Eine kleine Wochenschau | KW06-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


07. Februar 2022, Berlin

Ich starte in unsere jährliche Saftfastenwoche mit einer Tasse Tee. Heißer Holunder. Nach drei Schlucken habe ich kein Bock mehr auf Tee. Ich habe prinzipiell nichts gegen Holunder. Meine Haltung gegenüber Holunder würde ich als indifferent bezeichnen. Er ist mir schlichtweg egal. (Ohne zu googeln, weiß ich nicht einmal wie Holunder aussieht.) Aber normalerweise würde ich jetzt einen Kaffee trinken, der Körper und Geist aus dem Standby-Modus holt und mich in einen menschähnlichen Zustand transformiert. Da kann Holunder einfach nicht mithalten.

Koffein ist beim Saftfasten jedoch nicht erlaubt. Da haben die Saftfastengötter einen Riegel vorgeschoben. (Wie auch vor alles andere, was ein kleines bisschen Spaß machen würde.)

Also sitze ich auf dem Sofa, nippe an meinem Holundertee und versuche mir einzureden, dass er eigentlich doch ganz lecker ist. Das will mir aber nicht recht gelingen. Für so viel Phantasie, Selbstsuggestion und Selbstbetrug bräuchte ich erstmal eine ordentliche Ladung Koffein.

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Während des Arbeitens höre ich eine Playlist mit irischer Folkmusik. Ich sollte mir mal Gedanken über meine Hörgewohnheiten machen, dass mir Spotify so etwas vorschlägt. Und dass ich dann auf Play drücke. Offenbar habe ich schon nach einem halben Tag Fasten erste Ausfallerscheinungen.

Einige der Songs klingen recht weihnachtlich. Sofort denke ich mit Wehmut an Plätzchen und Christstollen zurück. Anstatt mich am Weihnachtsgebäck zu laben, trinke ich ein Glas Traubensaft. Der ist zwar auch lecker, noch leckerer wären aber ein paar Zimtsterne oder Vanillekipferl. Oder Dominosteine. (Warum eigentlich oder?)

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Abends gehen meine Frau und ich spazieren. Wir erzählen uns gegenseitig, was wir gerne essen würden. Meine Frau hat Lust auf Süßkartoffel-Pommes, ich auf eine dicke Käsestulle. So richtig dick. Mit einer dicken Scheibe Brot, die dick mit Salzbutter bestrichen und dick mit Käse belegt ist. (Hauptsache dick, dick, dick.)

Ich versuche mir einzureden, dass an Essen zu denken fast so gut ist wie wirklich zu essen. Für so viel Phantasie, Selbstsuggestion und Selbstbetrug fehlt mir aber die Energie. Dazu müsste ich erstmal ein Käsebrot essen.

08. Februar 2022, Berlin

Um zu verdrängen, dass ich keinen Kaffee trinken darf, mache ich einen frühmorgendlichen Spaziergang. Ich laufe an einer Frau vorbei, die einen Apfelkuchen vor ihrer Brust trägt. Sie streckt mir den Kuchen fast schon provozierend entgegen. Es kostet mich sehr viel Selbstbeherrschung – und das, ohne Kaffee getrunken zu haben –, ihr nicht die Backform zu entreißen. Nicht, um mir den Kuchen ohne Sinn und verstand reinzustopfen. Nein, ich würde gerne mein Gesicht in ihn reindrücken, damit ich seinen Duft und seine Aromen so intensiv wie möglich aufnehmen und den saftigen Teig auf meiner Haut spüren kann. Und danach würde ich ihn mir ohne Sinn und Verstand reinstopfen.

Mit fast schon übermenschlicher Willenskraft reiße ich mich aber zusammen und gehe weiter. Die Frau weiß gar nicht, wie knapp sie einem sehr traumatisierendem Erlebnis am frühen Morgen entgangen ist.

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Beim Einkaufen macht sich das Fasten ebenfalls bemerkbar. Nicht, weil ich mir wahl- und zügellos irgendwelche Lebensmittel von Bananen über Pudding bis zu Schokoriegeln einverleiben möchte, sondern der Einkaufswagen ist viel leerer als gewöhnlich. Das Saftfasten entspannt also nicht nur den Hosenbund, sondern auch die Haushaltskasse.

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Abends gehen meine Frau und ich wieder spazieren. Sie würde gerne Hühnchen-Pilaw essen, ich habe immer noch Käsestullengelüste.

09. Februar 2022, Berlin

Die Tochter muss in Stockholm das allererstes Uni-Referat ihres Lebens halten. Auf Englisch und vor ihrer Laptop-Kamera. Es läuft alles gut und sie erleidet entgegen ihren Befürchtungen während des Vortrags weder einen Nervenzusammenbruch noch hat sie einen Blackout.

Abends geht sie mit ein paar anderen Studierenden aus. Sie trinken nicht nur auf ihre überstandenen Referate, sondern auch auf das Ende der Corona-Beschränkungen in Schweden. Die bestanden größtenteils ohnehin nur darin, dass Bars und Restaurants schon um 23 Uhr schließen mussten. Eine für mich persönlich gar nicht so beschränkende Beschränkung, denn ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich selbst vor Corona das letzte Mal nach 23 Uhr in einer Bar oder einem Restaurant war. Oder überhaupt in einer Bar oder einem Restaurant.

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Abendlicher Spaziergang: Meiner Frau gelüstet es nach Fleisch. Gebratene Hühnerbrust, oder so. Hauptsache viel. Ich will weiterhin Käsestullen essen. Das ist etwas langweilig, aber aufgrund meines Kaloriendefizits bin ich zu antriebslos, um mir anderes Essen vorzustellen.

10. Februar 2022, Berlin

Im Laufe des Vormittags stelle ich fest, dass sich mein Hungergefühl in Grenzen hält. Genauso wie mein Verlangen nach leckeren Sachen wie Pizza, Käsekuchen oder Kekse. Schlimm! Das ist fast so wie irgendwann im Alter die Lust auf Sex zu verlieren. (Interesting side note und too much information in einem Satz: Beim Saftfasten hält sich irgendwann nicht nur das kulinarische, sondern auch das libidinöse Verlangen in Grenzen. Aber das ist den asketischen, spaßbefreiten Fastengöttern wahrscheinlich nur recht.)

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Beim Abendspaziergang verfolgt uns der Geruch von Pizza, Döner und griechischem Essen. Vor einem Laden bleiben meine Frau und ich stehen und inhalieren den Essensduft so intensiv wie ein Kettenraucher seine letzte Zigarette auf dem Sterbebett.

11. Februar 2022, Berlin

Während mein Enthusiasmus und mein Engagement bei der Verrichtung meiner Agenturarbeit stetig abnimmt, nimmt mein Hunger heute wieder zu. Ich versuche mich abzulenken, indem ich meine Social-Media-Kanäle checke. Auf Instagram wird mir als erstes ein Bild von einem monströs großem Stück Marzipan und einer Tasse Kaffee angezeigt. (Vielen Dank auch, Inke!)

Ich wechsle zu Twitter, wo ich nach kurzem Scrollen ein Video sehe, wie irgendein unverschämter Unflat Schokoladen-Sauce auf einem frischgebackenen Brownie verteilt. (Ja, ich meine dich, Dave!)

Wo sind eigentlich die Triggerwarnungen, wenn du sie wirklich brauchst?

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Auf unserer abendlichen Runde um den Block, entdecke ich vor dem Späti zwei Straßen weiter ein Werbeschild: Bock auf Spaß? Lachgas. Ein ziemlich attraktives Angebot für die trübe Corona-Zeit, wie ich finde.

Okay, bei einer kleinen Recherche stellt sich heraus, dass es sich nicht um Lachgas im engeren Sinne handelt, sondern um Helium. Egal, der Alltag wäre trotzdem lustiger, wenn alle Menschen Helium einatmeten und immer mit Chipmunk-Stimmen sprächen.

12. Februar 2022, Berlin

Heute ist das Fasten endlich rum. Eigentlich ein Grund zur Freude, aber jetzt beginnt meines Erachtens die schlimmste Phase des Saftfastens: die Aufbautage. Da darfst du zwar feste Nahrung zu dir nehmen, aber weil dein Körper erst wieder in den Verdauungsmodus kommen muss, stehen heute auf dem Speiseplan ebenso leicht bekömmliche wie freudlose Sachen wie ein Apfel (langsam zu kauen), Tomate und Knäckebrot (ohne Butter) und Gemüsesuppe (mild bis gar nicht gewürzt). Das hat definitiv kein Käsestullen-Potenzial.

Aber sinnvoll ist das leider trotzdem. Vor ein paar Jahren hatte ich den Aufbautag einmal nicht ernstgenommen und gleich wieder mit richtigem Essen losgelegt. Das war keine besonders gute Idee und mein Magen hat es mir ziemlich übelgenommen

„Alter, du hast wohl den Arsch offen! Eine Woche nur Saft saufen und dann meterst du dir gleich eine Riesenportion Spaghetti-Bolo rein? Volltrottel!“

13. Februar 2022, Berlin

Ich sitze am Schreibtisch und tippe die Wochenschau in den Computer, als erstmals seit Monaten wieder die Taube in dem Baum vor unserem Schlafzimmer auftaucht, um ihr altes Nest zu begutachten. Sie schaut mich kritisch an, ich schaue kritisch zurück. Nach einem kurzen Moment fliegt sie davon. Anscheinend bin ich ihr zu langweilig. Alles wie immer.


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44 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW06-2022

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  • ♻️ Cordula Okwieka-Barnack

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