Eine kleine Wochenschau | KW23-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


06. Juni 2022, Berlin

Meine Eltern sind auf einer Busreise in Italien. Gemeinsam mit meiner Tante väterlicherseits und deren Nachbarin. Mein Vater schickt mir ein Gruppenfoto. Mit ihren Sonnenbrillen und so breit wie alle lachen, sieht es aus, als hätte eine Senioren-Gang gerade einen sehr großen Coup gelandet. (Demnächst im Kino zu sehen als Ocean’s 79)

Ich weiß tatsächlich nicht, was meine Eltern genau in Italien machen. Es ist mir aber auch egal. Hauptsache, ich erbe später die Hälfte davon.

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Auf meinem Mittagsspaziergang kommt mir ein Mann mit Nordic-Walking-Stöcken entgegen genordicwalkt. Er ist ungefähr mein Alter, um den Hals trägt er einen ledernen Brustbeutel. Schon in der Grundschule war ein Brustbeutel kein Accessoire, das deine Coolness gesteigert hätte. Mit Mitte 40 aber noch weniger.

07. Juni 2022, Berlin

Heute ist Tag des Schokoladeneis. Ich persönlich mag Schokoladeneis gar nicht so gerne, weil es mir meistens zu schokoladig ist. Ein Satz, auf den die meisten Menschen mit so viel Unverständnis reagieren wie auf die Aussage „Ich finde Hundewelpen eklig.“

Aber bevor Sie mich für einen totalen Psychopathen halten: Ich esse gerne Spaghetti-Eis.

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Als ich nach meiner morgendlichen Laufrunde fast zuhause bin, platscht etwas neben mir auf den Bürgersteig. Ein Vogel hätte fast seinen Morgenschiss auf mir verrichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich gerade Glück oder Pech hatte. Glück, weil er mich nicht getroffen hat, oder doch Pech, weil es ja gerade Glück bringen soll, wenn ein Vogel auf dich kackt. (Eine Weisheit, die sich wahrscheinlich die Waschpulver-Industrie ausgedacht hat.) Falls wir am Sonntag nicht im Lotto gewinnen, weiß ich wenigstens warum.

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Auf dem Weg zum Supermarkt laufe ich an einem kleinen Mädchen vorbei. Es drückt sich einen Luftballon ins Gesicht, bis dieser plötzlich platzt. Seine Mutter ist gestresst und fragt: „Warum, Laura?“ Das Mädchen schaut zu Boden und sagt leise: „Ich wollte ihn doch nur umarmen.“

Naja, bis sie ihren ersten Freund oder ihre erste Freundin hat, kann sie das mit den Umarmungen ja noch ein bisschen üben.

08. Juni 2022, Berlin

Mein jährlicher Besuch beim Urologen steht an. Hoden und Prostata abchecken lassen.

Am Eingang des Ärztehauses funktioniert die Klingel nicht. Ich stehe dumm vor der Tür rum. Neben mir wartet ein dicklicher älterer Mann, der stark schnauft. Er drückt auch die Klingel, hat aber genauso wenig Erfolg.

In unerwarteter Konversationslaune schlage ich vor, dass ich in der Praxis anrufe. Der Alte winkt ab. Da ginge nie jemand ran. Aber schöne Musik würde da gespielt.

Plötzlich summt die Tür und lässt sich doch öffnen. Jetzt warten wir gemeinsam am Fahrstuhl. Da ich eben das Gespräch eröffnet habe, denkt der Mann, dass ich es fortführen möchte. Er erzählt noch einmal, dass in der Praxis nie jemand ans Telefon ginge, dass da aber schöne Musik gespielt würde, wenn man dort anrufe. Vielleicht hat er vergessen, dass er mir das bereits erzählt hat. Oder er denkt, ich habe das schon wieder vergessen.

Der Aufzug kommt. Wir müssen in den sechsten Stock. Während der Fahrt offenbart der Mann, er bekäme nur eine Spritze, dafür müsse er gar nicht zum Herrn Doktor, das mache immer die junge Frau vom Tresen. Hoffentlich erzählt er mir nicht noch, wohin er die Spritze bekommt. Oder von nässenden Abszessen am Penis, gequetschten Hoden oder sonst irgendetwas, das mich in meinen Träumen verfolgen würde.

Am Empfang steckt die Sprechstundenhilfe meine Krankenkassenkarte in ihr Krankenkassenkarten-Lesegerät. Mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen schaut sie auf ihren Monitor „Ist ihr Besuch heute Teil Ihrer Nachsorge oder ist die schon abgeschlossen?“, fragt sie mich unvermittelt.

Ich bin verwirrt. Was für eine Nachsorge? „Äh, ich bin doch zur Vorsorge hier“, stammle ich.

„Aber was ist denn mit ihrer Diagnose?“, fragt sie. Nun bin ich noch verwirrter. Ich kann mich an keine Diagnose erinnern.

„Ich habe doch nur eine Zyste am Hoden“, antworte ich langsam. (Jetzt wissen Sie etwas, dass Sie in Ihren Träumen verfolgen wird.) „Aber vielleicht habe ich letztes Jahr auch etwas falsch verstanden?“

Die Frau schüttelt den Kopf. „Das wüssten Sie inzwischen, wenn Sie etwas falsch verstanden hätten.“ Richtig beruhigend finde ich ihre Antwort nicht. „Ich lösch‘ das mit der Diagnose mal in ihrer Akte“, sagt die Frau. „Das irritiert einen ja nur.“ Da hat sie Recht. Vor allem mich.

Im Wartezimmer sitzen schon ein paar Patient*innen. Unter anderem ein alter Mann mit sehr langen weißen Haaren und sehr langem weißen Bart. Wer hätte gedacht, dass Gandalf, der Weiße, auch zur Prostata- und Hodenkrebsvorsorge muss? Und dann auch noch in Moabit. Allerdings ist Gandalf unzufrieden. Er beschwert sich bei den Sprechstundenhilfen, andauernd kämen Leute vor ihm dran, obwohl sie nach ihm gekommen seien. Leider erfahre ich nicht, was sie ihm antworten, weil ich selbst aufgerufen werde.

Die Untersuchung ist unspektakuläre Routine. Der Arzt begrüßt mich routiniert, befühlt routiniert meine Hoden und steckt mir routiniert – fast schon geschäftsmäßig – den Finger in den Po und befühlt meine Prostata. Nach circa 60 Sekunden ist alles vorbei, es gibt keine Auffälligkeiten und wir verabschieden uns bis zum nächsten Jahr. Falls mich die Sprechstundenhilfe dann wieder fragt, was mit meiner Diagnose ist, kann ich hier nachlesen, ob es eine gab.

Wen auch immer es betrifft: Gehen Sie regelmäßig zur Hoden- und Prostatakrebsvorsorge. Die Untersuchung ist gar nicht so schlimm und kann Leben retten. Ihr eigenes.

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Die restliche Wochenschau gibt es ab morgen in den „Stockholm-Diaries“.


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