Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
10. Juni 2024, Berlin
Noch zwei Tage bis zum mündlichen Abi. Der Sohn erzählt, er habe heute zwei Stunden am Stück gelernt. Mehr als in der ganzen letzten Woche zusammen. Ich denke, das wird am Mittwoch eine sehr interessante Prüfung.
Der Sohn macht fast auf den Tag genau drei Jahrzehnte nach mir Abitur. Das klingt sehr unschön. Drei Jahrzehnte. Aber es ist nicht zu leugnen. Vor allem, weil wir am Wochenende 30-jähriges-Abi-Treffen im Westerwald hatten. Ich konnte nicht hinfahren, aber in der WhatsApp-Gruppe wurden fleißig Bilder geteilt. Auf den Fotos waren allerdings nicht meine alten Klassenkamerad*innen, sondern irgendwelche alten Menschen. Merkwürdig.
11. Juni 2024, Berlin
Die Tochter und C. haben am Nachmittag eine Wohnungsbesichtigung in Kiel. Um rechtzeitig dort zu sein, müssen sie um 8 Uhr losfahren. Und drei- oder viermal umsteigen. Das Deutschlandticket hat seinen Preis.
Die Ukraine-Wiederaufbau-Konferenz mit ihren vielen Staats- und Regierungschefs macht ihnen einen Strich durch die Reisepläne. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrung hat schon der Zug am Bahnhof Zoo 50 Minuten Verspätung. In Bad Kleinen, ihrem ersten Umstieg, haben sie nur eine dreiviertel Stunde zum Umsteigen. Was eigentlich gar nicht so wenig ist, aber trotzdem nicht genug. Also brechen sie ihre Kielreise ab, bevor sie richtig losgeht.
C. ist nun seit drei Wochen in Deutschland. In dieser Zeit hat er mitbekommen, dass du in Berlin normalerweise monatelang auf Behördentermine warten musst, Bahnreisen ein Desaster ist und sich eine rechtsextreme Partei großer Beliebtheit erfreut. Ob er wohl bereut, Irland verlassen zu haben?
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Beim Laufen kommt mir eine Schulfreundin der Tochter entgegen. Vielleicht aber auch nicht, denn sie ignoriert mein Winken. Möglicherweise habe ich gerade eine junge Frau nachhaltig verstört und die fragt sich nun, wer zur Hölle der weißbärtige Zottel war, der so wild mit den Armen rumgefuchtelt und „Hi“ geröchelt hat.
12. Juni 2024, Berlin
8 Uhr. Der Sohn hat mündliche Prüfung. Noch 40 Minuten Fragen zur attischen Demokratie und zu Opposition und Repression in der DDR, dann hat er das Abi hinter sich. Und seine Schulzeit.
Gegen 10 ruft er an und sagt: „Ich bin frei.“ Was bei mir die Frage aufwirft, ob der Geschichtslehrer ihm eine Socke überreicht hat.
13. Juni 2024, Berlin
Letzte Woche hat sich C. in Berlin angemeldet, um seinen Job im Irish Pub antreten zu können. Dort teilte man ihm dann mit, er bräuchte noch einen Nachweis über die Erstbelehrung zur Lebensmittelpersonalhygiene, wie es im schönsten Beamtendeutsch heißt.
Dazu bekommt er beim Gesundheitsamt ein 30-minütiges Video vorgeführt, bei dem er keinen Schimmer hat, was ihm da erzählt wird, weil alles auf Deutsch erklärt wird. Anschließend muss er unterschreiben, dass er alles verstanden hat. Die Tochter, die ihn begleitet hat, fasst das Video für ihn kurz und knapp zusammen: Geh nicht zur Arbeit, wenn du eine ansteckende Krankheit hast, huste nicht ins Essen und wasch dir regelmäßig die Pfoten.
14. Juni 2024, Berlin
Kaum hat die post-Abi-Freiheit für den Sohn begonnen, wird sie schon wieder eingeschränkt. Er muss für eine Hand-OP ins Krankenhaus. Sein Diskus ist geschädigt. Also, nicht das Wurfgerät, sondern die Verbindung von Elle und Speiche. Das ist quasi wie der Meniskus im Knie. Eine Information, die Ihnen nur bedingt weiterhilft, wenn Sie, so wie ich, nicht wissen, für was der Meniskus gut ist.
Die gute Nachricht für den Sohn: Die Operation findet als erste statt. Gleich um 8 Uhr. Die schlechte Nachricht: Er muss um 6.15 Uhr auf Station erscheinen. Die noch schlechtere Nachricht: Er muss um 4.30 Uhr aufstehen. (Und wir auch.) Die schlechteste Nachricht bekommt er dann vor Ort: Seine Operation wurde nach hinten verschoben. Auf circa 11.30 Uhr. Somit hat ihm die Krankenhaus-Administration drei Stunden Schlaf geraubt. Für einen Teenager gilt das als schwere Menschenrechtsverletzung.
Das war es dann aber mit den Hiobsbotschaften. Der Eingriff verläuft ohne Komplikationen und die Chirurgin erklärt ihm anschließend, sie sei sehr zufrieden. Glaubt der Sohn zumindest. So genau erinnert er sich nicht, denn als sie mit ihm sprach, befand er sich noch in den Ausläufern des Propofol-Nebels.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)