Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
15. Mai 2023, Berlin
Der Sohn muss heute Chemie schreiben. Das Gute daran: Es ist die letzte Chemie-Arbeit seines Lebens. Das Schlechte daran: Er muss heute Chemie schreiben.
16. Mai 2023, Berlin
Für die Tochter ist Abschied angesagt. Die amerikanischen Austauschstudent*innen, mit denen sie sich in den letzten Monaten angefreundet und sehr viel Zeit verbracht hat, reisen zurück in die USA. Damit der Trennungsschmerz nicht ganz so groß ist, haben die Amerikaner*innen ihr diverse Sachen überlassen, die sie aufgrund der Gepäck-Maximalgewichtsvorgaben der Fluglinie nicht mitnehmen können:
- mehrere Pullover und T-Shirts; eins davon ein St.-Patricks-Day-Souvenir in grasgrün mit der Aufschrift „The Leprechaun made me do it“ („Der Leprechaun hat mich dazu angestiftet“)
- verschiedene angebrochene Flaschen hochprozentigen Alkohols (Whiskey, Rum, Wodka, Jägermeister) sowie ein größerer Vorrat an Heineken-Dosen
- ein monströs großes Glas Erdnussbutter, Nudelpakete, die bis zum Ende des Jahres, wenn nicht gar ihres Studiums reichen, ein Netz Zwiebeln sowie mehrere Knoblauchzehen, die wahrscheinlich bis zum Ende ihres Lebens reichen, denn die Tochter hat noch nie mit Knoblauch gekocht und es in absehbarer Zeit auch nicht vor
- zwei Tierfiguren aus Holz, bei denen ich mich frage, warum sie ursprünglich überhaupt gekauft worden sind
- zwei Malbücher und ein Set Filzstifte, die entweder zum Einsatz kommen werden, um sich geistig von den intellektuellen Anstrengungen des Studiums zu erholen, oder beim nächsten Umzug in den Müll wandern
- ein Fön, was durchaus praktisch ist, denn die Tochter besaß noch keinen, und ein Lockenstab, was wiederum eher unnötig ist, da sie bereits Locken hat und auch ohne maschinelle Nachhilfe wie die Nachher-Frau in der Gliss-Werbung aussieht
Nachdem die Tochter uns alles per Video-Call präsentiert hat, frage ich mich, ob der Gegenwert ihrer Errungenschaften, die Ausgaben, die sie im letzten halben Jahr im Zuge ihres deutsch-amerikanischen Freundschaftsprojekts für Reisen, Feiern, Pub- und Clubbesuche, Alkoholika sowie Freizeitaktivitäten hatte, aufwiegt. Wahrscheinlich nicht.
Aber darum geht es nicht. Sondern um die gemeinsame Zeit, um gemeinschaftliche Erlebnisse und Erfahrungen, um zusammen gelacht und geweint zu haben, um neu entstandene Freundschaften und Beziehungen. Und wenn du anschließend ein Jahr lang keine Nudeln kaufen musst, ist das auch gut.
17. Mai 2023, Berlin
Die Tochter ist krank. Fieber, Kopf- und Halsweh, dicke Mandeln. Entweder das irische Klima oder der First-Year-Student-Lebenswandel fordern ihren Tribut. Da das Wetter in Carlow zurzeit nicht wesentlich kühler und feuchter als in Berlin ist, tippe ich, das letzteres ihr Immunsystem in die Knie gezwungen hat.
Ungünstigerweise steht morgen noch die letzte Klausur an. Fehlt die Tochter krankheitsbedingt, muss sie im August nachschreiben. Fällt sie durch, muss sie ebenfalls im August nochmal ran. Um ihren Wissensstand auf ein Niveau zu bringen, der dies verhindert, muss sie heute noch büffeln. (Ein effizienzgetrimmtes Auf-den-letzten-Drücker-Zeitmanagement in Kombination mit dem erwähnten First-Year-Student-Lebenswandel hat ein frühzeitigeres Lernen unmöglich gemacht.)
Als verantwortungsvolle Eltern ersparen wir der Tochter und uns etwaige Vorwürfe, die an ihrer misslichen Lage ohnehin nichts ändern würden. Stattdessen weisen wir sie an, möglichst viel Wasser, Tee und Suppe zu sich zu nehmen sowie sich – ausnahmsweise – mit Ibuprofen in einen Zustand zu pimpen, der ihr heute das Lernen und morgen das Klausurschreiben erlaubt. Das ist pädagogisch und medizinisch natürlich eher grenzwertig. Daher tragen wir der Tochter noch auf, nach der Klausur zum Arzt zu gehen und sich den Rest der Woche auszuruhen. Schließlich sollen auch noch andere Mütter und Väter die Chance auf den Rabeneltern-Award für den Monat Mai haben.
18. Mai 2023, Berlin
Vatertag. Der wird bei uns noch weniger begangen als der Muttertag. Ich backe zum Frühstück Pancakes. Die schönsten Geschenke machst du dir am besten selbst.
Ganz unnütz ist der Vatertag jedoch nicht. Im Vorfeld steigen die Verkaufszahlen meiner Väter-„Ratgeber“ immer etwas an. Bedenklich stimmt mich jedoch, dass „Hilfe, ich werde Papa“ in der Kategorie „Schwangerschaft & Mutterschaft“ auf Platz 1 liegt, bei den Humor-Büchern aber nur vierter ist. Ich möchte mich somit bei allen Käufer*innen entschuldigen, die das Buch gekauft und erfolglos auf wertvolle Schwangerschafts-Tipps durchforstet haben. Hoffentlich ist Ihnen dabei wenigstens das Lachen nicht vergangen.
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Meine Frau und ich nutzen den freien Tag für eine weitere Übungswanderung in Vorbereitung auf unsere Dingle-Way-Tour im Juni. Die längste Strecke bei unserem Irland-Trip wird 25 Kilometer betragen. Heute sollen 20 Kilometer ausreichen.
Als Wandergebiet haben wir den Grunewald ausgesucht. Der ist weitläufig genug, um die angestrebten Kilometer zusammenzubekommen, es geht immer wieder auf und ab, so dass es uns auf irische Anstiege vorbereiten sollte, und er bietet so viel Natur, wie du sie in der Großstadt nie hast. Im Grunewald bist du mitten in Berlin, hörst aber keinen Auto- und Stadtlärm, sondern nur Vogelgezwitscher, klopfende Spechte und den Wind, der durch die Baumwipfel streicht.
Die Naturidylle hat allerdings den Nachteil, dass wir, nachdem wir zehn Minuten durch den Wald gelaufen sind, keine Ahnung mehr haben, wo wir sind. Überall nur Bäume, Sträucher, Büsche, Farne und vereinzelte Blumen. Wir wandern einfach weiter und hoffen, irgendwann an eine Stelle zu kommen, die wir wiederkennen. Das ist allerdings nicht besonders wahrscheinlich. Stichwort „überall nur Bäume, Sträucher, Büsche, Farne und vereinzelte Blumen“. Die sehen alle gleich aus. Zumindest für naturentfremdete Großstädter.
Zwischendurch bleibt meine Frau stehen, deutet auf den Wegesrand und sagt: „Das müsste Waldmeister sein, oder?“ Eine Frage, für die ich der falsche Ansprechpartner bin. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie Waldmeister aussieht. Ich kenne Waldmeister eigentlich nur in Form von Wackelpudding und meinen letzten Wackelpudding habe ich mit zehn gegessen. (Wie viele Jahre das her ist, möchte ich unerwähnt lassen, um den heiteren Ton der Wochenschau nicht zu ruinieren.)
Mittlerweile sind wir circa drei Stunden unterwegs und wissen immer noch nicht, wo wir uns gerade befinden. An Abzweigungen entscheiden wir uns einfach für den Weg, der uns besser gefällt. Das führt uns irgendwann an ein abgezäuntes Areal, den Sprengplatz der Berliner Polizei. Hier werden Weltkriegsbomben, beschlagnahmtes Feuerwerk sowie anderes explosives Material gelagert und gelegentlich kontrolliert vernichtet. Ich hoffe, der Zaun wurde an der richtigen Stelle gesetzt, und wir latschen nicht versehentlich auf einen Blindgänger, der uns in Grunewälder Gulasch verwandelt.
Dafür weiß ich nun, wie weit es noch zum S-Bahnhof Grunewald ist, wo unsere Räder stehen. Circa sieben bis acht Kilometer. Definitiv zu weit, um sie mit zerfetzten Beinen zurückzulegen. Die Berliner Polizei hat aber ordentlich gelagert und ordentlich abgezäunt und uns passiert nichts. Sonst könnte ich ja auch nicht diese Zeilen schreiben.
Auf jeden Fall fühlen wir uns jetzt für den Dingle Way gut gewappnet. Da gibt es auch nicht so viele verwirrend ähnliche Bäume, die uns die Orientierung schwer machen, sondern eher verwirrend ähnliche grüne Hügel.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)