09. Februar 2023, Berlin
Seit einigen Monaten habe ich eine neue Laufuhr. Die misst neben den Laufzeiten allerlei andere Werte wie Schritte, Kalorienverbrauch und Herzfrequenz. Während des Arbeitens lag meine Herzfrequenz heute bei 40. Das ist ziemlich wenig. Nun weiß ich nicht, ob meine Arbeit mich super entspannt oder umbringt.
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Nur noch vier Tage bis zum Wahlsonntag. Zeit, sich mit meiner Wahlentscheidung näher zu befassen. Das heißt, ich beantworte die Fragen des Wahlomats. Das Ergebnis ist recht überraschend. Auf Platz 1 und mit recht deutlichem Abstand steht die Tierschutzpartei. Möglicherweise, weil ich bei einer Frage angegeben habe, dass Zirkusse mit Tieren im Programm keine landeseigenen Flächen nutzen dürfen sollten. Ein Thema, dessen Relevanz für die Abgeordnetenhauswahl sich mir nicht ganz erschließt. (Was mich wiederum als Wähler der Tierschutzpartei disqualifiziert.)
Auf den folgenden Plätzen der Wahlomat-Auswertung landen die Klimaliste und du. Letzteres ist eine Abkürzung für Die Urbane. Eine Partei, die Elemente der Hip-Hop-Kultur in politisches Handeln übertragen will. Ich hoffe, damit sind nicht Drive-by-Shootings gemeint.
Mit etwas Abstand folgen Die Grünen, erschreckend weit vorne steht noch das Team Todenhöfer. Interessanterweise landen die Grauen Panther noch vor der FDP. Ich bin mir nicht sicher, ob das Ausdruck meiner Ablehnung der FDP ist oder – weil ich wie ein Fensterrentner geantwortet habe, dass ich nicht möchte, dass E-Roller überall rumstehen dürfen – ein Zeichen meiner fortschreitenden Vergreisung. Dann sollte ich möglicherweise doch die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung wählen.
10. Februar 2023, Berlin
Heute ist Welttag der Hülsenfrüchte. Es erschließt sich mir nicht, dass dann morgen nicht Tag der Flatulenzen ist. Wie konnte der Verband der Gastroentolog*innen diese Steilvorlage ungenutzt lassen, um über das Thema Darmwinde aufzuklären?
11. Februar 2023, Berlin
Gestern Abend waren wir auf einer Geburtstagsfeier. So richtig mit gesetztem Essen. Wie erwachsene Menschen. Zur Begrüßung gab es Crémant mit etwas Cranberry-Saft und Wodka, zum Essen wurde Weiß- und Rotwein gereicht und später Margaritas ausgeschenkt, bei denen ein wenig Sherry für einen zusätzlichen Kick gesorgt hat.
Gegen kurz nach zwei waren wir zuhause und ungefähr um halb drei im Bett. Normalerweise wäre das nicht weiter schlimm, denn heute ist ja Samstag und samstags kannst du ausschlafen. Außer du musst arbeiten und wirst deswegen um 6 aus dem Schlaf geweckert.
Ich muss nicht arbeiten, werde aber trotzdem um 6 aus dem Schlaf geweckert, da ich zum Laufen verabredet bin. Zwar erst um 8, aber im Grunewald. Gestern dachte ich, es sei eine gute Idee von Moabit zum Grunewald zu laufen und später wieder zurück, so dass ich damit meinen wochenendlichen langen Lauf erledigt hätte. Heute kommt es mir aus irgendeinem Grund nicht in den Sinn, dass es vielleicht nur eine mittelmäßig gute Idee ist, mit leichtem Restalkohol 30 Kilometer zu laufen. (Möglicherweise ist es der leichte Restalkohol, der mein Denkvermögen trübt.)
Die ersten zwei, drei Kilometer gestalten sich eher zäh. Ich spüre förmlich, wie ich den Crémant, den Wodka, den Weißwein und den Margarita sowie den kickenden Sherry ausdünste. Hoffentlich merken das die Passant*innen nicht, an denen ich vorbeilaufe. Würde mich nicht wundern, wenn die nach meinem Überholvorgang leicht beschwipst wären.
Interessant ist, wie sich die Wahlplakate auf meinem Weg verändern. Während in Moabit hauptsächlich Werbung von linken und sich dem Klimaschutz verschriebenen Gruppierungen hängt, dominieren im Bereich des Kudamms CDU und FDP. Ab und an ist ein verirrtes SPD-Plakat zu sehen. Im Grunewald gibt es dann fast ausschließlich CDU-Schilder. Zu circa 99,9 Prozent. Die wenigen AfD-Poster lassen mich vermuten, dass die AfD darauf spekuliert, dass Reichtum nicht vor törichten politischen Wahlentscheidungen schützt.
Das Laufen im Grunewald ist relativ entspannt. Da schmeichelt die beruhigende Baumlandschaft den Augen und du siehst nicht die ganze Zeit irgendwelche Politikerporträts mit mehr oder weniger überzeugenden Wahlslogans. Allerdings geht die Strecke andauernd hoch und runter. Das mit dem runter ist dabei weniger problematisch als das mit dem hoch.
Der Heimweg ist wieder zäh. Das liegt wahrscheinlich nicht ausschließlich an dem gestrigen Abend, sondern auch an den vielen Kilometern. Zumindest habe ich nun gelernt, dass zu wenig Schlaf, Alkohol und lange Laufstrecken nicht unbedingt die beste Kombination sind.
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Heute Nachmittag sind wir schon wieder eingeladen. Bei B. und N., die wir vor circa 15 Jahren in der Kita kennengelernt haben. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viele Sozialkontakte hatte wie in dieser Woche. B. und N. sind Muslime. Das heißt, es gibt erfreulicherweise keinen Alkohol. Meinem Körper und meinem Kopf gefällt das.
12. Februar 2023, Berlin
Wahlsonntag. Mal sehen, ob diesmal alles glatt läuft. Landeswahlleiter Stephan Bröchler wird dazu morgens mit den folgenden Worten zitiert: „Ich bin zuversichtlich, dass heute alles hoffentlich gut funktioniert.“ Zuversicht gepaart mit Hoffnung – was soll da schon schiefgehen?
Wir gehen zum Wählen in eine Kita bei uns um die Ecke. Der Sohn, meine Frau und ich sind die einzigen im Wahllokal. Dafür gibt es sieben Wahlhelfer*innen. Zumindest personell wird sich mit aller Macht gegen eine erneute Chaos-Wahl gestemmt.
Auf dem Wahlzettel für die BVV steht ganz unten die Partei Die Wählbaren. Von denen habe ich noch nie gehört. Der Name steht nicht gerade für eine besonders spitze inhaltliche Positionierung. Da ich anscheinend zu viel Zeit habe, schaue ich mir später ihre Website an. Ihr Programm ist recht übersichtlich. Als allererstes fordern sie ein Verbot von Laubpustern. Ansonsten gibt es eine krude Mischung aus rechtspopulistischen sowie Natur- und Tierschutz-Positionen. Alles in allem denke ich, dass der Name Die eher Nicht-Wählbaren vielleicht doch passender wäre.
Die größte Herausforderung bei der Wahl besteht für mich darin, zum Schluss die Wahlzettel, nachdem ich meine Kreuzchen gesetzt habe, gegen den Falz zusammenzufalten. Beim dritten Versuch bekomme ich es hin. Das muss dieser „reibungsarme“ Verlauf der Wahl sein, von der der Landeswahlleiter heute früh auch sprach.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)