Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
29. Januar 2024, Berlin
Jahrestag. Unser 27. Falls Sie sich jetzt fragen: „Wie, 27 Jahre? Sind die beiden schon seit dem Kindergarten zusammen?“ Ja.
In deutlich mehr als der Hälfte dieser Jahre haben wir unseren Jahrestag vergessen. Meistens beide. Zum Glück haben wir noch den Hochzeitstag im Mai. An den denken wir seit acht Jahren nicht. (Dass ich im Ordner „Wichtige Unterlagen“ in unserer Eheurkunde nachschauen musste, in welchem Jahr wir geheiratet haben, verdeutlicht zusätzlich, dass unsere Beziehung zu Jahres- und Hochzeitstagen kompliziert ist.)
Dieses Jahr ist alles anders. Dieses Jahr habe ich an unseren Jahrestag gedacht. Dieses Jahr kann ich mir etwas für den Jahrestag ausdenken. Das ist aus folgendem Grund sehr wichtig: An Weihnachten hat mich meine Frau überrumpelt, indem sie mir einen „Tipi am Kanzleramt“-Gutschein überreichte. Mit der Erklärung, der sei für uns zusammen. Damit wir gemeinsam etwas unternehmen. Das testete die Grenzen unserer seit Jahren geltenden „Wir schenken uns nichts“-Vereinbarung nicht nur aus, sondern verletzte sie aufs Gröbste.
Ein ebenso perfides wie durchschaubares Manöver, um das Gleichgewicht der Kräfte in unserer Beziehung zu ihren Gunsten zu verschieben. Was ihr auch gelang. Als regelbewusster Mensch hatte ich kein gemeinsames Geschenk für uns zusammen vorzuweisen und stand entsprechend blöd da.
Nun überlege ich mir ein Geschenk für unseren Jahrestag, um meine Frau zu düpieren. Darum geht es schließlich bei Jahrestaggeschenken. Die Partnerin oder den Partner schlecht aussehen lassen.
Kuchen backen oder Pralinenpackungen scheiden aus. Nach unserer Fastenwoche vertragen unsere Mägen das noch nicht und es könnte leicht missverstanden werden, wenn ich meiner Frau als Zeichen meiner Zuneigung Magenkrämpfe und Durchfall beschere.
Mit Blumen würde ich sie verwirren, denn ich habe ihr noch nie Blumen geschenkt. Außer vor ein paar Jahren zum Geburtstag. Das war allerdings ein Blumenstrauß aus Lego. Bei Schmuck legt unser Konto ein Veto ein. Außerdem finde ich Schmuck schenken unoriginell und spießig.
Schließlich kommt mir eine zündende Idee. Meine Laufrunde im Volkspark Rehberge führt mich an einer Klinik der Charité vorbei. Dort hat jemand an die Mauer in roter Farbe „You make my heart go boom…“ gesprüht. Davon werde ich ein Foto machen und es rahmen. Das ist fast wie ein Mixtape schenken. Persönlich, wohlbedacht und vor allem erfreulich günstig.
Zur Umsetzung meines Vorhabens laufe ich zunächst zwei Kilometer zur Charité und fotografiere das Wandgraffiti. Von dort gehe ich zum Schultheiß-Quartier (knapp zwei weitere Kilometer), wo ich bei dm die Bilder ausdrucke und einen Rahmen erstehe. Zuhause (fast ein Kilometer) muss ich jedoch feststellen, dass das Foto in dem Rahmen nicht gut aussieht.
Also zurück zum Schultheiß-Quartier (wieder fast ein Kilometer), um bei Pepco, Tedi und Woolworth mein Rahmenglück zu versuchen. Das ist nicht so einfach, denn diese Läden verfügen über eine äußerst begrenzte Auswahl an schönen Rahmen. Dass ich mich für ein quadratisches Bildformat entschieden habe, schränkt das Rahmenangebot zusätzlich ein.
Ich erstehe schließlich bei Tedi einen akzeptablen Rahmen. Auf dem Heimweg schaue ich trotzdem nochmal in einem Fotoladen nach ästhetisch ansprechenderen Alternativen (Fehlanzeige), suche ein zweites Fotogeschäft auf (zweite Fehlanzeige) und gehe außerdem noch die gesamte Turmstraße ab in der Hoffnung, bei Euroshop, City-Discount und einem weiteren Tedi fündig zu werden. (Dritte, vierte, fünfte Fehlanzeige; weitere anderthalb Kilometer Wegstrecke)
Nun mache ich mich auf in die Levetzostraße, wo es eine Glaserei gibt, die auch Rahmen maßanfertigt. (Plus ein zusätzlicher Kilometer) Dort komme ich um 17.01 Uhr an, was genau eine Minute nach Ladenschluss ist.
Ganz umsonst war mein Fußmarsch trotzdem nicht. Auf der anderen Straßenseite ist ein Supermarkt. In dem suche ich nach etwas Schokoladigem. Um das Foto-Rahmen-Geschenk abzurunden. Am besten in Herzform. Etwas das kitschig und gleichzeitig ironisch brechend ist.
Da ist die Auswahl allerdings ähnlich begrenzt wie das Angebot an schönen Rahmen in den Resterampenläden unseres Kiezes. Lediglich Reber hat herzförmige Mozartkugeln. Die entsprechend keine Kugeln mehr sind, denn Kugel- und Herzform sind nicht kompatibel. Es gibt eine Wolfgang-Amadeus-Mozart- und einer Constanze-Mozart-Variante. Jeweils nur in 10er-Packungen, die zusammen dreimal so viel kosten wie der Tedi-Rahmen.
Zuhause angekommen (800 Meter) packe ich das Foto in den Rahmen, stelle es an die Vase mit den Legoblumen und drapiere ein Constanze- und ein Wolfgang-Herz dazu. Perfekt.
Kurz nach 19 Uhr. Meine Frau kommt nach Hause, schaut sie sich das Ensemble an und fragt: „Was ist das?“ Mein inneres Ich frohlockt. „Was ist heute für ein Datum?”, frage ich zurück. „Der 29.“, antwortet sie. „Und?“, frage ich weiter. Sie schaut mich fragend an. Mein inneres Ich macht eine Becker-Faust. „Heute ist unser Jahrestag“, sage ich. „Mensch, den habe ich total vergessen“, erwidert sie. Mein inneres Ich fällt auf die Knie und reißt die Arme jubelnd in die Höhe.
Nun kann ich für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, erzählen, wie ich über 11.000 Schritte und fast zehn Kilometer durch Berlin gelaufen bin, fotografiert, Bilder entwickelt, unzählige Läden auf der Suche nach einem Rahmen abgeklappert und im Supermarkt eine halbe Stunde nach passender Schokolade gesucht habe, während sich meine Frau nicht einmal an das Datum unseres Jahrestags erinnern konnte. Das ist das beste Geschenk, das sie mir machen konnte.
30. Januar 2024, Berlin
Ich stoße auf einen Artikel auf Spiegel Online Artikel von letzter Woche. „Superreiche vertreiben einfache Millionäre“ Auf einer Insel vor Miami kaufen Milliardäre immer mehr Anwesen auf und verdrängen nach und nach die dortigen Bewohner*innen, die durchaus als wohlhabend gelten können. Mein Mitleid mit den einfachen Millionären hält sich in Grenzen. Sollen sie halt Kuchen essen.
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Der Briefträger klingelt und überreicht mir einen braunen Umschlag, der nicht in den Briefkasten gepasst hat. Eine Büchersendung. Sicherlich meine beiden Belegexemplare für die 10. Auflage von „Hilfe, ich werde Papa!“
Als ich den Umschlag öffne, kommt allerdings ein anderes Buch zum Vorschein. „Rainer Maria Rilke und Franz Kafka. Lebensweg und Krankheit im 20. Jahrhundert“ von Peter Selg. Klingt nach einer Doktorarbeit in vergleichender Literaturwissenschaft. Und nach einer erfolgsversprechenden Einschlafhilfe. (Sorry, Peter Selg.)
Es stellt sich heraus, dass das Medien-Logistikunternehmen, das für den Versand der Belegexemplare zuständig ist, die Bücher versehentlich vertauscht hat. Was Peter Selg wohl gedacht hat, als er den Umschlag aufgerissen hat, in freudiger Erwartung, sein Werk, an dem er jahrelang im Schweiße seines Angesichts geschrieben hat, endlich in den Händen zu halten, und dann fiel ihm ein Vaterratgeber von zweifelhafter literarischen – und pädagogischer – Qualität in die Hände? Da wäre ich gerne dabei gewesen.
Sollte jemand Interesse an dem Rilke-Kafka-Werk haben, möge er oder sie mir das bitte per Mail mitteilen.
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Der Sohn erklärt abends, bis zum Abitur seien es nur noch 34 Tage, an denen er in die Schule muss. Dann wars das für ihn mit der Schule. Eine Aussicht, die ihn mit Freude zu erfüllen scheint. Fehlt nur noch, dass er ein Maßband hervorholt und für jeden Tag einen Zentimeter abschneidet, um seine ablaufende Schulkarriere zu zelebrieren.
Meine Frau und ich müssen uns noch an den Gedanken gewöhnen, dass der Sohn bald Abitur macht. In ein paar Monaten werden wir keine Kinder mehr haben, die zur Schule gehen. Nur noch schullose Kinder. Das fühlt sich alt an. Kinder zu haben, die mit der Schule fertig sind. Da ist der Altersruhestand nicht mehr weit.
Dass die Kinder nicht mehr zu Schule gehen, hat aber auch sein Gutes: Nie wieder Elternabende und nie wieder Elternsprechtagen. Das hält sicherlich jung.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)