Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
06. März 2023, Berlin
Marathonvorbereitung, Woche 2. Heute ist ein flotter Zehner angesagt. Das ist keine Massenorgie zur Verbesserung der kardiorespiratorischen Ausdauer, sondern ein – wie es im Plan heißt – Tempodauerlauf von zehn Kilometern. Aber ich finde, flotter Zehner klingt cooler. (Ungefähr so cool wie „fesche Frisur“ oder „pfiffige Idee“.) Damit das Training richtig Spaß macht, liegt die Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt und es schneeregnet leicht. Während des Laufes läuft meine Nase unnormal stark. Ich weiß nicht, ob das mit der Kälte, der Anstrengung oder mit irgendeiner anatomischen Anomalie meiner Nasenscheidewände zusammenhängt. Gäbe es ein Verfahren, mit dem aus halbflüssigem Nasenschnodder Energie gewonnen wird, könnte ich mit meinem Rotz allein die Energieprobleme Deutschlands, wenn nicht gar der ganzen Welt, lösen.
07. März 2023, Berlin
Die Tochter belegt an der Uni dieses Semester einen Kurs namens „Debating History“. Wie es der Titel vermuten lässt, werden da historische Ereignisse debattiert. Eine Gruppe nimmt dabei die Pro- und eine andere die Contra-Position ein. (Dies nur als kurze Erläuterung, falls Ihnen das Konzept „Debatte“ nicht geläufig ist.)
Im letzten Jahr wurde beispielsweise „Holocaust Denial“ diskutiert. Die Tochter ist froh, dass ihr Kurs gegen das Thema gestimmt hat. Als Deutsche wäre es doch etwas problematisch, wenn du in der Gruppe landest, die den Holocaust leugnen muss. Stattdessen hat sich der Kurs für die Frage „War Deutschland allein schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs?” entschieden. Noch weiß die Tochter nicht, in welcher Gruppe sie ist und ob sie auch andere Länder für den Ersten Weltkrieg verantwortlich machen muss.
08. März 2023, Berlin
Heute ist Internationaler Frauentag. In Berlin ist das seit vier Jahren ein Feiertag. Leser*innen aus Bayern und Baden-Württemberg fragen sich wahrscheinlich gerade: „Wie, in Berlin ist Feiertag und bei uns nicht? Geht das überhaupt?“
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Der Trainingsplan schreibt für heute wieder Intervallläufe vor. 3x 3.000 Meter in jeweils 4:44, dazwischen 2.000 Meter Trabpause. Eher mittelmäßig schöne Aussichten. Es sind ungefähr null Grad und es schneegrieselt. Natürlich. Ich glaube inzwischen, dass sich, sobald ich meine Lauf-Klamotten anziehe, die Temperatur um mindestens fünf Grad absenkt. Binde ich dann meine Laufschuhe zu, setzt unverzüglich Schneefall ein.
Möglicherweise ist meine Marathonvorbereitung die schärfste Waffe im Kampf gegen die Klimakrise. Mein Nasenschleim ist eine unerschöpfliche, günstige und umweltfreundliche Energiequelle, beim Anziehen halte ich die Erderwärmung auf und mit dem Schuhebinden sorge ich für Niederschläge. Vielleicht kann ich das unter „Christian for Future“ vermarkten.
Während ich mich beim Laufen wegen der Kälte und des widrigen Wetters selbstbemitleide, laufe ich an einer Joggerin vorbei. Sie trägt untenrum Laufleggings – so weit, so normal –, obenrum allerdings lediglich eine Art Sport-BH und sonst nichts – so weit, so unnormal. Das heißt, ihre Arme, ihre Schultern und ihr Bauch sind völlig unbedeckt. Ich dagegen bin mit Laufleggings, kurzer Hose, Laufunterhemd, dünnem langärmligen Laufshirt, dickem langärmligen Laufshirt, Fleece-Mütze und Thinsulate-Handschuhen, die auch noch bei minus fünfzehn Grad die Pfoten warmhalten, bekleidet. Nun stellt sich die Frage, ob ich mich oder die Frau sich in der falschen Realität befindet.
09. März 2023, Berlin
Der Ausblick aus dem Fenster nach dem Aufstehen bietet wenig Erfreuliches. Obwohl ich heute nicht laufen gehen muss, schneit es leicht, auf den Autodächern und dem Bürgersteig liegt eine dünne Schneedecke und die Temperatur beträgt ein Grad. (Letzteres erkenne ich nicht durch den Blick aus dem Fenster, sondern die Moderatorin im Radio sagt das gerade.) Langsam reicht es mir. Kann sich das Wetter das denn nicht merken: „Schnee ist im Dezember okay. Sonst nie.“ Ich will endlich Frühling.
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Heute ist Popcorn-Liebhaber-Tag. (Ein Feiertag, der wahrscheinlich vom US-amerikanischen Maisbauern-Verband erfunden wurde.) Bei Popcorn scheiden sich die Geister an der Frage: „Mit Zucker oder mit Salz?“
Bei mir ist die Antwort eindeutig: „Mit ohne Popcorn.“ Popcorn ist die einzige Süßigkeit – neben Lakritze, aber die würde ich nicht einmal als Süßigkeit bezeichnen –, die ich nicht mag. Und Gelee-Bananen. Die mag ich auch nicht. Aber die gelten ebenfalls nicht als Süßigkeit, sondern fallen in die Kategorie „Abfallprodukt bei der Autoreifenherstellung, das irgendwie noch zweitverwertet werden muss.“
10. März 2023, Berlin
Ich muss heute 20 Kilometer laufen. Es sind zwei Grad. Aber es schneit ausnahmsweise nicht. Dafür regnet es. Ziemlich stark.
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Der Sohn schreibt heute eine Klausur in Philosophie. Zu Moral und Ausbeutung. Mit Bezug auf Foucault, Bentham und einem zeitgenössischen deutsch-koreanischen Philosophen, von dem ich noch nie gehört und dessen Name ich mir nicht gemerkt habe. (Shame on me.)
Als er nach Hause kommt, meint der Sohn, er habe ein sehr gutes Gefühl. Das würde ihm irgendwie ein schlechtes Gefühl machen. Ich verstehe, was er meint. Ich lag bei der Einschätzung meiner Klausuren auch nur richtig, wenn ich ein richtig schlechtes Gefühl hatte.
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Die Tochter war kürzlich beim Arzt und musste für den Termin 30 Euro bezahlen. Das sei unverschämt und Wucher, echauffierte sie sich. Ihre Freund*innen aus den USA verstanden gar nicht, was sie damit meint. Für sie gelten 30 Euro für einen Arztbesuch als Schnäppchenwoche.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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