Eine kleine Wochenschau | KW06-2024

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


05. Februar 2024, Berlin

Vor mir läuft ein Mann mit einer schwarzen Jacke. Auf dem Rücken steht „Hauptstadtadel“. Aus Strasssteinen gelegt. Der Mann sieht für mich nicht direkt nach Adel aus. In meiner Vorstellung tragen Adelige keine ausgebeulten Jogginghosen und schmutzige Sneaker. Außerdem gibt es kein deutlicheres Zeichen, dass du nicht zum Hauptstadtadel gehörst, als eine Jacke zu tragen, auf der Hauptstadtadel steht.

Ich schätze, die Jacke ist von dem gleichen Label, dass die Hauptstadtrocker-Linie herausgibt. Bei der ziert neben dem Schriftzug noch ein Strassstein-Totenkopf die Kleidung. Auch hier ist eindeutig, dass jemand, der Kleidung trägt, auf der Hauptstadtrocker steht, definitiv kein Rocker ist.

Heute ist Tag der Meteorologen. Und der Tag, an dem du nachschlägst, wie Meteorologe geschrieben wird. (Zu viele e und o, die an zu vielen Stellen platziert werden können. Wer soll da den Überblick behalten?)

06. Februar 2024, Berlin

An der Kasse bei Penny unterhalten sich hinter mir zwei junge, arabischstämmige Männer. Der eine erzählt, er habe sich gerade von seiner Freundin getrennt. Sie sei aus dem Libanon und eigentlich ganz in Ordnung, aber ihre Eltern wären super nervig gewesen.

Er meint, seine nächste Freundin dürfe nicht aus dem Nahen Osten kommen und müsste idealerweise Vollwaise sein. Wie er diese Auswahlkriterien wohl überprüft? Ich habe meine Zweifel, dass die Frage „Leben deine Eltern noch?“ eine erfolgversprechende Gesprächseröffnung ist, um Frauen kennenzulernen.

###

Bei dm steht im Eingangsbereich ein großer Ständer mit Ramadan-Kalendern. Bisher wusste ich gar nicht, dass es so etwas gibt.

Der Ramadan-Kalender zeichnet sich dadurch aus, dass er 29 Türchen hat. Das heißt fünf mehr als sein Advents-Kollege. Hätte ich das als Kind gewusst, hätte ich versucht, meine Eltern davon zu überzeugen, dass wir zum Islam konvertieren. Im Dezember hätten wir dann zum Christentum rückkonvertieren können. Das wäre gelebte religiöse Toleranz gewesen.

###

Ich liege schon im Bett, als meine Frau freudig erregt ins Schlafzimmer kommt. Sie fuchtelt mit ihrem Handy rum und erklärt, sie habe eine App entdeckt, „The perfect face“, die müsse ich unbedingt ausprobieren.

Ich zögere. Ich bin mit meinem Gesicht im Großen und Ganzen recht zufrieden. Gut, ich bin vielleicht kein „Face of the year“-Gewinner-Material, aber sehe auch nicht aus, als sei ich gegen einen Bus gelaufen. Da benötige ich keine App, die mein Gesicht perfekt macht. Außerdem möchte ich nicht riskieren, dass die App mich so schön macht, dass ich danach immer enttäuscht sein werde, wenn ich in den Spiegel schaue.

Trotzdem lasse ich mich überreden, die App auszuprobieren. Ich schaue in das Handy meiner Frau und nachdem ich mich länger betrachtet habe, sage ich: „Ich erkenne da keinen Unterschied.“ „Doch, total”, sagt sie sehr überzeugt, fast schon etwas entrüstet, dass mir das nicht auffällt.

Ich finde das etwas befremdlich. Vor allem weil sie sehr schnell und sehr absolut geantwortet hat. „Doch, total.“ Meine Frau erklärt mir nun ausführlicher, als ich für nötig erachte, was alles anders und anscheinend perfekter ist: Auf dem Display hätte ich viel blauere Augen, der Bart sei nicht so grau und mein Kinn viel breiter.

Ich schaue noch einmal genauer hin und es stimmt tatsächlich. Mein App-Gesicht hat wirklich ein stattliches Kinn. In Kombination mit dem dunkleren Bart habe ich gewisse Ähnlichkeit mit Jürgen Klopp. Das erstaunt mich ein wenig. Ich möchte Jürgen Klopp nicht zu nahetreten und ich finde ihn auch recht sympathisch – zumindest solange er nicht verloren hat –, aber beim Gedanken an ein „perfect face“, käme mir nicht sofort und unmittelbar der Trainer des FC Liverpool in den Sinn. Eher so an 38. oder 39. Stelle.

Ein Gutes hat mein „Perfect Face“-Resultat: Wenigstens werde ich nicht enttäuscht sein, wenn ich morgen früh in den Spiegel blicke und Jürgen Klopp schaut nicht zurück.

###

Die Tochter erzählt am Telefon, sie habe heute gebacken. Brownies. Nach einem Rezept von Jamie Oliver, das zu 95 Prozent aus geschmolzener Schokolade und Zucker besteht.

Weil ihr die deutsche Übersetzung für Teig – Brownie Mix – nicht einfällt, sagt sie, sie hätte die Mische vorbereitet. Anscheinend ergreift das Leben in Irland und die englische Sprache allmählich so sehr Besitz von ihr, dass sie die deutsche Sprache verlernt. Oder das Studentenleben ergreift so sehr Besitz von ihr und sie trinkt so viele Alkohol-Mischgetränke, dass „Mische“ das erste Wort ist, dass ihr in den Sinn kommt.

07. Februar 2024, Berlin/Köln

Der Sohn hat seinen Perso verloren. Um einen neuen zu beantragen, muss er aufs Bürgeramt. Berlin kann aber nicht nur keine Wahlen organisieren, sondern auch keine Online-Bürgeramts-Termine verteilen. Deswegen muss der Sohn um 7 Uhr aufstehen und sich beim Rathaus Tiergarten in die Schlange der Terminlosen einreihen, in der Hoffnung einen freien Slot zu erwischen.

Das frühe Aufstehen schmeckt ihm gar nicht. Er hat Winterferien und könnte ausschlafen. Das hält er auch für bitter nötig, denn letzte Woche gab es keinen Entfall und er musste jeden Tag zur ersten Stunde in der Schule sein. Das ist für den Sohn ungefähr so wie acht Jahre lang, sieben Tage die Woche im Untertage-Bergbau schuften.

###

Warte auf meinen Zug nach Köln. Auf dem Bahnsteig steht eine Gruppe junger Männer. Sie haben alle regenbogenfarbene Blumenketten um den Hals hängen. Einer von ihnen trägt einen weißen Anzug, auf seinem Kopf sitzt ein weißer Hut, seine Augen sind mit einem schwarzen Tuch verbunden. Ich tippe auf Junggesellenabschied und er ist der Bräutigam in spe. Oder das ist eine sehr merkwürdige Live-Rollenspielgruppe, die nach Köln auf eine Convention fährt.

###

Im Zug sitzt neben mir eine junge, blonde Frau. Durchaus gutaussehend. Mein jüngeres Zivi-Ich wäre sehr erfreut gewesen. Damals hoffte ich bei meinen Zugreisen immer auf eine attraktive Sitznachbarin. Meistens waren es aber korpulente Männer, die häufig stark schwitzten und nicht besonders gut rochen.

War aber auch egal, denn ich war so schüchtern, dass ich mich nicht einmal unter Alkoholeinfluss in der Kneipe oder im Club – damals bekannt unter der Bezeichnung Disco – getraut hätte, Frauen anzusprechen. Eine Konversation im Zug mit einer hübschen Mitreisenden wäre undenkbar gewesen. Die einzigen Frauen, mit denen ich auf Bahnreisen ins Gespräch kam, waren Ü70-jährige Damen, die wahrscheinlich großmütterlich Gefühle für mich entwickelten.

Heute bin ich so souverän, dass ich meiner Sitznachbarin anbiete, ihren Koffer in die Gepäckablage zu heben. Sie bedankt sich und siezt mich dabei. Schade. Sie sieht zwar gut aus, hat aber keine Manieren.

###

Über den Gang hinweg sitzen zwei Jungs. Schätzungsweise 15 und 12. Wie Jungs in dem Alter so sind, scheinen sie Blähungen zu haben und lassen diesen freien Lauf. Zumindest riecht es immer mal wieder so, als ließen sie einen leisen Kriecher entfleuchen und die gehören geruchstechnisch bekanntermaßen zu den schlimmsten Fürzen überhaupt.

Hoffentlich denkt meine Sitznachbarin nicht, dass ich das bin.

###

Irgendwann packt meine Sitznachbarin ihr Mittagessen aus: eine Korean Vegan Rice Bowl. Ein Gericht, dass weltoffen, kosmopolitisch und exotisch ist. Ich esse unterdessen eine Käsestulle. Das ist deutsch, kleinbürgerlich und spießig-vermufft.

Ich komme mir vor wie Hans-Peter Korff, der in „Pappa ante Portas“ auf einer Zugfahrt mit Loriot und Evelyn Hamann ein Käsebrot isst. Fehlt nur noch, dass ich zu meiner Sitznachbarin sage: „Wenn es einen Anlass zum Scherzen gibt, schmunzle ich gern‘ einmal.“


Weiter zu Teil 2


Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.


Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert