Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
18. März 2024, Frankfurt/Berlin
Frankfurt, Bahnhofsvorplatz. Ein Schild weist hier zwischen 20 und 5 Uhr eine Waffenverbotszone aus. In dieser Zeit sind Schusswaffen, Messer, Schlagringe und Reizgas untersagt.
Fragen: Schert sich jemand mit Schlagring darum, dass dieser hier ab 20 Uhr nicht erlaubt ist? Warum ist es zwischen 5 und 20 Uhr in Ordnung, eine Pistole mit sich zu führen? Welche Waffen benötigst du, um Menschen, die mit Pistolen, Messern und Schlagringen unterwegs sind, davon zu überzeugen, den Bahnhofsvorplatz zu verlassen.
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Für den Sohn steht der Höhepunkt des Jahres an: Die Mottowoche. In der letzten regulären Schulwoche vor der Abi-Lernphase denken sich die Abiturient*innen für jeden Tag ein anderes Motto aus und verkleiden sich entsprechend. Quasi eine Woche Karneval mit (sporadischem) Schulbesuch.
Der Boomer in mir denkt: „Bei uns gab es das nicht.“ Aber deswegen muss das ja keine schlechte Sache sein.
Der Sohn freut sich seit zwei Jahren auf seine Mottowoche. Fünf Tage lang Party, gute Stimmung und mit seinen Freunden abhängen, ist ganz nach seinem Geschmack. Lediglich die in seinen Augen restriktiven Vorgaben der Schulleitung trüben seine Freude etwas. Wer alkoholisiert in der Schule erscheint, müsse damit rechnen, von der Zeugnisverleihung ausgeschlossen zu werden. (Wird das tatsächlich konsequent umgesetzt wird, stehen die Lehrer*innen bei diesem Termin allein in der Aula.)
Außerdem hat der Schulleiter das Motto „Blau“ nicht erlaubt, das Motto „Nutten + Luden“ ebenso wenig. (Das von den Schüler*innen vorgeschlagene Kompromissmotto „Prostituierte + Zuhälter“ lehnte er ebenfalls ab.) Der Sohn findet das kleinlich und spießig.
Gegen das heutige Motto hatte der Schulleiter nichts einzuwenden: Anfangsbuchstabe. Das Kostüm muss mit dem gleichen Buchstaben wie der Vorname beginnen. Der Sohn geht als Emo. Schwarze Klamotten, schwarze Mütze, schwarzer Lidschatten, trauriger Blick.
Meine Frau schickt ein Bild in die Familien-WhatsApp-Gruppe, ich schicke ein Foto eines Emus zurück. Abgesehen von mir findet das niemand lustig.
19. März 2024, Berlin
Heutiges Mottowochen-Motto: Kindheitshelden. Der Sohn trägt ein Manuel-Neuer-Trikot und kurze Hosen. Letzteres zum Missfallen seiner Mutter. („Das ist doch viel zu kalt.“) Ich schätze, er wird sich durch den Konsum alkoholischer Getränke wärmen.
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Heute ist Lass-uns-lachen-Tag. Radio Eins stellt dazu eine Lach-Hotline vor. Dort kannst du anrufen und gemeinsam mit ausgebildeten Lach-Yogis lachen. Eine befremdliche Vorstellung. Wenn mir ein Fremder am Telefon ins Ohr lacht, finde ich das nicht lustig, sondern gruselig. Sehr gruselig.
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Warteschlange bei Penny. Hinter mir ein Typ, leicht müffelnd mit einer Flasche Bier und einer Packung Kräuterschnäpschen. Unvermittelt radebrecht er in gebrochenem Deutsch, Robert Habeck solle zurücktreten und die AfD die nächste Wahl gewinnen. Dann würde alles besser. Als ich nach dem Bezahlen meine Einkäufe einpacke, erklärt mir der Mann ungefragt, die Flüchtlinge benähmen sich nicht und pissten überall hin. Jetzt, wo es die Bezahlkarte und kein Bürgergeld mehr gäbe, kämen zum Glück keine Flüchtlinge mehr.
Ich bezweifle, dass für den Typ bei einem AfD-Wahlerfolg alles besser wird. Wenn du am frühen Nachmittag betrunken im Discounter Alkohol kaufst, augenscheinlich kein Arier bist und kein fehlerfreies Deutsch sprichst, bist du bestimmt einer der ersten, den die AfD aus Deutschland schmeißen würde.
20. März 2024, Berlin
Mottowochen-Tagesmotto: Ikonische Gruppen. Der Sohn und zwei seiner Freunde sind als Trevor Philips, Franklin Clinton und Michael de Santa verkleidet. Drei mir unbekannte Charaktere aus dem Videospiel GTA, das ich nie gespielt habe. Ich weiß es lediglich, dass es um Autodiebstahl und wilde Verfolgungsjagden geht. Ich hoffe, die drei ziehen das nach dem Abitur nicht als Karrierepfad in Erwägung.
Das beste ikonische Gruppen-Kostüm haben drei Jungs. Einer ist Ostdeutschland, der zweite Westdeutschland und der dritte die Berliner Mauer. Bei der Mottowoche geht es also nicht nur um Party und Saufen, sondern die Schüler*innen leben ihre Kreativität und Fantasie aus. (Die möglicherweise durchs Saufen begünstigt werden.)
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Zum heutigen Weltglückstag gibt es den aktuellen Weltglücksbericht. So wie in den letzten sieben Jahren leben die weltweit glücklichsten Menschen in Finnland. Laut dem Bericht zeichnet sich die Bevölkerung Finnlands durch ein hohes Maß an Zufriedenheit und Freude am Moment aus. Was die Vokabel „Kalsarikännit“ gut auf den Punkt bringt: „Sich in Unterhosen daheim alleine betrinken“. Ein Ausdruck für Selbstzufriedenheit, Genügsamkeit und Entspannung. Quasi das finnische Hygge.
21. März 2024, Berlin
Der Sohn ist schon die ganze Woche morgens von ungewohnter Vitalität und voller guter Laune. Normalerweise schlurft er gegen sieben mit ausdrucksloser Miene aus seinem Zimmer, ist maulfaul und verlässt eine knappe halbe Stunde später mit der Dynamik eines Faultiers das Haus.
Nicht so in der Mottowoche. Da springt er mit dem Weckerklingeln aus dem Bett, tänzelt singend durch die Wohnung und zieht irgendwann voller Vorfreude auf den Tag in Richtung Schule.
Meine Frau und ich sind gespannt, ob er sich diese Motivation, Energie und Tatkraft für die bald anstehende Lernphase bewahren wird, haben aber unsere Zweifel.
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Tagesmotto heute: Zeitreise. Der Sohn und sein bester Freund haben sich aufblasbare Dinokostüme besorgt. Hoffentlich sind sie so schlau und verkleiden sich nicht schon zu früh. Sonst kommen sie nicht in die U-Bahn und ihre Zeitreise beginnt mit einer Fußreise.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)