Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
01. Juli 2024, Berlin
Trete vor der Haustür in ein Kaugummi. Bemerke das erst in der Küche, als ich bei jedem Schritt ein “Klebegeräusch” mache. Da lobe ich mir Singapur. Dort ist Kaugummikauen verboten. Die Strafen für Zuwiderhandlungen liegen im vierstellige Euro-Bereich.
So weit möchte ich gar nicht gehen. Mir würde es reichen, meine verklebten Sohlen an dem T-Shirt der Person abzurubbeln, die den Kaugummi auf den Bürgersteig gespuckt hat. Ich würde den Schuh sogar vorher ausziehen.
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C. macht im EM-Tippspiel ein paar Punkte gut. Er hat als Einziger bei Portugal gegen Slowenien auf ein 3:O getippt. Er hat aber wohl eher nicht damit gerechnet, dass es das Ergebnis nach Elfmeterschießen sein wird.
02. Juli 2024, Berlin
Heute ist Habe-ich-vergessen-Tag. Oder wie Teenager ihn nennen: Dienstag.
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Besuch beim Orthopäden. Hatte den Termin ursprünglich, weil ich neue Einlagen für meine Laufschuhe benötige. Seit einer Woche schmerzt allerdings meine linke Ferse. Ich erkläre dem Arzt, aufgrund meiner Google-Recherche vermutete ich, es handele sich um einen Fersensporn. Wo ich schon mal da sei, hätte ich gerne eine zweite Meinung.
Der Orthopäde, circa Mitte 40, tiefschwarzes Haar und Dreitagebart, schaut mich sparsam an. Er sagt kein Wort. Nur seine Augen zucken. Anscheinend hält er nicht viel davon, wenn seine Patient*innen mit Google-Diagnosen aufwarten.
Für eine Millisekunde legt er seinen Daumen auf meine Ferse, dann sagt er: „Da machen wir erstmal ein Röntgenbild.“ Wahrscheinlich ist das Röntgengerät neu und muss häufig zum Einsatz kommen, um sich zu amortisieren. Oder er bestraft mich für meine Google-Recherche mit einer Ladung Röntgenstrahlen.
Eine Viertelstunde später studiert er die Aufnahme meines Fußes. „Kein Fersensporn, sondern eine Entzündung.“ Sein Blick strahlt gleichermaßen Triumph und Verachtung aus. Die neuen Einlagen sollten Linderung verschaffen. Außerdem müsste ich meine Waden und Fußsohlen regelmäßig dehnen. Das sei extrem wichtig. Um seine Aussage zu unterstreichen, betont er die Worte „extrem wichtig“ extrem deutlich.
Ich nicke, er schaut mich missbilligend an. Wie ein Vater, der weiß, dass sein Sohn ihn enttäuschen wird. „Nicht ein- oder zweimal am Tag dehnen“, fährt er mit schnarrender Stimme fort. „Mindestens viermal! Noch besser sechsmal!“ Sein Gesichtsausdruck hat leicht manische Züge angenommen. Ihm scheint sehr viel an der Sache mit dem Dehnen gelegen zu sein. Ich bilde mir ein, an seinen Mundwinkeln eine leichte Schaumbildung zu erkennen.
Wahrscheinlich springt er gleich über den Tisch, nimmt mich in den Schwitzkasten und verpasst mir sechs Kopfnüsse, damit ich wirklich verstehe, wie essenziell das Stretching ist. Deswegen traue ich mich nicht, zu fragen, ob ich mich täglich Dehnen muss, bis die Entzündung weg ist oder bis zu meinem Ableben. „Dehnen ist das A und O“, deklamiert der Orthopäde mit erhobenem Zeigefinger. Der Anfang und das Ende. Also bis zu meinem Tod.
Welche Dehnübungen er mir für Waden und Fußsohlen empfiehlt, teilt er mir nicht mit. Da schaue ich nachher bei Google nach. Das behalte ich aber lieber für mich.
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Keine Neuigkeiten beim Tipp-Spiel. Der Sohn führt weiterhin mit komfortablen sieben Punkten Vorsprung.
03. Juli 2024, Berlin
Heute ist Bleib-aus-der-Sonne-Tag. Das Wetter macht es einem ziemlich leicht, diesen Tag zu begehen.
04. Juli 2024, Berlin
Dehne mich seit zwei Tagen regelmäßig. Sechsmal täglich. Ganz brav, so wie es mir der Arzt eingebläut hat. (Als Typus des autoritären Charakters setze ich Anweisungen der Obrigkeit pflichtbewusst und ohne zu hinterfragen um.) Jeweils für zehn Minuten. Das heißt, ich bin eine Stunde des Tages damit beschäftigt, meine Wadenmuskulatur zu stretchen.
Bei einer der Übungen drücke ich mich auf Zehenspitzen in die Höhe, winkle dann ein Bein an und senke mich mit dem anderen langsam wieder ab. Das hört sich eleganter an, als es in der Realität aussieht. Zumindest lacht der Rest der Familie mich dabei immer aus. Sie sind anscheinend keine autoritären Charaktere, die dem Familienoberhaupt den ihm gebührenden Respekt entgegenbringen. Ich vermute, dass sie mich nicht einmal als Familienoberhaupt ansehen.
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Abizeugnis-Verleihung. Der Sohn ist – wie die Tochter – auf ein altsprachlich-humanistisches Gymnasium in einem gutbürgerlichen Viertel gegangen. Viele der Jungs tragen für den Anlass gutsitzende Anzüge und weiße Hemden ohne Krawatte. Denke kurzzeitig, ich hätte mich auf den Bundeskongress der Jungliberalen verirrt. Einige der Mädchen haben sich für sehr enge und sehr kurze Kleider entschieden. Sie strahlen leichte „Pretty Woman“-Vibes aus.
Der Sohn und seine Freunde haben schwarze Schuhe, Anzugshosen und dunkle Hemden angezogen. Sie sehen aus wie eine Mischung aus Kellner und Türsteher.
Nach der Zeugnisübergabe überfliege ich die Abi-Zeitung. Zum Steckbrief des Sohns hat sein Freund N. über ihn geschrieben: „Der Mann, der besoffen auf Socken über den Nollendorfplatz läuft, macht am nächsten Tag 13 Punkte in Bio.“ Wen meint er mit Mann? Außerdem kann ich mich weder an die schuhlose Alkohol-Eskapade noch an eine Eins minus in Biologie erinnern. Manchmal ist es als Eltern besser, wenn du nicht immer alles mitbekommst.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Falls es eine Plantar Fasciitis ist (die habe ich seit Januar und nervt)…
Wirklich geholfen haben die Übungen aus diesem Video: https://youtu.be/PVjSq5thUhE?si=MjVj9MgJH-6vaPDU
…sowie als Igel Leistung selbst bezahlte Stoßwellentherapie. Wird erst nach 6 Monaten von der Krankenkasse bezahlt…so lange wollte ich nicht warten. Erstmal nicht wieder joggen (leider leider, auch wenn ich nie so weite Strecken gelaufen bin) und dann: gute Besserung!
Vielen Dank für die Hinweise. Die beiden Übungen hatte ich auch gefunden. Die Stoßwellen-Therapie hebe ich mir noch für die nächste Stufe auf.