12. Mai 2022, Berlin
Impressionen von meinem Morgenspaziergang um kurz vor acht:
In der Imbissbude drückt ein Zocker auf den Knöpfen der Spielautomaten rum und verliert sein erstes Geld des Tages. Vor dem Eingang stehen zwei Trinker und kippen den ersten Schnaps des Tages. Eine Krähe zieht aus einem Mülleimer einen halben Döner für ihre erste Mahlzeit des Tages.
Ein kleines Kind fährt mit seinem Laufrad gegen einen Poller und weint. Seine Mama tröstet es und schon ist die Welt wieder in Ordnung.
Ein älterer Herr schlurft in Richtung Supermarkt und macht alle 20 Meter Pause, um sich auszuruhen. Vielleicht sollte ich ihm meine Kopfhörer geben, damit er Roland Kaiser hören kann.
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Ich gehe zum Friseur beziehungsweise zur Friseurin. Als ich zum Haarewaschen am Waschbecken Platz nehme, tritt ein Mann an die Kasse. Er ist groß und schlank, seine Haare sind ziemlich dünn und schulterlang und er hat sich blonde Strähnchen und eine Minipli-Dauerwelle machen lassen, die Rudi Völler Tränen der Rührung in die Augen treiben würde. „Mal sehen, was der Spaß kostet“, sagt er und lacht dabei. „Bei der Frisur hoffentlich gar nichts“, denkt der überhebliche, zynische Arsch in mir und ich schäme mich ein bisschen dafür.
„156 Euro“, sagt die Friseurin, was der guten Laune des Mannes keinen Abbruch tut. Er bezahlt und beim Rausgehen begutachtet er sich noch einmal im Spiegel. Er scheint zufrieden zu sein mit dem, was er da sieht, und verlässt breit grinsend den Laden. Mein innerer Gutmensch schubst den überheblichen, zynischen Arsch zur Seite und freut sich, dass sich der Mann so freut.
13. Mai 2022, Berlin
Heute ist Tag des Apfelkuchens. Ich habe aber keinen Apfelkuchen, mit dem ich diesen Tag stilecht begehen könnte. Auch keinen anderen Kuchen, mit dem ich den Tag stillos begehen könnte. Das ist doch alles Mist.
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Bekomme auf Instagram eine Werbung eingespielt: 99 Ruhestand-Tipps für Anleger mit einem Portfolio ab 250.000 Euro. Ich befürchte, der Werbealgorithmus ist da etwas überoptimistisch, was unseren Kontostand angeht. So weit scheint die Künstliche Intelligenz noch nicht zu sein. Vielleicht kennt er aber auch schon die morgigen Lottozahlen und weiß, dass wir einen üppigen Gewinn einfahren werden. Dann möchte ich nichts gegen die Künstliche Intelligenz gesagt haben.
14. Mai 2022, Berlin
Wir haben heute Hochzeitstag. Den müssen wir getrennt feiern, denn meine Frau fährt mit dem Sohn auf ein Judo turnier nach Greifswald. Wahrscheinlich ist das ihr Geschenk an mich, dass ich da nicht hinfahren muss.
Es ist das erste Mal seit ungefähr vier Jahren, dass ich allein zuhause bin. Als die Kinder noch klein waren und meine Frau ab und an mit ihnen Oma und Opa besucht hat, habe ich mich immer über ein paar Tage „sturmfrei“ gefreut. Endlich mal ausschlafen, sich nicht um volle Windeln, Kita-Abholzeiten und Trotzanfälle kümmern müssen. Und in Ruhe aufs Klo gehen können. (Ein Luxus, den nur Eltern richtig zu schätzen wissen.)
Wenn ich dann aber nach der Arbeit nach Hause kam, war die Wohnung ohne die Kinder viel zu groß, zu leer und unnatürlich leise und ich sie vermisst. Ein klassischer Fall von Eltern-Stockholm-Syndrom.
15. Mai 2022, Berlin
Ich nutze mein sonntägliches Strohwitwertum und erledige die Steuererklärung fürs letzte Jahr. Ich erinnere mich noch gut an die Atmosphäre bei uns, wenn mein Vater früher die Steuererklärung machte. Mein Vater war und ist ein alles in allem recht ausgeglichener und ruhiger Mensch. Beim Steuererklärungausfüllen war er aber leicht gereizt und tendenziell übel gelaunt. Mein Bruder und ich wurden dann immer angehalten, uns möglichst leise zu verhalten, während mein Vater am Schreibtisch saß und grummelnd die Steuerbögen ausfüllte.
Heutzutage ist das mit der Steuererklärung gar nicht mehr so schlimm. Ich benutze dazu seit fast 20 Jahren das gleiche Programm, bei dem ich nach bestem Wissen – also wenig – und Gewissem – geringfügig mehr – die Felder ausfülle und dann wird unsere Steuererklärung ausgespuckt. Irgendwann kommt dann der Bescheid vom Finanzamt zurück und so lange dieser nicht mehr als 20 Prozent von dem Betrag abweicht, den das Programm berechnet hat, lasse ich es dabei bewenden.
Tatsächlich habe ich nur ein einziges Mal Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt. Das war im ersten Jahr nach unserer Hochzeit. Wie von dem Programm vorgeschlagen, hatte ich die Einzelveranlagung mit Antrag auf hälftige Anrechnung von Sonderausgaben ausgewählt. Ich verstand zwar nicht genau, was das ist, aber es sollte uns 20 Euro mehr einbringen. Aufgrund einer falschen Kalkulation forderte das Finanzamt jedoch plötzlich eine Nachzahlung im niedrigen vierstelligen Bereich, wobei ich eigentlich mit einer Rückzahlung im mittleren dreistelligen Bereich gerechnet hatte.
Mit meinem ergoogelten Wissen über Besteuerungsmöglichkeiten bei Ehepaaren rief ich beim Finanzamt an und versuchte dort einer Frau zu erklären, dass ihr bei ihren Berechnungen ein Fehler unterlaufen sei. Dabei kam ich mir vor, als müsste ich Stephen Hawking darauf hinweisen, ihm seien bei seinen quantenphysikalischen Ausführungen zur Einsteinschen Relativitätstheorie ein paar kleinere Ungenauigkeiten unterlaufen. Die Finanzbeamtin war an meinen Erläuterungen aber nicht interessiert. Ich solle das einfach in einem Einspruch aufschreiben und dann würde das geprüft.
Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich recht und wir bekamen doch noch unsere Erstattung. Eine dreiviertel Stunde Internetrecherche, ein Telefonat und ein Brief hatten uns quasi 1.500 Euro eingebracht. Ein recht attraktiver Stundenlohn. Trotzdem habe ich nie wieder die Einzelveranlagung mit Antrag auf hälftige Anrechnung von Sonderausgaben gewählt.
Terminhinweis in eigener Sache
Ich habe die große Ehre und darf am 23. Mai bei der phantastischen Lesebühne Fuchs & Söhne lesen. Gemeinsam mit Kirsten Fuchs, Tilman Birr, Sebastian Lehmann und Paul Bokowski und der Gast-Leserin Jacinta Nandi von der Lesebühne Rakete2000. Im Grips-Theater. Um 19.30 Uhr. Falls Sie in Berlin leben, kommen Sie doch vorbei. Das wird bestimmt lustig. Zumindest während Kirsten, Tilman, Sebastian und Paul lesen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)