Da morgen unser Urlaub beginnt, gibt es nicht zum Sonntagabend, sondern schon heute meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Aber wie immer banal, trivial und egal.
21. Juni 2021, Berlin
Heute ist ein besonderer Tag. Für die Tochter, weil sie ihr Abitur-Zeugnis verliehen bekommt. Für mich, weil ich meinen ersten Corona-Test mache, denn der Zutritt zur Aula ist den Geimpften, Genesenen und Getesteten vorbehalten.
Falls Sie sich jetzt fragen, was ist der Typ für ein asoziales Schwein, dass er sich in 18 Monaten Corona-Pandemie kein einziges Mal hat testen lassen, kann ich Sie beruhigen. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes ein asoziales Schwein und habe mich 18 Monate lang mit fast niemandem getroffen und habe auch keine Veranstaltung mit vielen Menschen besucht, so dass bei mir nie ein Test erforderlich war. (Dafür muss mir niemand anerkennend auf die Schulter klopfen, das ist mehr oder weniger mein normales pandemie-unabhängiges Sozialverhalten.)
Die Testprozedur ist weniger unangenehm, als ich befürchtet hatte. Ein junger, freundlicher Mann fummelt mir mit dem Teststäbchen im Mund rum und eine Viertelstunde später bekomme ich das Ergebnis aufs Handy geschickt. Negativ. Alles andere wäre auch ein ziemlicher Downer gewesen.
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Die Zeugnisverleihung unter Corona-Bedingungen ist ein wenig grotesk. Auf dem Schulhof gibt es eine amtliche Video-Leinwand, damit alle die, die nicht mit rein dürfen, wenigsten draußen zuschauen können. Ein Abi-Public-Viewing gewissermaßen. An der Aula-Tür wird härter kontrolliert als samstagabends am Eingang vom Berghain und in der Aula selbst gibt es 3er-Stuhl-Grüppchen mit sehr viel Abstand zueinander. Besonders bizarr sind die Begrüßungsrituale in der gutbürgerlichen Elternschaft. Die besteht, wie es sich für ein altsprachliches Gymnasium gehört, zu großen Teilen aus Anwält:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen und Manager:innen, die sich alle mit Fist Bumps begrüßen, als wären sie auf einer Gangsta-Rapper-Convention.
Während der Zeugniszeremonie geht mir durch den Kopf, unter welch irrwitzigen Umständen die Schüler:innen ihr Abitur machen mussten. Ich würde nicht so weit gehen, von einer verlorenen Generation zu sprechen, und Abi im Home-Schooling-Modus zu machen, ist auch nicht vergleichbar mit einem Abi unter Kriegsbedingungen, wo du im Luftschutzbunker büffeln musst. Aber wenn ich die Abi-Zeit der Tochter mit meiner eigenen vergleiche, dann war ihre ziemlich mies.
Die Tochter selbst hat es mal ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Sie mussten den ganzen Scheiß mitmachen, aber alles, was Spaß macht, war verboten. Auf der einen Seite mussten sie sich Stoff reinprügeln, Prüfungsangst ertragen, Klausuren schreiben, mündliche Prüfungen überstehen, keinen Plan haben, was sie nach dem Abi machen sollen und so weiter. Auf der anderen Seite hatten sie kein Ventil, um den ganzen Stress und Frust mal abzulassen. Sie durften am Wochenende nicht weggehen, sich nicht mit ihren Freund:innen treffen, die Kursfahrten wurden abgesagt, die Motto-Woche war nicht erlaubt, es gab keinen Abi-Streich und der Abi-Ball findet auch nicht statt.
Da passt das Motto, das sich der Jahrgang der Tochter ausgesucht hat, ziemlich gut:
Abi allein zu Haus!
22. Juni 2021, Berlin
Auf Amazon gibt es eine Ein-Sterne-Rezension zu „Hilfe, ich werde Papa!“
Klingt fast wie die Bewertung meines Deutschlehrers unter meiner Text-Analyse von „Götz von Berlichingen“ in der 9. Klasse.
23. Juni 2021, Berlin
Der Sohn hat heute Zeugnistag. Sein Schnitt bewegt sich im gehobenen Mittelmaß. Bemerkenswert ist vor allem, wie er im Laufe seiner Schullaufbahn seine Aufwand-Ertrag-Ratio immer weiter perfektioniert.
Aber das ist okay. Solange der Sohn sozial einigermaßen kompetent und nicht versetzungsgefährdet ist und wir keine exklusive Einladungen zum Elternsprechtag bekommen, sind uns seine schulischen Leistungen nicht so wichtig. Wir belassen es dann nachmittags bei einem pflichtschuldigen „Wie war‘s in der Schule?“, was er mit einem ebenso pflichtschuldigen „Gut.“ beantwortet.
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Die Leistung der deutschen Nationalmannschaft im Spiel gegen Ungarn ist eher ernüchternd. Für das Achtelfinale gegen England lässt das nichts Gutes erwarten. Allerdings ist ein Ausscheiden keine Option, denn ich habe ein paar Bekannte und ehemalige Kollegen in England, die mich dann mit hämischen Mails überschütten würden.
Okay, sollte dieser Fall tatsächlich eintreten, werde ich die Nachrichten einfach an jeden deutschen Nationalspieler und Jogi Löw persönlich weiterleiten. Diese Drohung sollte ihnen Motivation genug sein, sich gegen England richtig reinzuhängen und zu gewinnen.
(Von mir aus auch durch ein Abseitstor in der neunten Minute der Nachspielzeit, bei dem Kai Havertz den Ball mit der Hand ins Tor wirft, während Thomas Müller den englischen Torwart umschubst und Toni Kroos dem Schiedsrichter eine goldene Uhr überreicht. Da bin ich nicht wählerisch.)
24. Juni 2021, Berlin
Auf meiner morgendlichen Laufrunde rennt ein Hund mit gefletschten Zähnen auf mich zu, springt um meine Beine und bellt mich an. Da es sich um irgendeine Pinscher-Art handelt und mir der Kläffer maximal an meine Waden reicht, hält sich meine Nervosität in Grenzen.
Hunde, die mir beim Laufen begegnen, sortiere ich in folgende Kategorien:
- Der Hund passt in eine mittelgroße Handtasche: Ich ignoriere ihn.
- Der Kopf des Hundes ist bei mir auf Schritthöhe: Okay, ein bisschen Respekt ist angebracht.
- Der Hund kann mir, ohne sich aufzurichten, in die Augen schauen: Fuck, warum habe ich keine Erwachsenenwindel angezogen?
Wenn ich Hunde der Kategorie 3 treffe, überlege ich immer, wie ich ihnen notfalls entkommen könnte. Zum Beispiel durch einen beherzten Sprung in die Spree. Da könnte allerdings die Wasserqualität für mich gesundheitsgefährdender sein als ein Hundebiss. Oder ich hoffe auf einen ordentlichen Adrenalinausstoß, der mich so pusht, dass ich mit einem Satz über einen mannshohen Zaun springen kann. (Eher unwahrscheinlich, da meine Hochsprung“best“leistung in meiner Schulzeit bei 1,30 m lag. Wahrscheinlich sogar nur 1,25 m.)
Das Frauchen des kläffenden Pinschers weist ihn so barsch zurecht, dass ich fast sage: „Ach, der wollte doch nur spielen.” Da die Frau aber wesentlich bedrohlicher aussieht als ihr Hund, lasse ich es bleiben und laufe weiter.
25. Juni 2021, Berlin
Während ich kurz vor Ladenschluss beim Bäcker in der Schlange stehe, überlege ich, wie ich gleich mit der Verkäuferin etwas Smalltalk betreiben kann. Ich habe mir nämlich vorgenommen, ab und an meine Komfortzone zu verlassen. Das soll ja gut sein. Nicht immer in den ausgetretenen Pfaden wandeln, sondern sich ab und an mal selbst herausfordern. Daran wächst du dann und das ist gut für die Persönlichkeitsentwicklung. Angeblich.
Da ich beim Komfortzonenverlassen nicht gleich mit Fallschirmspringen, Tiefseetauchen oder einem Ultra-Marathon durch die Sahara einsteigen möchte – ich brauche ja noch Steigerungsmöglichkeiten –, versuche ich es erstmal mit Smalltalk. Das ist für mich herausfordernd genug.
Nun frage ich mich, worüber ich mit der Verkäuferin smalltalken könnte. Irgendetwas Unverfängliches. Vielleicht darüber, dass es in dem Laden so gut riecht. Das tut es wirklich, weil Backstube und Verkauf im gleichen Raum sind und es deswegen nach frisch gebackenem Brot duftet. Also lege ich mir den Satz „Hier riecht es immer so lecker.“ im Kopf zurecht, damit ich für den Smalltalk gut vorbereitet bin.
Als ich an der Reihe bin, fragt die Verkäuferin: „Guten Abend, was darf’s sein?“ Eine zweckmäßige Frage für ein Verkaufsgespräch, die aber nicht anschlussfähig für meinen „Hier riecht es immer so lecker“-Satz ist. „Ein Roggenbrot, bitte“, erwidere ich. Die Verkäuferin packt das Brot in eine Tüte. „Möchten Sie sonst noch etwas?“ Auch das ist eine naheliegende und der Situation angemessene Frage, die mir aber erneut keine Möglichkeit bietet, mich wohlwollend über den Geruch in der Bäckerei auszulassen. „Nein danke, das wär’s.“ „Das macht fünf Euro.“
Nachdem ich bezahlt habe, wünscht mir die Verkäuferin einen schönen Abend und wendet sich der nächsten Kundin zu. Das war es wohl mit meinem Smalltalk-Unterfangen. Jetzt kann ich auch nicht mehr sagen: „Ach wissen Sie, bei Ihnen riecht es immer so gut.” Sonst klinge ich wie ein Perverser, der gleich noch fragt, ob sie mir ihre Unterwäsche verkaufen würde, damit ich ab und an daran schnuppern kann.
Ich wünsche der Verkäuferin einen schönen Abend zurück und verlasse den Laden. Eigentlich ist es in meiner Smalltalk-freien Komfortzone auch ganz schön.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Wünsche euch einen schönen Urlaub 😊