Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
24. Februar 2025, Berlin
Kurz nach drei. Der Wecker klingelt. Nicht für mich, sondern für meine Frau. Die muss nach Mannheim auf eine Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung. Thema: Antisemitismus in der Krise.
In meinen Augen eine etwas missverständliche Formulierung. Ich habe eher den Eindruck, Antisemitismus ist nicht in der Krise, sondern hat Hochkonjunktur.

Der Sohn und N. sind von Koh Samui begeistert. Das sei das reinste Paradies. Lediglich die vielen Touristen nervten. Was bei mir die Frage aufwirft, ob die beiden sich nach fünf Tagen in Thailand schon als Einheimische fühlen.
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Mir gelingt es, fast jegliche Nachwahlberichterstattung zu vermeiden. Was gut für mein Seelenheil ist. Stattdessen gehe ich zum Friseur. Das ist auch gut für mein Seelenheil. Und für das meiner Mitmenschen, die dann nicht länger den Anblick meiner zotteligen Haare ertragen müssen.
Außerdem ist Haareschneiden bei N. sehr unterhaltsam. Ich kenne niemanden, der so viele skurrile Geschichten zu erzählen hat wie er. Heute zum Beispiel wie er in einem Erotik-Kalender von Micaela Schäfer gelandet ist. Die Fotos wurden auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain aufgenommen, wo N. arbeitete. Im Monat August ist er im Hintergrund zu sehen. Auf eine aktivere Rolle bei dem Shooting verzichtete er, weil er keine Lust hatte, Ketchup vom nackten Körper von Micaela Schäfers zu lecken. Im Gegensatz zu seinem Kollegen. Als der Kalender anlässlich der Venus-Messe in einer RTL-Sendung vorgestellt wurde, sah seine Freundin das Foto und verpasste ihm einen gehörigen Einlauf.
Für 30 Euro bekomme ich eine dreiviertel Stunde Entertainment pur. Und obendrein einen phantastischen Haarschnitt.
25. Februar 2025, Berlin
Koh Samui präsentiert sich zwischenzeitlich nicht mehr ganz so paradiesisch. Seit zwei Tagen ist Dauerregen angesagt. Nicht nur ein bisschen, sondern wie aus Eimern. Das nervt noch mehr als die Touristen.
26. Februar 2025, Berlin/Köln
Breche Richtung Köln auf. Das Ziel: Gepflegter Karnevals-Eskapismus, um fünf Tage die deprimierende welt- und bundespolitischen Lage zu verdrängen.
Falls Sie jetzt denken, der Christian ist eine privilegierte Arschgeige und feiert einfach Karneval, als hätte letzten Sonntag die AfD nicht 20 Prozent der Stimmen bekommen, stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Allerdings würde kein Problem gelöst, wenn ich den Karneval ausfallen lasse. Im Gegenteil: Da ich mein Hotel nicht mehr stornieren kann, würde das sogar zu neuen Problemen finanzieller Art führen.
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Im Zug sitzen an dem Vierer-Platz neben mir drei junge Männer, schätzungsweise Anfang/Mitte 20. Ihrem Gespräch entnehme ich, dass sie Mitglieder der Linken sind und in den letzten Wochen kräftig Wahlkampf gemacht haben. Einer von ihnen sagt: „Bei der Vorstellung, dass Jens Spahn wieder Minister wird, könnte ich kotzen.“ Bin kurz davor, mich rüber zu beugen und zu sagen: „Wir alle, mein Lieber, wir alle.“
Später wirft ein anderer von ihnen die Frage auf, was davon zu halten sei, wenn Menschen „hey“ mit j am Ende schreiben. Die drei einigen sich darauf, dass das schwierig sei. Da bin ich ebenfalls bei ihnen.
Ich finde auch, niemand sollte „hej“ sagen. Außer Schwed*innen oder IKEA-Mitarbeiter*innen, die dir im Restaurant Köttbullar auf den Teller schaufeln.
Apropos Köttbullar: Ein früherer Kollege, der mit einer Schwedin verheiratet ist, erklärte mir mal, die korrekte Aussprache laute Schöttbular. Das sei aber ein Wissen, das im Alltag keinerlei Mehrwert biete. Schon gar nicht in IKEA-Restaurants.
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Ankunft im Hotel. Neben mir checkt ein Mann ein. Er fragt, ob er die Kurtaxe sparen könnte, wenn er seinen Aufenthalt in Köln als Geschäftsreise deklariere. Der junge Mann an der Rezeption verneint, dies sei seit zwei Jahren nicht mehr möglich.
Der Gast lässt nicht locker. Im Prinzip würde er morgen ja dienstlich Brauhäuser testen. Der Rezeptionist meint, das könnte er machen, die Kurtaxe wäre aber trotzdem fällig. Das findet der Gast sehr ärgerlich.
Währenddessen erkläre ich einer anderen Mitarbeiterin, sie möge die Rechnung bitte auf meine Firmenadresse ausstellen. Daraufhin meint der Gast: „Sehen Sie, der ist auch beruflich hier.“ Der Rezeptionist erklärt, die Taxe würde bei mir aber dennoch erhoben.
Bewundernswert, wie ruhig er bleibt. Ich bin kurz davor, dem Typ 50 Euro in die Hand zu drücken und zu sagen, dies sei für seine Kurtaxe und er möge jetzt bitte seine verdammte Fresse halten. Die Karnevals-Gelassenheit scheint bei mir noch nicht vollumfänglich eingetreten zu sein.
27. Februar 2025, Köln
7.30 Uhr. Bin der erste im Frühstückssaal und setze mich in die hinterste Ecke. Dort habe ich den ganzen Raum im Blick und kann mich wie Jason Bourne fühlen.
Nach und nach kommen andere Gäste. Alle bereits verkleidet oder geschminkt und Karneval-vorfreudig. Aus dem Rahmen fallen lediglich zwei rüstige, gut situierte amerikanische Paare, so um die Ende 60/Anfang 70. Die machen auf mich nicht den Eindruck, als seien sie extra für den Karneval nach Köln gekommen. Da werden sie heute ihr blaues Wunder erleben. (Pun intended.)
Vielleicht irre ich mich aber auch und sie haben ihr Kostüm „Rüstiges, gut situiertes amerikanisches Paar, so um die Ende 60/ Anfang 70“ genailt. (Schön, dass ich ohne Kölsch schon solche Gedanken habe.)
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Ich selbst habe mich für eine Rocky-Verkleidung entschieden. Mit grauer Trainingshose, grauem Hoodie, darüber ein graues T-Shirt, schwarzer Wollmütze, weißen Handbandagen und schwarzen High Top Chucks. Sogar rasiert habe ich mich und Kontaktlinsen besorgt, da Rocky bekanntlich weder Bart noch Brille trägt.
Da das Publikum in der Elsa durchschnittlich etwas jünger ist als ich, kennt wahrscheinlich niemand die alten Filme. Wahrscheinlich werden mich die meisten für einen Assi mit verbundenen Händen halten.
Zur Abrundung meiner Kostümierung habe ich im Internet noch ein lebensgroßes Stoffhuhn bestellt. Weil Rocky im ersten Film zur Verbesserung seiner Beinarbeit ein Huhn fangen muss. Was natürlich auch niemand weiß, so dass mich die anderen Gäste für einen Assi mit bandagierten Händen halten, der nicht alle Tassen im Schrank hat und ein Stoffhuhn mit sich rumträgt.
Meine Sorge erweist sich als unbegründet. Kaum betrete ich die Kneipe, stürmt ein um die Hüften etwas fülliger Axl Rose auf mich zu, ruft „geil!“ und hält mir sein Handy vors Gesicht. Auf dem läuft ein YouTube-Clip, wie Rocky hinter dem Huhn herrennt.
Er habe sich auch schon häufiger als Rocky verkleidet, aber das mit dem Huhn sei das Sahnehäubchen und das fände er großartig. Leider nicht großartig genug, um mir ein Kölsch auszugeben.
Stattdessen stellt er mir seine Freundin vor. Die trägt einen altrosafarbenen plüschigen Bademantel, Lockenwickler, eine große Brille und ein paar Katzenbabys in den Manteltaschen. Sie ginge als „crazy cat lady“, um J. D. Vance ein lautes „Fuck you!“ zuzurufen. Finde die Intention zwar sympathisch, bin mir aber recht sicher, dass J. D. Vance das kalt lässt.
Das Huhn entpuppt sich als Star der Kneipe. Fast jeder will wissen, was es damit auf sich hat, viele wollen es streicheln oder auf den Arm nehmen. (Was wahnsinnig praktisch ist, wenn du aufs Klo musst.) Eine Frau ist besonders vernarrt in das Plüschtier, tauft es Trude und nimmt sich ihm für den Rest des Tages an. Bis sie irgendwann mit ihm verschwindet. Ich denke, Trude hat ein gutes neues Zuhause.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)