05. Mai 2024, Cuxhaven/Berlin
Marathontag. Die Strecke: Ein 10,5-KM-Rundkurs, der viermal für den Marathon absolviert werden muss. Das ursprüngliche Ziel: unter dreieinhalb Stunden ankommen. Ein Leistenbruch sowie eine Woche Erkältung verhinderten aber eine bestzeitwürdige Vorbereitung. Neues Ziel: Entspannt laufen und nach Möglichkeit in unter vier Stunden ankommen.
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10.30 Uhr, Startschuss. Fange sehr langsam an, damit das mit dem entspannt Laufen funktioniert. Bei Kilometer 1 liegt ein Läufer am Streckenrand. Sieht nach epileptischem Anfall aus. Ein Sanitäter kümmert sich. Mache noch langsamer, damit das mit dem Ankommen funktioniert.
Kilometer 2. Eine Senioren-Linedance-Gruppe sorgt für Stimmung. Oder versucht es. Nieselregen setzt ein.
Nach dreieinhalb Kilometern kurzer, steiler Anstieg auf den Deich. Dann zwei Kilometer immer geradeaus. Dafür am Meer entlang.
Nieselregen wird zum Dauerregen. Zurück unten am Deich entlang, durch die Innenstadt, Senioren-Linedancer, Start-Zielbereich. Erste Runde geschafft. 59:20. Unter vier Stunden sollte klappen.
Zweite Runde, erhöhe das Tempo. Meine Frau kommt mir auf der anderen Seite des Kurses entgegen. Etwas rotgesichtig, mit strubbeligem Haar, aber beseelt winkend.
Der Regen wird stärker. Innenstadt, Linedancing, Deich hoch, Meer, Dixieklo-Zwischenstopp, mehr Meer, mehr Regen, unterhalb des Deichs zurück, Innenstadt, Linedancer, Start-Zielbereich. Runde 2 in 57:50. Vielleicht schaffe ich sogar 3 Stunden 50.
Lege eine Schippe drauf, der Regen auch. Meine Frau versorgt mich hinter dem Startbereich mit Trinkflasche und Energy-Gels. Die Strecke leert sich langsam, weil nur noch die Dreiviertel- und Marathonläufer unterwegs sind.
Innenstadt, Linedancer (unter Vordach), Deich hoch, Meer, Pfütze, die so tief ist, dass ich durchschwimmen könnte, Regen so stark, dass ich kaum noch durch die Brille sehen kann, unterhalb des Deichs zurück, Innenstadt, Linedancer (immer noch unter Vordach), Start-Zielbereich. Runde 3 in 55:25. Vielleicht sind sogar 3 Stunden 45 drin.
Fühle mich fit, erhöhe das Tempo weiter. Neue Flasche und Gels von meiner Frau. Nur noch knapp 100 Läufer*innen auf der Strecke. Innenstadt, Linedancer (packen gerade ein).
Letztes Mal den Deich hoch, Meer, Meer, Meer, überhole ein paar Läufer, niemand mehr zu sehen, Meer, Meer, Meer, Regen hört auf, wieder Pfütze, Meer, Meer, Meer, unterhalb des Deichs zurück, in der Ferne ein paar Läufer*innen, mehr Tempo, Deich, Deich, Deich, überholen, überholen, überholen, überholen, Innenstadt, Innenstand, Innenstadt, die letzte Linedancerin klatscht am Streckenrand, noch anderthalb Kilometer, geradeaus, geradeaus, geradeaus.
Zielbanner in Sicht, vor mir eine Frau, die ich noch überholen will. Nicht weil es eine Frau ist und ich das für mein männliches Ego brauche, sondern weil ich es kann. Dann Zielgerade, Zielgerade, Zielgerade. 3:45:20. (Das nächste Mal nicht aufs Klo gehen, sondern in die Hose machen, dann klappt es auch mit den 3:45.)
06. Mai 2024, Berlin
Meine Frau fährt zwei Tage auf Dienstreise. Nach Schleife, in Sachsen. Auch im Osten gibt es Ortsnamen, die wie erfunden klingen.
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Sitze in einer Videokonferenz, als ich eine WhatsApp Nachricht des Sohns bekomme. „Das Klo ist verstopft. Was soll ich machen?“
Während ich über Strategien, Zielgruppen und Taktiken diskutiere, denke ich darüber nach, wie ich gleich den Toilettenabfluss von Kacke und Klopapier befreien muss. Home-Office-Multitasking eben.
07. Mai 2024, Berlin
Meine Frau kommt aus Schleife zurück. Sie klagt über Muskelkater im Bauch und in den Oberschenkeln. Das käme von den vier Stunden Tischtennis-Rundlauf, die sie gestern Abend gespielt hätten. Schön, dass die Dienstreise produktiv war.
08. Mai 2024, Berlin
Optiker-Termin. Mein Gestell ist kürzlich am Steg zerbrochen und konnte nur noch notdürftig repariert werden. Daher benötige ich eine neue Brille.
Zunächst Überprüfung meiner Augen. Um die Stärke der Gläser zu ermitteln. Beziehungsweise die Schwäche meiner Sehkraft.
Als erstes glotze ich in ein spaciges Augenmessgerät. Das verschwommene Bild eines rot-gelb gestreiften Heißluftballons erscheint. Die Optikerin fordert mich auf, das Bild durch Akkommodation scharf zu stellen. Ich habe keine Ahnung, was das heißt, und strenge einfach mein Auge an, bis der Ballon hochaufgelöst ist. Interessant, was man alles kann, ohne zu wissen, wie es geht. Zum Beispiel Pipi machen. Keine Ahnung, wie das funktioniert, aber es klappt.
Danach muss ich an der Wand Buchstabenreihen vorlesen. Die Frau probiert dabei verschiedene Linsenstärken aus. Nach fünf Minuten sehe ich alles nur noch verschwommen. (Inklusive die Optikerin.) Hoffentlich kein schlechtes Zeichen für meine neuen Gläser.
Anschließend suche ich ein neues Gestell aus. Am liebsten würde ich mein aktuelles Modell wieder nehmen. Das ist aber dreizehn Jahre alt und wird nicht mehr produziert.
Das Anprobieren der neuen Brillen ist herausfordernd. Also, nicht der Vorgang des Aufsetzens, aber ohne meine Sehstärken-Gläser erkenne ich im Spiegel nichts. Die Brillen könnten dreieckig sein und ich würde es nicht merken.
Die Optikerin fotografiert mich mit drei Modellen. Ich schicke die Bilder meiner Frau. Sie fragt, ob das dreimal die gleiche Brille ist.
Ich entscheide mich schließlich für Modell 2. Sollte mir die Optikerin nächste Woche allerdings Modell 1 verkaufen, würde ich es auch nicht merken.
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Die Tochter ruft mit freudigen Nachrichten an. Nicht zu ihrem Studium, sondern sie war gestern Abend das erste Mal in einem Wettbüro und hat fünf Euro auf Dortmund gesetzt. Dadurch hat sie 27 Euro gewonnen.
Ihr Freund setzte eine komplizierte Wette, die unter anderem beinhaltete, das Mbappé und Füllkrug mindestens einmal aufs Tor schießen, und vor allem das PSG gewinnt. Nichts davon trat ein und er verlor seinen Einsatz.
Kurz spiele ich mit dem Gedanken, 50 Euro auf einen Sieg von Bayern gegen Real heute Abend zu setzen. Das letzte – und einzige Mal –, dass ich Geld auf Bayern gesetzt habe, war im Champions-League-Finale 1999, das die Münchner durch zwei Tore in der Nachspielzeit gegen Manchester United verloren. (Der Verlust meiner fünfzehn Pfund, war weniger schmerzhaft als die die Niederlage.) Da ich das für ein schlechtes Omen deute, verzichte ich auf die Bayern-Wette. (Rückblickend hätte ich vielleicht auf Real setzen sollen.)
09. Mai 2024, Berlin
Vatertag. Keines meiner Kinder gratuliert mir. Alles richtig gemacht bei der Erziehung.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)