Eine kleine Wochenschau | KW14-15/2025: Die neuen Möglichkeiten des Älterwerdens

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


31. März 2025, Berlin

Erster Montag nach der Sommerzeitumstellung. Kein guter Tag und nicht nur wegen Montag. Körper, Biorhythmus und mentale Verfasstheit sind noch auf Winterzeit gepolt, dem Wecker ist das vollkommen wumpe und er plärrt dich eine Stunde zu früh aus dem Schlaf. Also schon um 6 Uhr, wie vorgesehen, aber im Grunde genommen bereits um 5 Uhr, was in Euro sogar halb zwei ist.

Du liegst wie erschlagen im Bett, trauerst dem jäh unterbrochenen Schlaf hinterher, die Müdigkeit liegt wie eine extraschwere Gewichtsdecke auf dir und der Gedanke aufzustehen übersteigt deine Vorstellungskraft. Einfach liegen bleiben ist jedoch keine Option, denn Leistungsgesellschaft und kapitalistische Verwertungsmaschinerie verlangen nach deiner Arbeitskraft.

Im Hintergrund sitzt Christian Lindner und spuckt tatkräftig in die Hände. Da verlässt du wirklich unverzüglich das Bett, denn wer will schon, dass der ehemalige Finanzminister – die Älteren erinnern sich – in deinem Schlafzimmer abhängt. Außer Franca Lehfeldt. Vielleicht.

Titelbild mit einem großen, bunten Geburtstagskuchen

Ich muss nicht nur aufstehen, um vor Christian Lindner zu fliehen. G., unser Fensterputzer, kommt um halb neun. (Also, eigentlich um halb acht.) Dem kann ich schlecht sagen: „Legen Sie ruhig los, ich schlummer‘noch ein, zwei Stündchen. Sie wissen schon, wegen der Uhrumstellung. Da ist man immer so müde.“

G. ist ein kleiner, drahtiger Mann und ich glaube, er hat keine Probleme mit der Sommerzeit. Er strotzt nur so vor Energie und Lebensfreude und liebt seinen Beruf. Seine gute Laune ist ansteckend, seine Motiviertheit inspirierend. (Christian Lindner hebt nickend den Daumen.)

G. sorgt nicht nur für gute Vibes, sondern als added benefit auch für saubere Fenster und klare Sicht nach draußen. Gut, heute ist es grau und regnerisch, da ist der Außenblick gar nicht so erquicklich und die Regentropfen sind für die frisch geputzten Scheiben kontraproduktiv.

Aber ich will keine schlechten Gedanken zulassen, sondern mich von G.s positiver Ausstrahlung anstecken lassen. Gerade in diesen trüben Zeiten sollten wir uns alle ein Beispiel an ihm nehmen. Gäbe es mehr Menschen wie G., wäre die Welt ein besserer Ort. Mit immer sauberen Fenstern.

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Für die Tochter ist das mit dem Optimismus heute herausfordernd. Sie muss VWL nachschreiben. Gestern Abend erzählte sie von einer Aufgabe aus der letzten Klausur. In der ging es um Michaela und Frank und deren Käse- und Weinkonsum.

Interessant. Ein VWL-Studium behandelt die Zusammenhänge von Angebot und Nachfrage, staatliche Fiskalpolitik und wirtschaftliche Phänomene im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Strukturen und politischen Entscheidungen. Warum die Studierenden in der Klausur ausrechnen müssen, wie viel Käse Michaela futtert und wie viel Liter Wein sich Frank reinlötet, bleibt ein Mysterium. (Christian Lindner zuckt mit den Schultern.)

01. April 2025, Berlin

Meine Frau hat Geburtstag. Einen runden. Weder ihren 40. Noch den 60. Den Rest können Sie sich denken.

Zu dem Anlass bekommt sie ein Gratulationsschreiben ihrer Ministerin. Am Anfang steht ein Zitat der Feministin und Publizistin Betty Friedan: „Älterwerden ist nicht verlorene Jugend, sondern eine neue Stufe von Möglichkeiten und Stärke.“ Sie muss es wissen, schließlich wurde sie 85.

Die Ministerin schreibt, die mit dem Alter gewonnenen Erfahrungen machten einen stärker und trügen dazu bei, dass auch im Dienst das ein oder andere leichter von der Hand geht.

Ein sehr beschönigender, wenn nicht gar naiver Blick aufs Älterwerden. Gerade bei 50-jährigen Frauen. Die befinden sich wahrscheinlich in den Wechseljahren und plagen sich mit Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und weiteren unschönen Begleiterscheinungen herum. Da geht dir gar nichts leicht von der Hand.

Dafür sind sie leichter gereizt und reagieren zunehmend allergisch auf Bullshit, womit sie auch nicht hinterm Berg halten. Das ist wahrscheinlich das Beste am Alter. Deinem Gegenüber unverblümt mitzuteilen, dass er oder sie – meistens er – Müll labert. Vielleicht hatte Betty Friedan den Menopause Rage im Sinn, als sie von der neuen Stufe von Möglichkeiten und Stärke sprach.

02. April 2025, Berlin

Termin beim Orthopäden. Für eine Stoßwellentherapie zur Behandlung meiner immer noch schmerzenden Plantarfasziitis im linken Fuß. Erkläre der Sprechstundenhilfe, ich hätte einen Termin bei Dr. Görres. Sie schaut mich verwundert an. Dr. Görres arbeite mehr bei ihnen. Das ist einerseits überraschend, da ich vor rund acht Wochen noch bei ihm war, andererseits ungünstig, da er die Therapie durchführen sollte.

Die Frau tippt auf ihrer Tastatur rum und schaut mit zusammengekniffenen Augen auf ihren Monitor. Meine Termine seien alle durchgestrichen, ob mir niemand Bescheid gesagt hätte. „Doch, aber ich verbringe meine Freizeit gerne in Wartezimmern und Arztpraxen. Deswegen bin ich trotzdem vorbeigekommen.“ Diese Antwort schießt mir als erstes durch den Kopf, aber ich behalte sie für mich und verneine lediglich ihre Frage.

Nach einigen Minuten weiteren hektischen Tippens und Mit-zusammengekniffenen-Augen-auf-den-Bildschirm-Starrens, verkündet sie, Dr. Michel übernähme meinen Termin. Ich freue mich zwar, dass ich nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen muss, gleichzeitig bin ich misstrauisch, was mit ihm nicht stimmt, dass er so kurzfristig verfügbar ist.

Dr. Michel entpuppt sich als sehr junger Mann mit hipsteriger Vokuhila-Frisur, an seinem linken Ohr baumelt eine Art Federschmuck. Mein innerer Boomer räuspert sich und murmelt, ob man hier von geschmacksverwirrten Schülerpraktikanten behandelt würde. Ich raune ihm zu, er solle sein Maul halten.

Nach einer freundlichen Begrüßung erklärt Dr. Michel, es gäbe da ein Problem. Die Krankenkassen übernähmen die Kosten für eine Stoßwellentherapie erst, wenn die Diagnose seit drei Quartalen vorliegt, bei mir seien es erst zwei. Ich könnte die Behandlung aber privat bezahlen, rund 300 Euro für die drei anberaumten Sitzungen.

„300 Euro?“, knurrt mein innerer Boomer. „Haben sie dem Junior-Arzt ins Hirn geschissen?“ Ich entscheide, dass mir mein Fuß doch nicht so weh tut – maximal so 100 Euro für drei Termine – und verzichte vorerst auf die Therapie.

Da ich schon mal da bin, frage ich Dr. Michel, ob eine anti-entzündliche Ernährung helfen könnte, den Schmerz zu lindern. Während meiner Fastenwoche im Februar hätte sich mein Fuß deutlich besser angefühlt.

Für den Bruchteil einer Sekunde schaut Dr. Michel als hätte er in ein Lebensmittel gebissen, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum zu lange abgelaufen ist. Die Idee der ernährungsbedingten Schmerzbekämpfung scheint ihn nicht vollkommen zu überzeugen.

Nachdem er sich gefangen hat, erklärt er, unter Umständen könnte es möglicherweise unterstützend wirken, auf entzündlich wirkende Lebensmittel zu verzichten. Auf Zucker zum Beispiel. Oder auf Kaffee. Nun bin ich von der Idee auch nicht mehr überzeugt.

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Bei der Tochter steht heute die BWL-Klausur an. Weil ein Unglück selten allein kommt, stellt sie an der Bushaltestelle fest, dass diese wegen einer Straßensperrung nicht bedient wird.

Das ist aber kein Problem. Schließlich ist die Tochter unser Kind und hat einen ausreichend großen Zeitpuffer eingeplant. Der ist auch nötig, denn nachdem sie zu einer anderen Haltestelle gelaufen ist, fällt dort der nächste Bus aus.

Zehn Minuten vor Klausurbeginn erreicht sie schließlich den Stopp an der Uni. Nun muss sie noch einen Fußweg zurücklegen, der laut Google Maps zwölf Minuten dauert. Durch einen kleinen Power-Walk braucht sie nur sieben Minuten und ist somit sogar drei Minuten zu früh. Wenigstens sollte sie ausreichend Adrenalin gehabt haben, um die Klausur mit voller Konzentration zu schreiben.

03. April 2025, Berlin

Post von der LVM. Bei der haben wir letzte Woche eine Auslandsreise-Krankenversicherung abgeschlossen. Der Brief preist die „Meine LVM“-App an. Mit der könne ich alle meine Versicherungsangelegenheiten ganz bequem und einfach erledigen.

Das ist bemerkenswert analog gedacht, mit einem ausgedruckten Schreiben ein Digital-Angebot zu bewerben. Noch bemerkenswerter ist, dass der Brief keinen QR-Code enthält, auch keinen ausgeschriebenen Link, wo ich die App runterladen kann.

04. April 2025, Berlin

Heute ist eine ganze Reihe von Feier- und Gedenktagen:

  • Erzähle eine Lüge-Tag: Oder wie er bei Donald Trump heißt: Freitag
  • Nationaler Geh-zur-Arbeit-Tag: Der feuchte Traum von Christian „Leistung muss sich lohnen“ Lindner
  • Lauf-um-Dinge-herum-Tag: Ins Leben gerufen von der Vereinigung der großen Zehen

05. April 2025, Berlin

Heute Geburtstagsfeier meiner Frau. Bei uns zuhause. Sie durfte für jedes Jahr einen Gast einladen. Somit ist die Wohnung recht gut gefüllt.

Wie es sich gehört, hat meine Frau vorher pflichtschuldig per Hausflur-Aushang auf die Feier und etwaige Lärmbeeinträchtigungen hingewiesen. Verbunden mit der obligatorischen Aufforderung bei zu großer Lautstärke Bescheid zu geben oder am besten gleich mitzufeiern.

Das macht selbstverständlich niemand. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz bei Feiern in Mehrparteienhäusern. Die Party-Ausrichter*innen demonstrieren Gastfreundlichkeit und laden alle ein, die Hausbewohner*innen zeigen wiederum soziale Kompetenz und kommen nicht.

Die Feier geht bis circa 2 Uhr. Eine respektable Zeit für Menschen, die in den 70ern geboren sind. Der Getränkekonsum hält sich in Grenzen: 11 Flaschen Sekt, 2 Flaschen Rotwein, 1 Flasche Weißwein, 6 Flaschen Tonic Water, eine halbe Flasche Aperol fast eine Kiste Bier, eine Kiste Wasser und eine Kiste Fritz-Cola/Fritz-Apfelschorle gemischt.

Ungünstigerweise hatte wir mit dem Trinkverhalten einer Gruppe feierbiestiger 18-jähriger kalkuliert. Deswegen bleiben 14 Flaschen Sekt, zweieinhalb Kisten Bier, jeweils 4 Flaschen Rot- und Weißwein, 12 Flaschen Tonic Water, 2 Kisten Wasser, 2 Kisten Fritz-Cola/Fritz-Apfelschorle und 4 Flaschen Aperol übrig.

Wir können nächstes Wochenende also noch eine Party feiern. Und das Wochenende darauf eine weitere. Die Nachbar*innen sind alle herzlich eingeladen.

06. April 2025, Berlin

Video-Telefonat mit dem Sohn. Der weilt immer noch auf Bali. Wir bekommen ein kurzes Update zu Essen (gut), Wetter (gut), Gesundheit (nicht so gut) und Stimmung (trotzdem gut).

Etwas irritierend ist, dass der Sohn alle zwei, drei Minuten lächelnd den Kopf schüttelt und abwehrende Handbewegungen macht. Das gilt jedoch nicht uns, sondern den Roller-Fahrern, die ihn gerne irgendwohin kutschieren würden. Möglicherweise bieten sie ihm aber andere Dienstleistungen an, eher so aus dem Erotikbereich, oder sie wollen ihm Rauschgift verkaufen und versteht das falsch. Sonst würde er das Telefonat vielleicht unverzüglich abbrechen.


Teil 2


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