30. Juni 2023, Berlin
Heute gehe ich zum Friseur. Jedoch nicht, weil meine Frau oder sonst jemand, der das noch nie gemacht hat, versucht hat, mir die Haare zu schneiden. Ich hatte vorher schon einen Termin.
Beinahe hätte ich wieder zu meiner Stamm-Friseurin Ayşe gehen können, die seit ein paar Monaten nicht mehr in dem Laden arbeitet, zu dem ich immer gehe. Meine Frau hat sie kürzlich zufällig auf der Straße getroffen. Wobei, „zufällig“ und „auf der Straße“ nicht ganz zutreffend ist. Meine Frau hat sie gesehen, als Ayşe in dem Falafelladen neben ihrer alten Arbeitsstätte zu Mittag gegessen hat. Eine wahnsinnig clevere Akquisestrategie. Du siehst deine ehemaligen Kund*innen und isst dabei leckere Falafel.
Sie arbeite jetzt in einem Friseursalon, der gar nicht weit entfernt von uns sei, erklärte sie. Der sei auch nur geringfügig teurer. Anscheinend haben Ayşe und ich ein etwas anderes Verständnis von der Bedeutung des Wortes „geringfügig“. Ein Herrenhaarschnitt kostet dort in der günstigsten Variante 40 Euro – statt bisher 27 Euro –, meine Frau müsste sogar 62 Euro berappen.
Nun finde ich zwar, dass Dienstleistungen angemessen bezahlt werden sollen, aber 40 Euro für einen Haarschnitt finde ich doch zu teuer. Da lasse ich mir eher von N. die Haare schneiden. Der macht das bestimmt für einen Zehner.
Stattdessen gehe ich aber in den gleichen Friseurladen wie immer. Erneut habe ich einen Termin extra bei der Chefin ausgemacht, in der Hoffnung sie schneidet mir diesmal auch wirklich die Haare. Auf Chefinnen-Behandlung zu bestehen, klingt vielleicht etwas elitär, aber bei den ehemaligen Kolleginnen von Ayşe war ich immer nur so mittel zufrieden und wollte herausfinden, ob die Chefin das besser kann.
Als erstes bekomme ich von ihr persönlich die Haare gewaschen. (Wie ein Privat-patient, dem der Chefarzt ein Pflaster aufklebt.) Ich überlege, ob es später angebracht ist, wenn ich ihr ein Trinkgeld gebe. Schließlich ist sie die Chefin und da ist das vielleicht nicht üblich. Mein inneres Zwiegespräch bleibt ergebnislos, was aber egal ist, denn ich habe ohnehin kein Bargeld dabei.
Während des Haareschneidens versucht sich die Chefin im Smalltalk. Richtig gut ist sie darin nicht. Immer noch besser als ich, aber das ist kein besonders guter Maßstab. Wir quälen uns durch Themen wie Urlaubsorte, Mittagspause und das Wetter.
Kürzlich las ich im Clearer-Thinking-Newsletter von Spencer Greenberg über acht Tipps, wie du besseren Small Talk führst. Unglücklicherweise habe ich mir keinen einzigen davon behalten. Außer dass du dein Gegenüber ernst nehmen sollst. Das tue ich auf jeden Fall. Vor allem weil mein Gegenüber – beziehungsweise meine Hintermir – gerade mit einem Rasiermesser an meinem Ohr rumhantiert.
01. Juli 2023, Berlin
Meine Frau und ich betätigen uns in der Kulturtechnik des Ausgehens. Wir besuchen eine Lesung von David Sedaris. Weil wir das mit dem Weggehen nicht so häufig machen, haben wir vorher Guacamole mit sehr viel Knoblauch gegessen. Aber wenigstens nicht so viel, dass unsere Sitznachbar*innen ins Koma fallen.
Im Anschluss an die Lesung reihe ich mich in eine Dreißig-Meter-Schlange ein, um mir zwei Bücher signieren zu lassen. David Sedaris nimmt sich für jeden und jede, die an seinen Tisch treten, viel Zeit, unterhält sich ein wenig und malt etwas in die Bücher. Das ist einerseits sehr nett, andererseits auch recht langwierig. Aber für ihn sind die Unterhaltungen mit den Fans ein Quell von Anekdoten für neue Geschichten.
Nach knapp drei Stunden bin ich an der Reihe. Ich frage mich, ob David Sedaris überhaupt noch seinen Namen kennt oder ich nach der Warterei meinen.
Ich erkläre ihm, eines der Bücher sei ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin. Daraufhin will er wissen, wann ich Geburtstag habe und was ich mir wünsche. Wahrheitsgemäß antworte ich, ich hätte keine Wünsche, und frage zurück, was sein Geburtstagswunsch sei.
Er habe kürzlich einen Spiegel in Dänemark gesehen, erzählt er. 2×1 Meter groß und mit goldenen Blättern den Rahmen entlang. Für 12.000 Euro. Ich erwidere, ich würde leider niemanden kennen, der mir etwas für 12.000 Euro schenkt. David Sedaris meint, er lasse sich den Spiegel vielleicht von seinem Mann schenken. Von seinem eigenen Geld zwar, aber es wäre die Geste, die zählt. Dann gibt er mir meine signierten Bücher zurück.
Ich bezweifle, dass David Sedaris meine Ich-wünsche-mir-nichts-zum-Geburtstag-Antwort in seinem nächsten Buch verwenden wird. Dafür hat er es mit seinem 12.000-Euro-Spiegel aber in meinen Blog geschafft.
02. Juli 2023, Berlin
6.30 Uhr. Heute verabschiedet sich der Sohn. Er fährt auf Klassenfahrt. Eine Woche Paris. Als erfahrene Eltern wissen wir, dass wir ihn nicht zum Bahnhof begleiten müssen. Das letzte Mal, dass wir das gemacht haben, war bei der Tochter in der 9. Klasse. Außer uns war noch eine andere Mutter da. Während meine Frau und ich wie zwei Helikoptereltern aus dem Bilderbuch rumstanden, ignorierte uns die Tochter geflissentlich.
Daher fragten wir den Sohn nur pro forma, ob wir mit zum Bahnhof kommen sollen. Anscheinend stellte er sich vor, wie wir mit Taschentüchern winkend dem abfahrenden Zug hinterherlaufen, denn ein Anflug von Panik huschte kurz über sein Gesicht. Dann erklärte er, das sei nicht nötig. Wirklich nicht.
Vor zwei Wochen trübte der Lehrer die Vorfreude des Sohns auf die Klassenfahrt erheblich, als er den Schüler*innen mitteilte, sie müssten Referate halten und Reisetagebuch führen. Am meisten Unverständnis rief bei ihm allerdings hervor, dass ein striktes Alkoholverbot herrscht und sie um 22 Uhr auf den Zimmern sein müssen.
Ich verstehe den Lehrer und seine Bettruhevorgaben dagegen sehr gut. Ohnehin frage ich mich, wie masochistisch veranlagt du sein musst, um mit einer Gruppe von 16/17-jährigen in eine europäische Großstadt zu fahren. Was da alles passieren kann! Als Lehrer*in stehst du da die ganze Zeit mit anderthalb Beinen im Knast. Bei mir dürften die Schüler*innen auf einer Klassenfahrt gar nicht ihre Zimmer verlassen.
Trotz Referaten, Reisetagebuch und strengen Vorgaben zu Schlafenszeiten und Alkoholkonsum hat der Sohn es immer noch besser erwischt als sein Freund T. Während der gesamte Jahrgang europäische Metropolen wie Florenz, Edinburgh und London oder die Amalfi-Küste bereist, ist das Reiseziel des Kunst-LKs deutlich weniger attraktiv: Für den geht es nach Würzburg. Wenn ich den Sohn richtig verstehe, ist es ihm immer noch lieber um 22 Uhr nüchtern in einem Pariser Hotel zu liegen, als sturzbesoffen in Würzburg durchzumachen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)