Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
22. Juli 2024, Berlin
Morgendlicher Corona-Test. Bei mir immer noch positiv, bei meiner Frau das erste Mal wieder negativ. Sie legt ihre Testkassette neben meine und schaut mich an. In ihren Augen ist ein leichtes Triumphgefühl zu erkennen. Wie albern. So ein Corona-Test ist ja kein Wettbewerb. Außerdem hat sie zwei Tage Vorsprung. Sonst hätte ich gewonnen.
23. Juli 2024, Berlin
Kurz nach 5. Auf der Straße scheppert es. Der Straßen-Punk und einer seiner obdachlosen Kollegen haben die Nacht vor dem türkischen Supermarkt am Anfang der Straße verbracht. Jetzt richten die Mitarbeiter dort die Obst- und Gemüse-Auslagen her und die beiden müssen weichen. Als Ausweichquartier haben sie die geräumige Parkfläche direkt gegenüber von unserem Schlafzimmerfenster ausgewählt.
Nachdem sie sich häuslich eingerichtet haben, sitzen sie auf ihrem Feldbett (der Punk) beziehungsweise ihrer Isomatte (der andere) und unterhalten sich. Über in Rotwein gekochtes Fleisch, Husten und Tabellenkalkulationsprogramme. (Warum auch immer.)
Gegen sechs kommt Mustafa aus dem Haus. Der ehemalige Kioskbesitzer von nebenan, der in der Corona-Pandemie seinen Laden aufgegeben musste. Der ältere Obdachlose hält ein Schwätzchen mit ihm. Er fragt, wie es ihm geht, was er jetzt macht, erkundigt sich nach den Kindern. Damit hat er in drei Minuten mehr mit ihm geredet, als ich in den fünfzehn Jahren, die wir hier wohnen. (Ich wusste bis heute nicht mal, dass der Mann Mustafa heißt.)
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Stehe auf und starte den Tag mit dem obligatorischen Corona-Test. Das Ergebnis: weiterhin zweistreifig. Meine Frau macht auch nochmal einen Test. „Zur Sicherheit“, sagt sie. Ich glaube sie will mir nur unter die Nase reiben, dass sie negativ ist.
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Die beiden Obdachlosen bleiben den ganzen Tag auf ihrem Platz vor dem Kloster. Irgendwann bekomme ich mit, dass der Punk Marcel heißt, der Name des anderen bleibt unbekannt. Ich könnte ihn ja mal fragen.
Die zwei sind wie ein älteres Ehepaar. Sie zanken ununterbrochen, gleichzeitig kümmern sie sich umeinander. Der eine kocht, der andere dreht Zigaretten, die Biervorräte werden geteilt, dann käppeln sie sich wieder. Der häufigste Satz in ihren Gesprächen ist: „Hör mir doch mal zu.“ Vielleicht sollten sie mal eine Paartherapie machen.
Abends richten sie sich wieder vor dem Supermarkt für die Nacht ein. Vorher räumen sie noch auf und als sie weg sind, sieht es aus, als wären sie nie da gewesen.
24. Juli 2024, Berlin
Corona-Test am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen. Aber nur wenn er einen Streifen zeigt. Tut er bei mir aber immer noch nicht. Langsam nervt’s. Um ehrlich zu sein, nervt es schon seit zwei Tagen. Beziehungsweise seit letztem Donnerstag.
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Seit ich in letzter Zeit ein paar Mal zu meinen Fußschmerzen und möglichen Reha-Maßnahmen recherchiert habe, läuft der Werbealgorithmus bei Insta auf Hochtouren. Ich werde mit Anzeigen und Werbe-Videos überschüttet. Für Kurse, Trainingsgeräte und Apps rund um Dehnen, Gelenkstabilisierung und Kräftigung der Bänder.
Für 40 Euro könnte ich den Flex Buddy kaufen. Zwei Stöcke, die mit einem Stoffband verbunden sind, von denen du dir einen vor die Füße klemmst und mit dem anderen das Band aufwickelst, bis du in der Dehnung bist. Das Blackboard Set Professional mit Meta Trigger, Performance Bars und Toe Bands kostet 145 Euro. So schlimm sind meine Fußschmerzen dann doch nicht.
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Marcel und sein Kumpan lassen sich den ganzen Tag nicht blicken. Ich vermisse sie ein wenig. Da ich mein Büro zurzeit im Wohnzimmer eingerichtet habe und dort bei offener Balkontüre sitze, war ihre gemurmelte Unterhaltung das stetige Hintergrundgeräusch bei meiner Arbeit. Einerseits ist das nervig, andererseits aber irgendwie auch beruhigend. Quasi wie White Noise.
25. Juli 2024, Berlin
5 Uhr. Draußen rumort und scheppert es. Marcel und der ältere Obdachlose sind back. Heute haben sie noch einen anderen Punk und eine Frau im Schlepptau. Sie tauschen sich über Minuten-Steaks, frische Kleidung und Läuse-Shampoo aus. Nicht übermäßig laut, aber irgendwann schließen wir trotzdem die Fenster, um wenigstens noch ein halbes Stündchen zu schlafen.
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Corona-Test-Ritual nach dem Aufstehen: Endlich nur noch ein Streifen. Hallelujah!
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In meiner Inbox finde ich einen Newsletter der mir den Artikel „How to wake up at 5 a.m. every day” empfiehlt. Der Beitrag ist zahlenden Mitgliedern vorbehalten, so dass ich ihn nicht lesen kann. Ich schätze aber, der Tipp „Lass eine Gruppe Obdachloser vor deinem Schlafzimmer campen“ ist nicht dabei.
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Von den Obdachlosen ist tagsüber fast nichts zu hören. Der andere Punk und der ältere Kollege sind unterwegs, Marcel liegt auf seinem Bett und schläft. Die Frau sitzt daneben auf einem grünen Holz-Klappstuhl, raucht eine Selbstgedrehte, trinkt eine Flasche Bier und schaut ihm beim Schlafen zu.
26. Juli 2024, Berlin
Heute früh wecken uns die Obdachlosen nicht. Was daran liegt, dass sie die ganze Nacht vor unserem Haus geschlafen haben und ihr Lager morgens nicht neu aufschlagen mussten.
Später am Tag räumt Marcel die Betten und Matratzen weg und verteilt die Habseligkeiten auf die verschiedenen Einkaufswägen. Diese verteilt er dann in der Straße zwischen parkenden Autos, wo sie nicht stören.
Als ich gegen halb sechs vom Einkaufen nach Hause komme, sehe ich, dass er sein Bett direkt an der Hauptstraße neben einer Fußgängerampel aufgestellt hat. Warum er wohl dachte, dass hier der beste Ort zum Schlafen ist? Ich fürchte, er hat gar nicht mehr viel gedacht.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)