Eine kleine Wochenschau | KW18-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


02. Mai 2022, Berlin

Schon wieder Neuigkeiten von der Käsetheke im Bio-Supermarkt. Dort gibt es neu im Sortiment einen französischen Weichkäse namens „Monsieur Jean Bernard“. Die Franzosen haben einfach Stil. Während die deutschen Käsemacher ihren Sorten schlimme Namen wie wilder Bernd, leichte Hilde oder uriger Hannes geben und sie unangemessen kumpelig mit dem Vornamen anreden, werden die Käse in Frankreich formvollendet mit Herr angesprochen und wahrscheinlich auch gesiezt.

Ich finde das gut. Ein Prinzip, dass sich auch schön auf andere Alltagsgegenstände übertragen ließe, um ihnen mehr Wertschätzung entgegenzubringen.

„Danke, dass Sie so bequem sind, Herr Schuh.“
„Frau Schere, Sie sind unfassbar scharf.“
„Es ist mir eine Freude und Ehre zugleich, auf Ihnen verweilen zu dürfen, Graf von Stuhl.“
„Wie schön Sie doch blühen, Baronin von und zu Gerbera.“

03. Mai 2022, Berlin

Nachdem die Laufschuhe, die ich kürzlich im Internet bestellt hatte, zu groß waren und mein altes Laufschuhmodell tatsächlich nirgendwo mehr erhältlich ist, muss ich wohl oder übel in einen Laden gehen, um mich beraten zu lassen. In dem Geschäft begrüßt mich eine junge Frau von circa Anfang/Mitte 20. Sie führe die von mir gebuchte Beratung durch, erklärt sie mir.

Ich weiß nicht, ob es Sexismus oder Ageism ist und ich bin wahrlich nicht stolz darauf, aber ich habe sofort das Gefühl, dass die Frau nicht übermäßig kompetent ist. Dabei hat sie noch gar nicht viel gesagt und ist auch sehr freundlich und motiviert. Trotzdem wir meine Erwartung enttäuscht, dass meine Laufschuhverkäuferin aussieht, als liefe sie seit mindestens 30 Jahren jede Woche einen Ultramarathon, und dass sie alle Kundinnen, deren Wochenpensum unter 120 Laufkilometern liegt, mit einer nur notdürftig verhehlten Geringschätzung behandelt.

Als erstes führt die Frau eine Laufanalyse durch. Dazu muss ich auf einem Laufband laufen und werde dabei von hinten gefilmt. Ich stand in meinem Leben erst einmal auf einem Laufband und habe größte Mühe mich darauf fortzubewegen Meine leicht würdelose Laufband-Performance macht meine Aussage von eben, ich starte im Oktober beim Marathon in Köln und bräuchte dafür einen geeigneten Schuh, nicht besonders glaubwürdig.

So wie ich hier auf dem Laufband stakse und taumle, sehe ich nicht aus wie ein Marathoni in spe, sondern eher wie die Tiere in „Die Wüste lebt“, die zu viele gegorene Früchte genascht haben. (Die Älteren unter Ihnen erinnern sich vielleicht.)

Beim gemeinsamen Anschauen des Videos äußert sich die Verkäuferin aber sehr lobend über meinen Laufstil und hat nichts auszusetzen. (Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihr dafür doch eine gewisse Kompetenz zuschreibe oder gar keine mehr.) Mir fällt dagegen bei dem Video in erster Linie auf, wie stämmig meine Oberschenkel und mein Po von hinten aussehen. Ich hoffe einfach mal, dass das durch eine unvorteilhafte Verzerrung aufgrund eines ungünstigen Kamerawinkels liegt.

Die Verkäuferin bringt mir ein paar Modelle zur Auswahl und verliert auch nicht ihre Freundlichkeit, als sie immer wieder und wieder neue Schuhe aus dem Lager holen muss, weil ich andauernd etwas auszusetzen habe. (Zu weich, zu eng, zu hart, zu leicht, zu knubbelig!) Sie zuckt auch nicht mit der Wimper, als ich mich eine gute Stunde später für das erste Modell entscheide.

04. Mai 2022, Berlin

Ich hole für meine Frau ein Paket ab, das in einem Späti drei Straßen weiter abgegeben wurde. Bevor ich losgehe, suche ich die Vollmacht, die meine Frau mir mal vor ein paar Jahren ausgestellt hat, kann sie aber nicht finden. Meine Frau meint, das ginge bestimmt auch so. Schließlich sei das ein Späti und keine richtige Postfiliale.

Bestimmt hat sie recht. Spätis sind schließlich die Orte, wo Fünfzehnjährige sich mit Schnaps eindecken, bevor sie auf Partys gehen. Da werde ich ja wohl ein Paket für meine Frau ausgehändigt bekommen, die den gleichen Nachnamen trägt wie ich – zumindest zu 50 Prozent – und fast den gleichen Vornamen.

Zuerst läuft auch alles glatt. Der Späti-Betreiber nimmt mich sogar mit in seinen Lagerraum, damit ich ihm helfe, das Päckchen zu suchen. Also, eigentlich wartet er eher an der Tür und schaut mir dabei zu, wie ich suche. Als ich fündig geworden bin, schaltet der Späti-Mann allerdings in den Modus „überkorrekter preußischer Ministerialbeamte“ und möchte meinen Ausweis sehen. Den kontrolliert er sehr penibel und ich hoffe, er lässt ihn durchgehen, obwohl ich auf dem Bild keine Brille trage, mein Bart viel dunkler ist und ich überhaupt aussehe wie ein Kleinkrimineller, der verhaftet wurde, weil er ahnungslose Touristen beim Hütchenspielen am Kudamm abgezogen hat. Der Späti-Mann hat aber keine Einwände. Wahrscheinlich, weil ich für ihn wie ein Brille tragender, graubärtiger Kleinkrimineller aussehe, der verhaftet wurde, weil er ahnungslose Touristen beim Hütchenspielen am Kudamm abgezogen hat.

Dann fällt ihm aber auf, dass das Päckchen gar nicht an mich, sondern an meine Frau adressiert ist. Ob ich denn eine Vollmacht hätte, will er wissen. Ich verneine und schaue ihn mit dackelblickiger Unterwürfigkeit an, denn das erweicht vielleicht seinen inneren überkorrekten preußischen Ministerialbeamten. Der Mann verzieht aber keine Miene.

Also durchsuche ich doch noch mal meinen Geldbeutel. Überraschenderweise finde ich jetzt die Vollmacht. (Zwischen der IKEA Family Card und einer Metro-Kundenkarte, deren Existenz mir entfallen war.)

Das Vollmachtkärtchen ist ziemlich vergilbt, an den Ecken verknickt und eingerissen und die Schrift ist so verblasst, dass sie kaum noch zu erkennen ist. Ich fürchte, dass es meiner Glaubwürdigkeit nicht gerade zuträglich ist, dass ich zuerst behauptet habe, ich hätte keine Vollmacht, und dann etwas vorzeige, das aussieht, als sei es gerade von Indiana Jones aus der Bundeslade gezogen worden. Der Späti-Mann ist aber zufrieden. Wahrscheinlich muss er nur irgendwo ein Häkchen machen, dass ihm eine Vollmacht gezeigt wurde, egal in welchem Zustand diese ist. Schließlich muss ich noch den Empfang quittieren und kann dann mit dem Päckchen abziehen. Vielleicht sollte ich dem Sohn Bescheid geben, dass er bei diesem Späti nicht versuchen muss, Schnaps zu kaufen.


Terminhinweis in eigener Sache

Ich habe die große Ehre und darf am 23. Mai bei der phantastischen Lesebühne Fuchs & Söhne lesen. Gemeinsam mit Kirsten Fuchs, Tilman Birr, Sebastian Lehmann und Paul Bokowski. Im Grips-Theater. Um 19.30 Uhr. Falls Sie in Berlin leben, kommen Sie doch vorbei. Das wird bestimmt lustig. Zumindest während Kirsten, Tilman, Sebastian und Paul lesen.

Tickets gibt es hier.


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