25. Mai 2022, Berlin
Im Radio läuft eine Sendung zum Thema „Geräusche, die wir lieben, Geräusche, die wir hassen.“ Ein Hörer ruft an und erzählt in jammernden Tonfall und in epischer Breite, welche Geräusche er super nervig findet. Den Wecker am Morgen, Styroporquietschen, Kreidequieken, Schmatzen, seinen Name, wenn der Chef ihn ruft und noch tausend andere Sachen. Nach fünf Minuten finde ich seine Stimme super, super nervig.
26. Mai 2022, Berlin/Westerburg
Heute ist Vatertag. Der wird bei uns noch weniger begangen als Muttertag. Wobei ich in diesem Zusammenhang Abbitte beim Sohn leisten muss. Vor drei Wochen hatte ich geschrieben, dass der Muttertag bei uns quasi ignoriert wird und die Kinder da auch keine Geschenke besorgen würden. Tatsächlich hat der Sohn aber für seine Mutter einen Strauß Blumen gekauft. Ohne dass ich ihn daran erinnert habe und sogar von seinem eigenen Taschengeld. Sie werden also tatsächlich so schnell groß und geben einem wirklich so viel zurück.
Das gilt aber anscheinend nicht für Vatertag. Ich habe keinen Blumenstrauß bekommen. Und auch sonst nichts. Ob der Sohn seine Mutter wohl lieber hat als mich? Und kann er sich nicht mehr daran erinnern, wie wir früher immer Kuckuck gespielt haben? Und zählt es nichts, dass ich ihn regelmäßig bei den Wocheneinkäufen mit Red Bull und Kaugummis versorge? Ich urteile nicht, ich stelle nur Fragen.
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Wir nutzen das verlängerte Himmelfahrtswochenende, um zu meinen Eltern in den Westerwald zu fahren. Das hatten wir eigentlich schon über Ostern vorgehabt, was dann aber auch wegen Corona ausfallen musste.
Impressionen von der Zugreise:
- Eine Mutter schaut sich mit ihrem circa zweieinhalbjährigen Kind ein Bilderbuch an. Das Kind ist unzufrieden, dass das Polizeiauto nicht tatütata macht.
- Eine Familie isst, kaum dass wir den Hauptbahnhof verlassen haben, ihre belgischen Waffeln auf. (Die Familie sind wir.)
- Eine Frau mit Hund setzt sich auf den freien Platz an unseren Tisch. Der Hund klettert in eine große Reisetasche und schläft sofort ein.
- Ein ungefähr achtjähriger Junge wird von seinem Tablet hypnotisiert.
- Das Kleinkind freut sich, dass es einen Papagei in seinem Bilderbuch entdeckt hat.
- Die Tablet-Hypnose wirkt. Der Junge möchte keine Zimtschnecke essen, sondern ein Vollkornbrötchen mit Kürbiskernen.
- Das Kleinkind freut sich immer noch über den Papagei.
- Am Nachbartisch schreibt eine Mutter den Deutschaufsatz ihrer Tochter. Die Tochter schaut sich währenddessen YouTube-Videos auf ihrem Handy an.
- Eine Frau lässt stoisch ihren Rucksack auf dem Sitz neben sich stehen, obwohl andere Reisende nach freien Plätzen suchen.
- Die Kleinkind-Mutter schaut sich das Bilderbuch inzwischen alleine an. Das Kleinkind leckt derweil an der Scheibe.
- In der Reihe hinter mir trägt ein circa sechsjähriges Mädchen rosafarbene Kopfhörer mit blinkenden Katzenöhrchen. Bestimmt hat sie die von ihren Großeltern bekommen. Eltern kaufen prinzipiell keine blinkenden Sachen.
- In Braunschweig steigt eine sechsköpfige Familie aus. Ob die dort wohl einen Kurzurlaub machen?
- Das Katzenohren-Kopfhörer-Mädchen singt sehr laut ein Lied mit, dass sie über ihre Katzenohren-Kopfhörer hört. Ihre entweder sehr alte Schwester oder ihre sehr junge Mutter ermahnt sie, leise zu sein.
- Die Frau mit dem Hund steigt in Kassel aus. Der Hund schaut aus, als würde er lieber weiterschlafen.
27. Mai 2022, Westerburg
Ich muss trotz Brückentag ein bisschen arbeiten. Das ist einerseits nervig, aber andererseits darf ich für ein Projekt Schokolade im Wert von 500 Euro bestellen. Das gibt einem irgendwie ein befriedigendes Gefühl. Und ich muss die Schokolade nicht von meinem eigenen Geld bezahlen. Das gibt einem ein noch befriedigenderes Gefühl. Allerdings darf ich die Schokolade auch nicht essen. Das erspart einem aber wenigstens später auf der Waage ein sehr unbefriedigendes Gefühl.
28. Mai 2022, Westerburg
Werde morgens von einem Geräusch geweckt, dass sich wie eine Mischung aus Fön, Staubsauger und Schleifmaschine anhört. Die Nachbarn meiner Eltern renovieren ihre Garage.
Warum zur Hölle renoviert jemand seine Garage und warum samstagmorgens um kurz nach sieben? Okay, Letzteres wahrscheinlich, weil sie erwerbstätig sind und unter der Woche keine Zeit haben. Aber wieso müssen sie die Garage überhaupt auf Vordermann bringen? Da fährt man doch nur mit dem Auto rein, steigt aus und geht ins Haus. Ich schätze die Garagen-Aufenthaltsdauer beträgt pro Tag zwischen 30 und maximal 120 Sekunden. Da ist es doch nicht nötig, dass die Garage wie ein Showroom für Schöner Wohnen aussieht.
Die Nachbarn sind aber anderer Meinung und fön-staubsaugen-schleifen fröhlich weiter.
29. Mai 2022, Westerburg/Berlin
Ich schmiere morgens Brote für die Heimreise. Für den Sohn drei Klappstullen mit so viel Schinken, dass mehrere Schweineherden dafür ihr Leben lassen mussten, für meine Frau zwei Klappstullen mit Salami und Butterkäse und für mich ebenfalls zwei Klappstullen aber mit Ziegen-Gouda.
Vielleicht interessiert es Sie, dass sich meine Frau diesen Ziegen-Gouda gestern im Supermarkt ausgesucht hatte, wofür ich dann den von mir bevorzugten Edamer wieder ins Regal zurückgelegt habe. Aber das nur am Rande. Nach 25 Jahren Beziehung ist es nicht nötig, auf solchen Kleinigkeiten rumzureiten. Ziegen-Gouda ist ja auch lecker. Für mein Empfinden vielleicht nicht ganz so lecker wie Edamer, aber Geschmäcker sind ja verschieden und das ist ja kein Grund, sich unnötig lange aufzuregen. Wenn meine Frau mit ihrer Salami-Käsestulle glücklich ist, bin ich es selbstverständlich auch. Da braucht es wirklich keinen Edamer, um das Glück perfekt zu machen. Das wäre ja Käse.
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Impressionen von der Heimreise:
- Ich muss der Schaffnerin erklären, dass wir die Bahncard25 des Sohns vergessen haben, und schaue so treuherzigdackelig wie möglich, damit wir nichts nachzahlen müssen. Die Frau denkt bei meinem Gesichtsausdruck wahrscheinlich, dass ich gerade einen Schlaganfall habe, stempelt das Ticket schnell ab und geht weiter.
- Eine Gruppe älterer Damen am Vierer-Tisch vor mir unterhält sich darüber, dass sie nicht im Ruheabteil sitzen, dass es im Zug aber ein Ruheabteil gibt und dass sie schon mal in einem Ruheabteil gesessen haben.
- Ein Vater neben mir ist für seine circa 10-jährige Tochter nicht ansprechbar, weil er gerade Salat isst und alte Ladykracher-Folgen schaut. Dafür ist er aber anscheinend empfänglich, denn er lacht mehrmals und sehr herzhaft.
- In Erfurt steigt ein Vater mit seiner zweijährigen Tochter ein. Er holt Vollkorn-Stullen und allerlei Obst aus seinem Rucksack. Ich bin froh, dass der Sohn so alt ist, dass wir Kuchen, Kekse und Joghurt-Gums essen können.
- Der Ladykracher-Vater ermahnt seine Tochter, sie soll beim Videoschauen nicht so laut lachen. Ich bin kurz davor, ihn zu ermahnen, er soll nicht so ein Vollpfosten sein. Aber vielleicht ist er ja sonst ganz nett. Nur heute halt nicht ganz so.
- Die Zweijährige isst eine Stulle, eine Banane, noch eine Stulle, einen Apfel, einen Pfirsich und noch eine halbe Banane. Danach verpuppt sie sich und verwandelt sich kurz vor Berlin in einen Schmetterling.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
und in bezug auf begrüßung/verabschiedung, mit der faust:
http://de.webfail.at/image/danke-dass-ich-bei-dir-pennen-durfte-iphone-fail.html
ich würde es vielleicht nicht so schreiben 😀