Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
21. Februar 2022, Berlin
Wie schon im letzten Jahr erhalte ich ein Blog-Kooperationsangebot einer Firma, die Rasierapparate und Pflegeprodukte für den Intimbereich vertreibt. In der Mail gibt es verschiedene Vorschläge, wie das Thema aufbereitet werden könnte. Zum Beispiel „Unaufhaltbare Leistung beim Sport”. Ohne einen „Schwitz-Schritt“ und ohne Einschränkungen wären maximale sportliche Leistungen möglich. So richtig überzeugend finde ich die Storyline nicht. Ich meine, wie voluminös muss deine Schambehaarung sein, damit sie dich beim Joggen behindert? Verfängt die sich dann in deinen Beinen und du fällst andauernd hin? (Viel Spaß beim Kopfkino.)
Außerdem wird auch diesmal ein Selbstcheck vorgeschlagen, bei der ich die Produkte ausprobieren und dabei auf das Thema Hodenkrebsvorsorge aufmerksam machen könnte. Das ist natürlich ein wichtiges Anliegen, denn jährlichen werden tausende Menschen mit Hodenkrebs diagnostiziert und es ist die häufigste Krebsneuerkrankung bei Männern zwischen 25 und 45. Daher schlage ich Folgendes vor: Ich traumatisiere Sie nicht mit einem bebilderten Beitrag über Intimrasur-Experimente und Sie gehen trotzdem zum Urologen und lassen Ihre Testikel abtasten. (Und wenn Sie schon mal da sind, können Sie auch noch Ihre Prostata abchecken lassen.) Deal?
22. Februar 2022, Berlin
Kaum sind die Olympischen Spiele vorbei, entdecke ich auf dem Weg zum Einkaufen ein großes Plakat zur Unterstützung des Teams Deutschland. Darauf ist eine junge, mir unbekannte Sportlerin abgebildet, Werbepartner ist GoDaddy. Ich habe keine Ahnung, wer oder was GoDaddy ist, aber es hört sich wie ein sehr, sehr zweifelhaftes Erotikportal an.
Durch eine kurze Recherche am Smartphone finde ich heraus, dass es sich bei GoDaddy – laut eigenen Angaben – um die größte Cloud-Plattform der Welt handelt, die mehr als 84 Millionen Domainnamen verwaltet. Da sollte es eigentlich nicht so schwer sein, einen besseren Namen als GoDaddy zu finden.
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Im Supermarkt hängt am schwarzen Brett eine Anzeige mit dem Titel „Metalldetektor gesucht“. Jemand möchte sich gerne für ein paar Stunden einen Metalldetektor ausleihen. Wozu brauchst du in Berlin-Moabit einen Metalldetektor? Um vergrabenes Gold zu finden? Und wer besitzt überhaupt einen Metalldetektor und würde ihn verleihen? Wahrscheinlich niemand, wenn er oder sie wüsste, dass es in Moabit vergrabene Goldschätze gibt.
23. Februar 2022, Berlin
Auf dem Blog erreicht mich ein Spam-Kommentar, der mit folgendem interessanten Satz beginnt:
„Die Penisvergrößerung von Dr. Sacre ist die beste Kräutermedizin, sie hat genau so gewirkt, wie er gesagt hat.”
Wenn ich es richtig verstehe, hat sich ein Dr. Sacre den Dödel verlängern lassen und sein größerer Schniedel kann jetzt als äußerst wirkungsvolle naturheilkundliche Arznei eingesetzt werden. Ich habe dazu sehr viele Fragen, die ich nach genauerem Überlegen aber lieber doch nicht beantwortet haben möchte.
24. Februar 2022, Berlin
Morgens weckt mich der Radiowecker mit der Nachricht, dass Putin einen großflächigen Angriffskrieg gegen die Ukraine befehligt hat. (Um präzise zu sein: Der russische Krieg gegen die Ukraine begann schon 2014 mit der Besetzung der Krim.) Ich muss gestehen, dass mich die Nachricht einigermaßen überrascht, denn ich hielt den Aufmarsch der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze eher für Säbelrasseln, eine Drohgebärden Putins, mit der er seine Ziele – welche auch immer das sein mögen – erreichen wollte. Nun verfüge ich aber weder über geopolitische Expertise im Allgemeinen noch über Russland, die Ukraine oder die Geschichte der beiden Länder im Besonderen, was wohl eine Erklärung für meine naive Fehleinschätzung der Situation ist. Ich scheine auch nicht alleine damit zu sein, denn im Laufe des Tages gibt es sehr viele Verlautbarungen von Militärexperten, Außenpolitikern, Diplomaten und Politikwissenschaftlern, die von der kriegerischen Aggression Russlands ebenfalls überrascht wurden, was mich wiederum noch mehr überrascht.
Weniger überraschend gibt es auf Twitter sehr viele Menschen, die – selbstverständlich im Gegensatz zur aktuellen und auch früheren Bundesregierung – genauestens Bescheid wissen, was jetzt militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich zu tun ist. Ich vermute, viele von diesen Menschen waren vor Kurzem noch Experten für Virologie, Pandemien und Impfstoffe und wussten ebenfalls genauestens Bescheid, mit welchen Maßnahmen – und ausschließlich diesen – das Coronavirus wirkungsvoll zu bekämpfen ist. Bei Menschen, die immer mit voller Überzeugung unterkomplexe Lösungen für überkomplexe Probleme präsentieren, weiß ich nie, ob ich sie für ihr Selbstbewusstsein und ihre einfache Weltsicht bewundern oder für ihre Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit verachten soll. Ich tendiere zu Letzterem, möchte mich aber am liebsten gar nicht mit ihnen beschäftigen.
Angesichts des unfassbaren Leids, das die Menschen in der Ukraine erfahren, die ihre Nächte in Bunkern verbringen müssen, ihre Familien wegschicken und selbst zurückbleiben und die mit Waffen sich, ihre Städte und ihr Land verteidigen müssen, hoffe ich einfach, dass dieser Irrsinn so schnell wie möglich gestoppt wird und will mir nicht anmaßen, irgendwelche Vorschläge zu machen, wie das erreicht werden kann.
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Abends fragt der Sohn, ob er, wenn der Krieg nach Deutschland käme, auch kämpfen müsste. Ihm bereitet die Situation in der Ukraine zwar keine Sorgen – dazu ist er als 15-jähriger zu abgeklärt oder er tut zumindest so –, aber diese Frage interessiert ihn dann doch. Ich halte ein solches Szenario für eher unwahrscheinlich und wünsche mir einfach, dass ich diesmal mit meiner Einschätzung richtig liege.
25. Februar 2022, Berlin
Heute, am 25. Februar, der dieses Jahr, das heißt, 2022, auf einen Freitag fällt, ist, laut dem Kalender, der alle Jahrestage, seien sie skurril oder auch nicht, auflistet und den ich immer Anfang der Woche in der Hoffnung auf einen außergewöhnlichen Feiertag, der mich zu humoristischen Gedanken inspiriert, konsultiere, Tag der Schachtelsätze.
26. Februar 2022, Berlin
Auf dem Rückweg von meiner Laufrunde kommt mir ein Mann mit einer französischen Bulldogge entgegen. Der Hund ist komplett weiß, lediglich über seine Augen zieht sich ein schwarzer Streifen, der weiß gesprenkelt ist, so dass es aussieht, als trüge er eine Maske. Vielleicht ist er unterwegs, um eine Bank zu überfallen. Oder auf dem Weg zu einer Wide-Eyes-Shut-Hunde-Fetisch-Party. (Viel Spaß beim Kopfkino.)
27. Februar 2022, Berlin
Meine Frau und ich stehen gemeinsam mit hunderttausenden Menschen an der Siegessäule und protestieren gegen den Krieg in der Ukraine. Meine erste Demo seit ungefähr 25 Jahren. Warum ich heute hier bin und all die Jahre zu keiner Demo gegangen bin, die sich ebenfalls für unterstützenswerte Anliegen eingesetzt haben, kann ich nicht sagen. Ich komme mir auch ein bisschen erbärmlich vor, denn es wirkt schon fast plattitüdenhaft, gegen Krieg zu protestieren. Wer ist schon für Krieg? Außer Putin.
Wird den russischen Präsidenten diese Demo beeindrucken und dazu bringen, seinen Angriffskrieg zu beenden? Sicherlich nicht. Hilft sie den Menschen in der Ukraine, die gerade um ihr Leben fürchten? Vermutlich auch nicht. Gibt sie mir das Gefühl, innerlich nicht tot zu sein, indem ich wenigstens irgendetwas tue? Vielleicht. Tut meine hilflose Geste den ukrainischen Menschen hier vor Ort gut, weil sie so etwas wie Mitgefühl und Solidarität erfahren? Hoffentlich.
Wer Geld übrig hat und spenden möchte, um Menschen in der Ukraine zu helfen, findet zum Beispiel hier eine Übersicht von Spendenorganisationen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
gback: Maximilian Buddenbohm
Vielen Dank fürs Kopfkino.
Es hat glatt die Nr. 1 von letzter Woche bei mir verdrängt, als meine inzwischen 90-jährige Nachbarin mir vom letzten Sex mit ihrem vor zwei Jahren verstorbenem Mann erzählte. So wie sie es erzählte war’s kurz vor seinem Tod.
Mein Mann und ich, – beide noch unter 50, – überlegen noch, ob wir die Challenge annehmen.
gback: softcake100