Eine kleine Wochenschau | KW04-2024

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


22. Januar 2024, Berlin

6.45 Uhr. Sitze auf dem Sofa und beginne langsam meinen Tag. Zumindest versuche ich es. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Heute startet unsere alljährliche Fastenwoche und da steht Kaffee auf der No-go-Liste. Für die die nächsten vier Tage gibt es nur Wasser und kein Brot, sondern Tee. Keine schöne Aussicht.

Ich verspüre Heißhunger. Immerhin habe ich seit zehn Stunden nichts gegessen. Kein Wunder, dass mir blümerant ist. Sicherlich bin ich hochgradig unterzuckert. Was natürlich Unsinn ist. Auch ohne Fasten läge meine letzte Mahlzeit zehn Stunden zurück. Trotzdem stünde ich da nicht kurz vor einem Schwächeanfall.

Frage mich, wie ich ohne Kaffee in den Tag starten soll. Wer weckt dann meine Lebensgeister? Bestimmt nicht das Glas Wasser, das neben mir steht. Und schon gar nicht der Waldfrucht-Tee, der mich vorwurfsvoll anschaut, weil ich ihn so langsam trinke.

Kaffee ist da anders. Kaffee ist wie ein guter Freund. Kaffee macht dir keine Vorwürfe. Kaffee hilft dir, ohne doofe Fragen zu stellen. Ich vermisse Kaffee.

14 Uhr. Habe keine Lust mehr auf Pfefferminztee. Dabei habe ich noch nicht mal eine Tasse getrunken.

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15.45 Uhr. Einkaufen geht besser als gedacht. Noch habe ich nicht das Hungerstadium erreicht, in dem ich wahllos Lebensmittelpackungen aufreißen und mir den Inhalt reinstopfen möchte.

Im Kassenbereich steht ein Ständer mit verschiedenen Nougat-Spezialitäten. Edelnougat und Schichtnougat. Keine Ahnung, was der Unterschied ist. Dazu müsste ich beide probieren. Ich ignoriere das Nougat-Angebot.

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19.30 Uhr. Auf dem Sofa. Meine Frau und ich trinken gesiebte Gemüsebrühe, was so trostlos schmeckt, wie es sich anhört. Dazu schauen wir einen der Minions-Filme. Da ist sichergestellt, dass nichts gegessen wird. Oder höchstens 3D animiertes Essen. Ein wichtiges Filmauswahl-Kriterium in der Fastenwoche.

23. Januar 2024, Berlin

6.45 Uhr. Wohnzimmer, Sofa, Tee. Geschmackssorte „Heißer Holunder“. Ich hätte gerne Kaffee. Kaffee ist kräftigt, rüttelt dich wach, gibt dir Energie und bringt dich durch den Tag. Tee ist schwächlich, weckt nichts, rüttelt nicht und bringt mich lediglich auf den Gedanken, wieder ins Bett zu gehen und zu schlafen. So lange, bis ich wieder Kaffee trinken darf.

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8. 15 Uhr. Gehe laufen. Damit der Stoffwechsel während des Fastens nicht vollkommen runterfährt und mein Körper denkt, ich sei ein Bär im Winterschlaf.

Bin überrascht, wie fit ich mich fühle. Obwohl ich seit mehr als 35 Stunden nichts gegessen habe. Ist das schon ein Fasten-High? Hat mein Körper angefangen, Keton auszustoßen, das mich euphorisiert, meine Sinne schärft und die Konzentration erhöht. Wie bei den Hadza, einem Stamm aus Tansania. Deren Jäger fasten vor der Jagd tagelang, um leistungsfähiger zu sein. Dann gehen sie mit Pfeil und Bogen auf Beutezug.

So fit bin ich dann doch nicht, dass ich in Berlin mit Pfeil und Bogen jagen möchte. Und nicht so hungrig, dass ich mir anschließend gebratene Straßentaube oder ein Ratten-Ragout zubereiten möchte.

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19.45 Uhr. Same procedure as last evening. Freudlose, gesiebte Gemüsebrühe. Dazu schauen wir „Echo“, eine neue Marvel-Sendung auf Disney+. Sie ist nur mäßig gut, insbesondere für Marvel-Standards.

Das Gute an der Serie: Es wird erfreulich wenig gegessen. Fast überhaupt nicht. Nur einmal wedelt die Protagonistin mit einer Scheibe Knäckebrot, die ihr Frühstück sein soll. Knäckebrot zum Frühstück ist ungefähr genauso traurig wie gesiebte Gemüsebrühe zum Abendessen.

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22.30 Uhr. Liege im Bett und habe Hunger. Auf Brot mit Butter, dicke belegt mit rohem Schinken und Schweizer Käse. Wenn ich Glück habe, träume ich davon, wie ich eine Schinken-Käse-Stulle verputze. Dann bekommt wenigstens mein Traum-Ich etwas zu essen.

24. Januar 2024, Berlin

6.30 Uhr. Auf dem Sofa. Fühle mich schwächlich und vermisse immer noch Kaffee. Ob Kaffee mich auch vermisst? Hoffentlich denkt er nicht, ich hätte Schluss gemacht. Weil ich auch mal andere Heißgetränke treffen will. Auf gar keinen Fall, lieber Kaffee. Und schon gar nicht die ayurvedische Kräutertee-Mischung, die auf der Sofa-Lehne steht und bei der ich mich frage, was die Person, die sie sich ausgedacht hat, mehr hasst: Tee oder Menschen?

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8. 00 Uhr. Möchte laufen gehen, aber es schüttet. Ist das ein Zeichen? Signalisiert mir der Fastengott, ich soll es ruhiger angehen? Oder testet er, ob ich ein Schlappschwanz und Drückeberger bin?

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8. 15 Uhr. Es regnet immer noch. Aber nicht mehr so stark. Was hat das wieder zu bedeuten? Ich würde es begrüßen, der Fastengott würde sich nicht so hieroglyphisch ausdrücken, sondern deutliche und unmissverständliche Signale senden. Oder noch besser eine WhatsApp mit klaren Anweisungen schicken.

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8.30 Uhr. Der Regen hat aufgehört. Ich soll also laufen gehen.

Heute bin ich schlapp und kaputt. Von einem Jäger mit Keton-geschärften Sinnen kann keine Rede sein. Nicht einmal von einem Sammler. Der muss sich ja auch fortbewegen. Ich dagegen krieche auf den letzten Metern wie ein südamerikanisches Zweifingerfaultier die Straße zu unserem Haus hinunter.

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15 Uhr. Es klingelt. Wahrscheinlich ein Paketbote. Ich muss es unbedingt rechtzeitig an die Tür schaffen, bevor er das Paket wieder mitnimmt und ich es morgen bei irgendeinem Kiosk in der Gegend abholen muss.

Ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Schritt für Schritt kämpfe ich mich den nicht enden wollenden Flur entlang. Ich gehe zügiger. Mein Plus geht hoch. Die Sekunden verrinnen. Ich versuche, weiter an Tempo zuzulegen. Meine Atmung wird schwer. Vollkommen durchgeschwitzt erreiche ich gerade noch rechtzeitig die Tür und lasse den Paketboten ins Haus.

Der schaut mich skeptisch an, als ich ihn mit auf den Knien abgestützten Händen und vollkommen durchgeschwitzt an der Wohnungstür empfange. Weil ich so fertig aussehe, stellt er mir das Päckchen in die Küche.

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17.30 Uhr. Mobilisiere meine letzten Energiereserven, um die Post hochzuholen. Ein Behördenschreiben für meine Frau und Werbung für einen Pizza-Lieferservice. Schönen Dank auch.

Ich studiere das Angebot auf dem Prospekt ganz genau. Jede einzelne Pizza. Es gibt Pizza Margherita, Pizza Tonno, Pizza Salami, Pizza Funghi, Pizza Prosciutto, Pizza Capricciosa, Pizza Diabolo, Pizza Spinaci, Pizza Mista, Pizza Calzone, Pizza Bruschetta, Pizza Hawaii, Pizza Chicken & Bacon, Pizza Hot Bacon, Pizza Bacon Star, Pizza Bacon & Eggs, Pizza Steak & Bacon, Pizza Barbecue & Bacon, Pizza BBQ, Pizza Chicken & Curry, Pizza Beef & Onions, Pizza Sucuk, Pizza Vulcano, Pizza Inferno, Pizza Urknall, Pizza Würzwunder, Pizza Homerun, Pizza Regina, Pizza Paparazzi, Pizza Buckelpiste, Pizza Wellenreiter, Pizza Muchacho, Pizza Gaumengangster Pizza 5 Cheese, Pizza French Cheese, Pizza Cheese & Onions, Pizza X-Treme, Pizza Naturglück, Pizza Vegetaria, Pizza Vegan Vegetaria, Pizza Free-Style und Pizza Vegan Free-Style.

Alle Pizzen sehen so verführerisch aus, dass mir das Mund im Wasser zusammenläuft. Ich rieche an dem Prospekt und bilde mir ein, wie mir der Geruch von Tomatensauce, Mozzarella und geschmolzenem Käse in die Nase steigt. Ich habe gerade noch genügend Selbstbeherrschung, den Prospekt nicht aufzuessen.

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19.30 Uhr. Schauen die letzten beiden Folgen von „Echo“. Die sind auch nicht besser als die ersten drei. In einer Szene werden Kekse auf den Tisch gestellt. Ich bewerte die Serie mit „Nichts für mich.”

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22 Uhr. Liege im Bett und denke an Essen. Ich habe nicht einmal richtig Hunger, aber wahnsinnig Lust auf Essen. Auf Nudeln mit Kirschtomaten, Pinienkernen und Parmesanhobeln. Mein Traum-Ich fängt an zu sabbern. Mein Fasten-Ich ebenfalls.


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