Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
09. Januar 2023, Berlin
Heute ist Nationaler-räume-deinen-Schreibtisch-auf-Tag. Gerne würde ich diesen Tag begehen, aber es ist mir nicht möglich. Mein Schreibtisch ist bereits in tadellos aufgeräumtem Zustand. Das liegt nicht daran, dass ich ein so ordentlicher Mensch bin, sondern ich habe seit circa drei Wochen keinen Zugang zu ihm. Die Tochter schläft während ihres Besuchs bei uns auf der Schlafcouch im Arbeitszimmer und verbringt auch den größten Teil des Tages auf diesem Sofa und in besagtem Arbeitszimmer.
Daher muss ich zurzeit an unserem Esstisch im Wohnzimmer arbeiten. Der könnte allerdings mal aufgeräumt werden. Ich verzichte trotzdem darauf. Schließlich ist heute nicht der Nationale-räume-deinen-Esstisch-im-Wohnzimmerauf-an-dem-du-arbeiten-musst-weil-deine-Tochter-in-deinem-Arbeitszimmer-schläft-Tag.
10. Januar 2023, Berlin
Der 10. Januar ist Ehrentag der Zimmerpflanze. Ein Tag, an dem ich der allersten Zimmerpflanze gedenke, die unter meinen gärtnerisch inkompetenten Händen eingegangen ist.
Während meines Zivildienstes in Freiburg kaufte ich mir einen Efeu. Mit diesem wollte ich mein karges Zimmer im Schwesternwohnheim etwas aufhübschen. Das gelang nur bedingt bis gar nicht. Hässliche Möbel werden nicht weniger hässlich, wenn irgendwo im Raum ein zartes Grünpflänzchen verloren herumsteht. Dem Efeu ging es in dieser Zeit trotzdem recht gut. Ich goss ihn regelmäßig und er wuchs und gedieh.
Nach Ende des Zivildienstes nahm ich den Efeu mit zum Studium nach Marburg. Erneut sollte er für die Verschönerung meines Zimmers sorgen, das mit eklektisch zusammengestellten Möbeln ausgestatteten war. Erneut scheiterte er an dieser unlösbaren Aufgabe.
Mein erstes Semester war durch Uni- und noch mehr durch Kneipen- und Partybesuche gekennzeichnet. Dennoch nahm ich meine gärtnerischen Pflichten ernst und wässerte den Efeu fleißig. Der dankte es mir, indem er weiter wuchs und stetig an Länge und Volumen zulegte.
Das Unglück nahm seinen Lauf, als mir meine Eltern ein Osterpaket schickten. Das enthielt neben Ostereiern, Schokohasen und anderen Dingen, an die ich mich nicht erinnere, ein Dekoelement in Form eines niedlichen Häschens, das auf einem Stab befestigt war. Ich hatte zwar keine rechte Verwendung dafür, brachte es aber nicht übers Herz, das Häschen am Spieß wegzuwerfen.
Kurzentschlossen steckte ich den Stab in die Erde des Efeutopfes, ohne darüber nachzudenken, dass der Stab aus Metall war. Aus einem Metall, das in feuchter Erde oxidiert. Falls Sie sich fragen, wie lange ein Efeu überlebt, in dessen Erde sich ein rostender Metallstab befindet, kann ich Ihnen sagen: Nicht sehr lange.
Nach ein, zwei Wochen war der Efeu eingegangen. Es dauerte relativ lange, bis ich einen Zusammenhang zwischen dem Absterben des Efeus und dem korrodierenden Stab hergestellt habe. (Treue Leser*innen wissen, dass weder Chemie noch Biologie zu meinen Glanzfächern zählte.)
Der Tag, an dem der Efeu starb – schöner Titel für einen Roman –, markierte den Beginn meiner unheilvollen gärtnerischen Karriere, im Laufe derer zahlreiche Zimmer- und Balkonpflanzen ihr Leben lassen sollten. Ich goss sie zu viel oder zu wenig, stellte sie an zu dunkle oder zu helle Stellen und unter- oder übertrieb es mit dem Düngen. Ich muss eine Pflanze nur anschauen und schon weicht jegliche Lebenskraft aus ihr. Betrete ich einen Blumenladen, bekommen die Pflanzen Panikattacken, weil sie Angst haben, ich könnte sie kaufen und umbringen. Wahrscheinlich gibt es demnächst bei Netflix eine True-Crime-Serie über mich: Der Gärtner des Todes.
Da ich mir inzwischen meiner todbringenden Wirkung auf Pflanzen bewusst bin, halte ich mich seit Jahren von Benjaminis, Zimmerpalmen und Co. möglichst fern. Für meinen ersten Efeu kam diese Erkenntnis zu spät. Ruhe in Frieden, mein grüner Freund, ruhe in Frieden.
11. Januar 2023, Berlin
Auf dem Spreeweg überholt mich auf meiner morgendlichen Laufrunde ein Vater mit seinem Sohn auf dem Fahrrad. Der Junge ist ungefähr vier und sein Rad so klein, dass er mächtig in die Pedale treten muss, um mit seinem Papa mitzuhalten. (Circa 834-mal pro Minute.) Trotzdem ist er guter Dinge und singt in einer Phantasiesprache lauthals ein Lied. Auf dem Rücken trägt er einen grünen Drachen-Rucksack aus Filz. Da hätte ich auch gute Laune. Der Drache hat große, schielende Augen, eine rote Zunge und auf der Stirn drei rote Stacheln. An den Seiten des Rucksacks hängen die Arme und Beine des Drachens hinunter.
Vier ist ein beneidenswertes Alter. Du führst ein vollkommen unbeschwertes Leben, hast keine Verpflichtungen, spielst den ganzen Tag in der Kita mit deinen Freund*innen und bekommst den Rand von deinem Brot abgeschnitten. Außerdem kannst du coole Drachenrucksäcke tragen und auf dem Fahrrad Phantasiesprachen-Lieder grölen.
Als Erwachsener geht das alles nicht mehr so einfach. Wenn ich mit Mitte, Ende 40 gefilzte Kinderrucksäcke trage und singend durch die Straßen radle, gelte ich schnell als der „Merkwürdige“, bei dem die Tablettendosierung mal wieder angepasst werden sollte. Dafür kann ich Kuchen zum Frühstück essen, niemand nötigt mich, im Winter doofe Strumpfhosen zu tragen, die am Fuß so knubbeln und immer verrutschen, und ich kann so viel Fernsehschauen, wie ich will, ohne dass mir jemand sagt, meine Medienzeit sei für heute rum, und jetzt gehen wir erstmal Spazieren.
Erwachsensein hat also auch seine Vorteile. (Abgesehen von Putzen, Rechnungen bezahlen und Steuererklärung machen.) Einen gefilzten Drachenrucksack hätte ich trotzdem gerne.
12. Januar 2023, Berlin
Es ist regnerisch. Wie schon seit Tagen. Das ist zwar gut für die Umwelt, aber schlecht fürs Gemüt. Außerdem ist es die ganze Zeit dunkel. Das wirkt auch nicht gerade vitalisierend, wenn du aus dem Fenster schaust und nicht weiß, ob es immer noch oder schon wieder Nacht ist.
Trotz des Regens gehe ich am späten Nachmittag spazieren. Frische Luft und das bisschen Sonnenlicht, das durch die Wolkendecke dringt, sollen ja gut für das körperliche Wohlbefinden sein und die Serotonin-Produktion anregen, was wiederum für gute Laune sorgt. Für das Serotonin könnte ich allerdings auch Schokolade essen. Die fördert auch den Ausstoß von Glückshormonen. Aber nicht auf Dauer. Das verhindert der Gang auf die Waage.
Ich komme an einer Gruppe kleiner Kinder vorbei. Sie tragen Gummistiefel, Regenhosen und Regenjacken mit großen Kapuzen. Sieht aus als würden sie Arbeiter auf einer Öl-Plattform im Meer spielen. Die Kinder haben sich vor einem Gemüseladen an die Ecke einer Markise gestellt, von der der Regen runterläuft. Das Wasser platscht auf ihre Kapuzen und sie haben einen Heidenspaß.
Von Kindern kannst du lernen, wie du dir vom Wetter die Laune nicht vermiesen lässt. Deswegen gehe ich nun am Rand der Markise entlang, so dass der herabstürzende Regen auf meinen Schirm prasselt. Das mache ich aber ganz heimlich, so dass die anderen Passant*innen nicht bemerken, dass ich das mit Absicht mache. Schließlich will ich nicht als der „Merkwürdige“ mit zu geringer Tablettendosierung gelten.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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