und von Tupac.“
Harry Potter habe er ebenfalls geschrieben, fährt er fort. Er hätte schon eine Lagerhalle voll mit gedruckten Büchern gehabt, sein Bruder hätte die allerdings abgebrannt. Die Idee sei aber von ihm. Ich fürchte mir ist meine Skepsis anzusehen und sage nur „Aha.“
Anschließend wird es vogelwild. Nun erklärt der Mann, er habe die Erde erschaffen und erläutert kenntnisreich, wie der von ihm ausgelöste Urknall abgelaufen ist. Zumindest belesen ist er. Und mit einer Menge Phantasie ausgestattet.
Vielleicht tue ich ihm auch unrecht und ich unterhalte mich tatsächlich gerade mit dem Schöpfer des Lebens. Und dem Urheber des ABBA-, Beatles- und Tupac-Oeuvres sowie der Harry-Potter-Saga.
Aber was ist dann in einem Leben schief gelaufen, dass er vor Milliarden von Jahren die Erde erschaffen, einige der größten Hits der Musikgeschichte komponiert sowie die populärste Buch-Reihe aller Zeiten geschrieben hat hast und jetzt bei Penny Leergut zu Geld machen muss?
Bevor ich mich weiter mit dieser Frage beschäftigen kann, wird ein Wagen frei und der Mann ist an der Reihe am Pfandautomaten. So trennen sich unserer Wege. Wenn morgen um Mitternacht „Happy New Year” läuft, werde ich an ihn denken.
31. Dezember 2024, Berlin
Silvesterlauf im Grunewald. Der letzte Lauf des Jahres. Damit das nicht zu viel Spaß macht, geht es den Teufels- und danach noch den Drachenberg hoch. Und wieder runter. Zwischendurch stelle ich mir die existenzielle Frage: „Warum?“
In meiner Nähe läuft ein spanisches Pärchen. Sie in Supergirl-Kostüm mit schimmerndem Umhang, er in bunten Laufklamotten, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob er sie ironisch trägt oder ob das seine normale Sportbekleidung ist. In der Hand trägt er eine kleine Boombox, aus der nervige, aber laufrhythmuskompatible Elektro-Mucke plärrt.
An den Anstiegen nimmt der Typ die Hand seiner Partnerin und zieht sie ein wenig. Wenn sie nicht mehr kann, legt er mit leichten, federnden Schritten einen Zwischensprint ein. Als wolle er zeigen: „Hey, ich kann viel schneller laufen. Ich bin nur wegen meiner Freundin so langsam.“
Trottel. Vielleicht bin ich auch nur neidisch, weil er schneller ist als ich und ich nur wegen mir so langsam bin.
Nach rund einer Stunde komme ich im Ziel an. Dort wartet als Belohnung ein Pfannkuchen (aka Berliner aka Kreppel). Man hatte ja sonst noch nicht so viel Süßes im Dezember. (Möglicherweise ist das der Grund für mein langsames Tempo.)
Am Abend traditionelles Silvesterprogramm mit unseren Freunden aus Friedrichshafen, die dieses Jahr nach Berlin gekommen sind: Raclette, XXL Tabu, Dinner for One, um null Uhr Anstoßen und kurz vor die Tür, das Feuerwerk anschauen.
Ich bin erstaunt, dass überhaupt noch etwas zum Feuerwerken übrig ist. Seit ungefähr 18 Uhr wurde schon ununterbrochen und in einer Frequenz geböllert, dass seit Stunden im Hintergrund ein stakkatoartiger Trommelfeuer-Soundtrack im Hintergrund abläuft, bei dem du denkst, er hört nie auf.
Egal. Willkommen 2025. Möge es gnädig mit uns sein.
01. Januar 2025, Berlin
Nachmittags traditionelles Erster-Januar-Programm: ausgiebiger Neujahrsspaziergang. (Der Rentner in mir freut sich.) Die Spree entlang, durch den Tiergarten, am Brandenburger Tor vorbei, dann Unter den Linden bis zur Museumsinsel.
Kurzer Abstecher zur St. Hedwigs Kathedrale, eine der bedeutendsten katholischen Kirchen der Stadt. Von 2018 bis November 2024 war sie wegen Sanierungs- und Umbauarbeiten geschlossen. Man kann den Verantwortlichen wahrlich keinen Hang zu ausuferndem Pomp und überbordendem Prunk vorwerfen. Alles sehr weiß, sehr minimalistisch, sehr zurückgenommen. Sieht trotzdem teuer aus.
Anschließend Besuch im Humboldt Forum. Moralisch selbstverständlich etwas fragwürdig, diese Schlossrekonstruktion zur Befriedigung feuchter Preußenphantasien, die auch noch großzügig von rechtsradikalen Großspendern unterstützt wurde. Andererseits muss man sich ja auch mal selbst ein Bild von so etwas machen.
Das Gebäude ist verwirrend unübersichtlich und die Themen verwirrend vielfältig. Was unter Umständen daran liegt, dass ich mich vorher nicht informiert habe, was dort alles gezeigt wird.
Schauen uns im zweiten Stock die Amerikas-Ausstellung an. Unter anderem über das Unrecht, das den First Nations in Kanada angetan wurde, und über die Brutalität und Skrupellosigkeit, mit der die europäischen Kolonialisten vorgingen, um die indigene Bevölkerung umzubringen, ihnen das Land zu entreißen und sie ihrer kulturellen Identität zu berauben. (Stichworte: gezielte Verbreitung von Pocken und residential schools)
Danach noch ein kurzer Blick auf die Benin-Bronzen, aber mir fehlen Energie und Konzentration, um mich eingehend mit den komplexen Hintergründen und aktuellen Diskussionen zu beschäftigen. In Museen reicht meine Aufmerksamkeitsspanne lediglich für einen Saal. (Und auch nur an einem guten Tag, wenn ich ausgeschlafen und fit bin.)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)