20. Mai 2022, Berlin
Ich muss abends nochmal los, ein Paket abholen. Das wurde heute im Paketshop um die Ecke abgegeben. Selbstverständlich während ich den ganzen Tag zuhause war. Zuerst kamen per Mail minütlich Nachrichten, wo sich das Päckchen gerade befindet, und ich konnte im Internet per Live-Viewing auf einer Landkarte die Fahrt des Kurier-Fahrzeugs verfolgen. Aber dann war der Kurier anscheinend so in Eile, dass er nicht klingeln konnte – oder er hatte keine Lust –, und er hat das Paket stattdessen zu dem Shop gebracht.
Der Begriff „Paketshop“ ist etwas irreführend und könnte den Eindruck erwecken, es handelt sich um ein modernes Logistikzentrum, wo sich fachkundiges Personal professionell um die Pakete kümmert. Tatsächlich ist der Paketshop ein ranziger Späti in unserer Straße, mit einem zwielichtigen Besitzer, der aussieht, als würde er die bei ihm abgegebenen Kartons und Kisten alle unverzüglich auf eBay verticken. (Es handelt sich dabei aber nicht um den gleichen Späti, in dem ich vor zwei Wochen das Paket für meine Frau abholen musste.)
Tatsächlich kann der Mann mein Paket nicht finden. Auch als ich ihm helfe und wir die Regale gemeinsam intensiv absuchen, bleibt es unauffindbar. Es stellt sich aber raus, dass das nicht daran liegt, dass der Typ es veräußert hat, sondern – wie ich nach einem Blick in meine Benachrichtigungsmail feststelle – es befindet sich in einem ganz anderen Laden. (Weil meine Pakete bisher immer in diesem Späti abgegeben worden sind, hielt ich es nicht für nötig, das vorher zu kontrollieren.)
Also gehe ich die drei Straßen weiter zu dem Späti, wo ich früher ab und an Lieferungen abgeholt hatte. Dort lagert mein Päckchen aber ebenfalls nicht. Erneut ist nicht der Späti-Betreiber schuld, obwohl auch er die Vertrauenswürdigkeit eines vorbestraften Gebrauchtwagenhändlers ausstrahlt, sondern – wie ich wieder durch einen Blick in meine Benachrichtigungsmail feststelle – der Laden, wo mein Paket tatsächlich liegt, hat eine andere Hausnummer. (Meine Lernkurve bezüglich des Findens von richtigen Paketshops hat ungefähr den gleichen Verlauf wie meine Lernkurve zurwetteradäquaten Kleidungswahl.)
Nachdem ich vor der Eingangstür überprüft habe, dass ich diesmal wirklich richtig bin, betrete ich den Späti. Der sieht aber gar nicht wie ein Späti aus. Der Boden ist mit neuen, sauberen Dielen ausgelegt, die Regale sind hell ausgeleuchtet und die Ware wird verkaufsfördernd feilgeboten.
An der Kasse steht eine nette, junge Frau, die mich freundlich begrüßt. Auch das ist für Spätis eher unüblich. Ich erkläre, dass ein Paket für mich abgegeben wurde und zeige meinen Ausweis. „Brauchste nicht“, sagt sie. „Ich kenn’ dich doch.“ Das verwirrt mich ein wenig. Nicht weil sie mich duzt, sondern weil ich noch nie in dem Laden war.
Die Frau geht kurz ins Hinterzimmer und holt mein Paket. Als sie es mir aushändigt, fragt sie: „Wie immer noch eine Schachtel Marlboro Light?“ Ich bin noch verwirrter und antworte: „Nein danke, heute nicht.“ Zum Glück hat sie nicht gefragt „Wie immer noch der St. Pauli-Spezial-Report – Dicke Möpse XXL?“
Beim Rausgehen nehme ich mir vor, in den nächsten Tagen in der Nähe des Ladens abzuhängen. Es würde mich doch interessieren, wer der Stammkunde ist, der so aussieht wie ich. (Hoffentlich kein 80-jähriger kettenrauchender Tattergreis, der jeden Tag seine Schachtel Marlboro Light holt.)
21. Mai 2022, Berlin
Sitze morgens, kurz nach sieben, auf dem Sofa, trinke einen kleinen Kaffee, als ich lese, dass es demnächst einen Sperrmülltag in unserem Kiez gibt. Da kann ich endlich die alte Matratze abgeben, die seit einigen Jahren unseren Keller blockiert. Freudig erregt trage ich den Termin im Kalender ein. Eine Erinnerungsfunktion richte ich auch noch ein, damit ich dieses wichtige Datum auf keinen Fall verpasse. Ich kann auch mit Mitte 40 noch das aufregende Leben eines Rockstars führen!
In meiner Kindheit gab es bei uns immer feste Sperrmülltermine, zu denen du deinen alten Krempel an die Straße stellen konntest, und den hat dann die Müllabfuhr am nächsten Tag abgeholt. Oder andere Menschen nahmen die Sachen mit, die sie gebrauchen konnten. Einmal kam mein Bruder mit einem alten Brotkasten nach Hause, den er auf dem Heimweg von der Schule auf einem Sperrmüllhaufen entdeckt hatte. Der sähe total schön aus und sei auch überhaupt nicht kaputt. Fand zumindest er. Meine Eltern teilten seine Begeisterung über diesen spektakulären Fund allerdings nicht und der Brotkasten kam nie bei uns zum Einsatz.
22. Mai 2022, Berlin
Im Internet stoße ich auf eine Seite mit Vorschlägen für höfliche Formulierungen im Büroalltag. Meine drei Favoriten:
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That meeting sounds like a waste of my time.
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Are we confident that this is the best solution or are we still exploring alternatives?
Die Seite habe ich durch den phantastischen Recomendo-Newsletter entdeckt. Falls Sie nur einen einzigen Newsletter abonnieren möchten, sollte es definitiv der Recomendo-Newsletter sein. Auf den bin ich wiederum durch den High-Five-Newsletter von Matze Hielscher aufmerksam geworden. Den können Sie bestellen, wenn sie noch einen zweiten Newsletter lesen möchten.
Terminhinweis in eigener Sache
Ich habe die große Ehre und darf am 23. Mai bei der phantastischen Lesebühne Fuchs & Söhne lesen. Gemeinsam mit Kirsten Fuchs, Tilman Birr, Sebastian Lehmann und Paul Bokowski und der Gast-Leserin Jacinta Nandi von der Lesebühne Rakete2000. Im Grips-Theater. Um 19.30 Uhr. Falls Sie in Berlin leben, kommen Sie doch vorbei. Das wird bestimmt lustig. Zumindest während Kirsten, Tilman, Sebastian und Paul lesen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Bei uns füllt man einfach so ein Sperrmüllkärtchen der Abfallgesellschaft aus. Dann erhält man einen Termin an dem man das Zeugs einfach vors Haus stellt und es wird dann abgeholt. Das kann man einmal im Jahr kostenlos machen.
Unsere Postfiliale läuft ganz hervorragend seit dem dort zwei junge offensichtlich muslimische Frauen des Job von den beiden furchtbar langsamen Beamten übernommen haben, eine enorm positive Veränderung.