Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
18. April 2022, Berlin
Tag 3 unserer Corona-Isolation. Beim Frühstück frage ich meine Frau, ob wir gleich die beiden letzten Folgen der fünften Arrow-Staffel schauen sollen. Die hatten wir gestern Abend nicht mehr geschafft. Meine Frau schüttelt den Kopf. Wenn sie schon um acht Uhr fernsehen würde, hätte sie das Gefühl, sie verliere die Kontrolle über ihr Leben.
Ich frage mich, ob nicht das Gegenteil der Fall ist. Indem du schon um acht Uhr vor der Glotze hockst, hast du doch die totale Kontrolle über dein Leben. Weil du dich dann den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft entziehst. Das frühmorgendliche Netflixen als quasi-revolutionärer Akt, als Auflehnung gegen die kapitalistische Lohnsklaverei, als Ausdruck der emanzipatorischen Selbstermächtigung. Wohlklingende, leicht vulgär-marxistische Worte, die noch überzeugender wären, hätte ich vor dem Frühstück nicht schon drei Schokoeier gegessen. Denn das ist wirklich ein untrügliches Zeichen, dass du dein Leben nicht im Griff hast.
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Mittags hat meine Frau für uns Stullen geschmiert – willkommen in den 1950ern – und diese verzehren wir nun auf dem Balkon. So wollen wir uns ein wenig Urlaubsfeeling vorgaukeln. Ein in der Theorie bestechender Plan, der bei der Umsetzung aber leichte Defizite aufweist. Unser Balkon ist eher klein, nicht größer als anderthalb Quadratmeter. Daher kauern wir nun auf zwei Sitzwürfeln, auf unseren Knien, die sich fast berühren, balancieren wir das Stullenbrettchen, und müssen aufpassen, dass dieses nicht runterfällt, womit unser Mittagessen schlagartig beendet wäre.
Gleichzeitig versuche ich, mich von einer Balkonpflanze, die mir im Nacken hängt, fernzuhalten, weil es sich sonst anfühlt, als krabbelt mir irgendein Getier in den Ausschnitt. Weil die Sitzwürfel ziemlich niedrig sind, beziehungsweise durch unser Gewicht auf ungefähr Schuhkarton-Höhe zusammengedrückt werden, sehen wir von der Umgebung nicht allzu viel und haben keinen besonders erbaulichen Ausblick. Stattdessen glotzen wir auf die gemauerten, weiß getünchten Balkon wände.
Alles in allem gebe ich unseren Balkonferien einen von fünf Sternen. (Den einen für die angenehme Urlaubsbegleitung.)
19. April 2022, Berlin
Corona, Tag 4. Mir geht es gut, ich habe keinerlei Symptome mehr, muss aber weiterhin in Isolation bleiben. Allerdings meldet sich der Corona-Leugner in mir und schlägt vor, ich könne doch ruhig zum Spazieren rausgehen. Natürlich mit Maske. Da würde schon nichts passieren. Schließlich würde ich ja nicht in einen Swinger-Club gehen, um mit wildfremden Menschen rumzufummeln und Körperflüssigkeiten auszutauschen, sondern nur ein bisschen rumlaufen. Immer mit Abstand natürlich. Alles ganz easy.
Mein innerer Drosten behält aber die Oberhand und ich bleibe selbstverständlich in der Wohnung. Stattdessen recherchiere ich zwei Stunden lang im Internet nach günstigen Bestellmöglichkeiten für ausgefallene Gin-Sorten. Keine Ahnung, ob Herr Drosten das gutheißen würde. Dafür bekomme ich aber den Rest der Woche jeden Tag kleine Gin-Fläschchen geliefert und das ist für den Gesundungsprozess sicherlich nicht schädlich.
20. April 2022, Berlin
Heute ist nicht nur der fünfte Tag unserer Corona-Isolation, sondern auch Cannabis-Tag. Ich habe zwar nichts zu tun, verzichte aber dennoch darauf, den Tag mit einem Joint zu zelebrieren.
Ich habe schon früher fast nie gekifft. Zum einen dachte ich lange, dass ich, wenn ich auch nur einmal an einem Joint ziehe, unweigerlich wie Christiane F. am Bahnhof Zoo landen würde. Zum anderen rauchte ich auch keine normalen Zigaretten. Weil ich nicht auf Lunge ziehen konnte und es mir nie antrainiert habe. Nur zu paffen, fand ich peinlich. Außerdem wusste ich nie, wie ich die Zigarette halten soll. Entweder klemmte ich sie mir zwischen Zeige- und Mittelfinger, wodurch ich mir wie eine ältere, vornehme Seniorin vorkam – ein Eindruck, den du als Teenager unbedingt vermeiden möchtest. Oder ich hielt die Kippe zwischen Daumen und den restlichen vier Fingern, was ich als unangemessen Bruce-Willis-haft empfand. (Als spätentwickelnder Fünfzehnjähriger, der noch auf Stimmbruch und Bartwuchs wartete, war ich mir bewusst, dass Bruce Willis viel zu cool und männlich für mich ist.)
Bei meinen wenigen Kiff-Erlebnissen habe ich zwar an dem Joint gezogen, aber nicht richtig inhaliert. (Liebe Grüße an Bill Clinton!) Zum großen Unmut der anderen, die das für eine riesige Verschwendung hielten. Somit endete meine Kiffer-Karriere, bevor sie begann.
21. April 2022, Berlin
Tag 6 unserer Corona-Isolation. Ich habe inzwischen vergessen, welcher Wochentag heute ist. Wenn du den größten Teil der Tage mit Nichtstun beschäftigt bist, fließt die Zeit irgendwann einfach so an dir vorbei und das Konzept von Wochentagen verliert jegliche Bedeutung. Das ist im Prinzip wie im Urlaub. Nur dass sich unser Naherholungsgebiet lediglich bis auf unseren Balkon erstreckt.
Da Wochentage und Uhrzeiten mittlerweile nur noch relativ sind, haben wir jedwede Scheu verloren, schon am frühen Nachmittag den Fernseher anzumachen. Um präzise zu sein, bereits um 12 Uhr, so dass wir bereits beim Mittagessen netflixen. Und wenn du schon mal sitzt, kannst du auch gleich den Rest des Tages weiterschauen. (So eine Serie binget sich ja nicht von alleine weg.)
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Unser eingeschränkter Bewegungsradius und die medizinisch angeratene Schonung haben dazu geführt, dass ich ungefähr so aktiv wie ein altersschwaches Zweifinger-Faultier bin. Normalerweise gehe ich durchschnittlich 15-20.000 Schritte am Tag, diese Woche nur circa 1.000. Und das auch nur, weil ich viel trinke und regelmäßig auf Toilette muss.
Zum Glück habe ich wenigstens keine überambitionierte Fitness-App, die mich andauernd zu körperlicher Aktivität auffordert. („Hallo Christian, wie wäre es mit ein bisschen Bewegung?“, „Hey, Christian, wer rastet, der rostet.“, „Mensch, Christian, sei kein faules Ei. Bekomm endlich mal deinen Arsch hoch!“) Vielleicht denkt mein Handy aber auch, so wenig wie ich mich bewege, bin ich wahrscheinlich ins Koma gefallen, und es ist sinnlos, mich zu irgendetwas zu motivieren.
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Der Sohn geht nachmittags ins Kino. In Phantastische Tierwesen. Die Frau ist davon wenig begeistert. Er hätte das Coronavirus bei uns eingeschleppt und nun, nachdem er genesen sei, ginge er fröhlich raus und sie müsse zuhause bleiben, während er sich ausgerechnet den Film anschaue, den sie auch gerne sehen würde. Der Sohn verfügt über genügend Teenager-Phlegma, um sich an den Ausführungen seiner Mutter nicht allzu sehr zu stören. Stattdessen erklärt er, als gute Mutter sei seine Freude doch auch ihre Freude. Dem Gesichtsausdruck meiner Frau nach zu urteilen, liegt er damit ziemlich falsch.
(Falls sie aus dieser Schilderung schließen, meine Frau sei eine ungnädige Kranke, liegen Sie damit wiederum richtig. Ein Satz, den ich nur stehen lasse, wenn sich meine Frau bis zum Wochenende freitesten konnte.)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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