Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
10. April 2023, Berlin
Ostermontag. Verbringe den größten Teil des Tages mit der Verdauung des gestrigen Ostermahls. Zwischendurch gehe ich laufen. Auf meiner Hohenzollernkanal-Strecke komme ich an den Schwänen vorbei, denen ich immer mit einer Mischung aus Respekt, Ehrfurcht und Hosen füllender Angst begegne. Das Schwanenpaar baut am Uferrand an seinem Nest. Ein älteres Ehepaar ist davon hellauf begeistert und fotografiert die Schwäne samt Brutstätte. Nicht aus sicherheitsabstandwahrender Ferne, sondern sie machen Nahaufnahmen, bei denen du wahrscheinlich die Struktur jeder einzelnen Schwanenfeder und jedes im Nest verbaute Ästchen erkennst.
Ich bin mir nicht sicher, ob es sonderlich klug ist, sich brütenden Schwänen so sehr zu nähern. Die gelten auch ohne zu erwartenden Nachwuchs nicht gerade als Mahatma Ghandis unter den Wasservögeln. Allerdings hat die Sorglosigkeit der Senior*innen auch sein Gutes: Dadurch sinkt mein Risiko, von den Schwänen attackiert zu werden, denn ich gehe davon aus, dass ich deutlich schneller rennen kann als die beiden betagten Mitbürger*innen.
Einfach abzuhauen und das Ehepaar seinem Schwanen-Schicksal zu überlassen, wäre allerdings bestimmt nicht gut für mein Karma. Vielleicht werde ich dann später als Schwan wiedergeboren. Vielleicht aber nicht, denn das könnte auch als Aufstieg im Wiedergeburtszyklus betrachtet werden. (Zumindest aus Sicht der Schwäne.)
11. April 2023, Berlin
2.30 Uhr. Ich warte mit der Tochter an der Bushaltestelle auf den Nachtbus zum Bahnhof. Von dort fährt sie zum Flughafen, wo sie die erste Maschine nach Dublin nimmt. Da trifft sie sich wiederum mit Freund*innen, mit denen sie abends nach Bristol fliegt, wo es dann am nächsten Morgen weiter nach Zakynthos geht.
Berlin, Dublin, Bristol, Zakynthos. Hört sich an wie eine 3-Wetter-Taft-Werbung mit einem orientierungslosen Navi, war aber die billigste Verbindung für den Osterferien-Trip nach Griechenland. So exotische Reisen haben meine Frau und ich früher nicht gemacht. Unser erster gemeinsam Urlaub ging während unseres Studiums nach Föhr, wo wir ihre dort urlaubenden Eltern besuchten. Ich verschone die Tochter aber mit der Geschichte. Schließlich will ich nicht klingen wie Opa, der vom Krieg erzählt.
Trotz der frühen Uhrzeit sind in ein paar Häusern Fenster erleuchtet. Bei einigen deutet das bläulich schimmernde Licht auf laufende Fernseher hin. Ob die Menschen dort wohl schon wach sind oder immer noch?
An einer Döner-Bude gibt ein Mann gerade seine Bestellung auf. Egal ob es sich um ein spätes Betthupferl oder ein frühes Frühstück handelt, aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist ein Döner um halb drei eine wohl eher fragwürdige Entscheidung.
Mehrere Spätis haben geöffnet. Hier stellt sich die Frage nach noch oder schon nicht. Die meisten Späti-Betreiber kennen das Konzept des Ladenschlusses nicht.
Unser Bus kommt. Wir fahren am Strom-Eck, einer typischen Berliner Eckkneipe, vorbei. Dort brennt auch noch Licht, die Hocker rund um die Theke sind alle besetzt. An einem Dienstagmorgen, kurz vor drei. Hier triffst du wahrscheinlich keine Schaffe-schaffe-Häusle-bauen-Schwaben.
Vor circa zwei Jahren kam das Strom-Eck zu seinen fünfzehn Minuten viralem Internet-Ruhm. Seinerzeit stellte jemand ein Video ins Internet, auf dem die Kneipengäste aus dem Fenster heraus mit ein paar vorbeiziehenden Querdenker-Demonstranten über den Sinn und Zweck der Corona-Maßnahmen diskutieren. Sehr engagiert, meinungsstark und unter Verwendung der ein oder anderen Beleidigung aus dem Bereich der menschlichen Verdauung. Die Strom-Eckler mögen zwar ein distanziertes Verhältnis zur protestantischen Arbeitsethik haben, tragen ihr Herz aber auf dem rechten Fleck. (Und auf der Zunge.)
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13 Uhr. Der Sohn steht auf. Er ist in Eile, denn er ist mit ein paar Klassenkameraden verabredet. Zum Frühstück. (Die Strom-Eck-Gäste nicken anerkennend.)
Gestern hat der Sohn bei seinem Brauhaus-Thekenjob sein Trinkgeld ausgezahlt bekommen, heute gibt er es in einem Café aus. Mit dem Geld, das er in der Gastronomie verdient hat, kurbelt er die Gastronomie an. Eine Gastro-Hand wäscht quasi die andere.
12. April 2023, Berlin
Neue Laufeinheit, neue Schwanenbegegnung. Die Schwäne haben den Nestbau inzwischen abgeschlossen und sind in die Brutphase übergegangen. Frau Schwan sitzt im Nest auf den Eiern und brütet diese aus, Herr Schwan bewacht Brutstätte, den noch auszubrütenden Nachwuchs sowie die Frau Gemahlin.
Der Uferbereich, den sich die Schwans für das Nest ausgesucht haben, ist nicht sonderlich geräumig. Er wird nahezu vollständig durch das Nest bedeckt. Das hat wiederum zur Folge, dass Herr Schwan halb auf dem Uferweg hockt und aufmerksam mit gerecktem Hals beobachtet, ob es jemand wagt, sich seinem Nachwuchs in spe zu nähern. Stets bereit, denselbigen auf Leben und Tod zu verteidigen. Wobei das Leben für ihn vorgesehen ist und der Tod für diejenigen, die unvorsichtig genug sind, dem Nest zu nahe zu kommen.
Um einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem zukünftigen Schwanen-Papa zu entgehen, laufe ich auf der anderen Seite am äußersten Rand des Weges beziehungsweise neben ihm. Dabei drücke ich mich am Zaun eines Schrebergartens entlang und hoffe, dass hier kein Pitbull-Pärchen wohnt, das gerade Jungen bekommen hat, weswegen Herr Pitbull mich zur Gefahrenabwehr mit ein paar Bissen in Gulasch verwandelt. Das könnte dann die erste feste Nahrung für die Pitbull-Kinder sein, was für diese ein kulinarischer Meilenstein, für mich aber nur wenig erquicklich wäre.
13. April 2023, Berlin
Heute ist Ehrentag der Pflanze. Unser Ficus Benjamini mit seinen lichten Ästen und spärlichen Blättern schaut mich fragend an.
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Der DHL-Mann bringt uns ein Paket. Eine leicht verspätete Osterüberraschung der 90-jährigen Tante meiner Frau. Das ist die Tante, der ich immer Urlaubs- und Weihnachtsgrüße schicke, weil sich meine Frau beharrlich weigert, Karten zu schreiben. (Das Päckchen ist trotzdem für uns beide.) Zu der Tante gibt es auch noch einen Onkel, aber ich glaube, der hat mit dem Osterpäckchen nicht sonderlich viel zu tun. Wahrscheinlich weiß er nicht mal von dessen Existenz.
Das Päckchen enthält unter anderem zwei gefärbte Eier, die von der Tante höchst selbst verziert wurden. Ich kann nicht erkennen, ob es sich auf den Eiern um filigrane Muster oder irgendetwas in Sütterlin-Schrift handelt. Essen werden wir sie ohnehin nicht, denn wir wissen nicht, wie es um die Haltbarkeit von Eiern bestellt ist, die eine Woche ungekühlt durch Deutschland kutschiert wurden.
In dem Paket befinden sich auch ein paar Schokoeier. Das trifft sich ganz gut, denn unser Vorrat wurde in den letzten Tagen doch erheblich reduziert. Etwas a-saisonal hat die Tante außerdem eine Packung Guten-Morgen-Tee, eine Schachtel Alles-Gute-Schokolade von Milka sowie einen Karton Jaffa-Cakes mitgeschickt. Letztere mit Kirschglibber-Füllung, was selbst jenseits meiner geschmacklichen Toleranzschwelle liegt. Das ist aber nicht schlimm, da ich ohnehin noch auf mein Lauf-Gewicht achten muss. (Siehe oben: Dezimierter Schokoeier-Vorrat.)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)