Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
09. August 2021, Berlin
Erster Schultag nach den Ferien. Als der Sohn nachmittags nach Hause kommt, frage ich ihn: „Und, wie wars?“
„Gut.“
„Irgendwas Besonderes?“
„Nö.“
Alles wie immer.
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Während in Berlin heute die Schule wieder losgeht, haben in Bayern und Baden-Württemberg die Sommerferien erst vor gut einer Woche angefangen. Als Kind habe ich immer davon geträumt, durch einen geschickten Umzug in den Genuss von zwölf Wochen Sommerferien zu kommen. Es war mir unverständlich, dass mein Vater nie auf diese Idee gekommen ist. Als Lehrer hätte er doch auch davon profitiert. Und noch mehr, wenn wir direkt nach den Sommerferien in das Bundesland gezogen wären, wo als nächstes die Herbstferien anfangen. Anscheinend fehlte ihm mein visionärer Weitblick.
10. August 2021, Berlin
Heute ist Faulpelz-Tag. Am zweiten Schultag nach den Sommerferien. Genau mein Humor.
Der Sohn ehrt den Faulpelz-Tag, indem er nach der Schule erstmal ein dreistündiges Nickerchen einlegt. Wahrscheinlich leidet er unter Schulanfangs-Jetlag und sein Biorhythmus muss sich erst wieder auf die durch das frühe Aufstehen verursachte Zeitverschiebung einstellen.
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Zum Abendessen gibt es Linsen. „Ich liebe Linsen“, ruft meine Frau. So verklärt wie sie schaut, stellt sie sich wahrscheinlich gerade vor, wie der damals noch hotte Mickey Rourke die ebenso hotte Kim Basinger in 9 ½ Wochen nicht mit Honig beschmiert, sondern mit Linsen einreibt. (Zumindest wäre das eine sehr viel weniger klebrige Angelegenheit und das anschließende Putzen wäre nicht so aufwändig.)
Ich bin ob der Linsen-Ekstase meiner Frau skeptisch. „Wenn auf dem Tisch eine Pizza und gekochte Linsen stehen würden, würdest du lieber die Linsen essen?“
Meine Frau überlegt unnormal lange. Die einzige sozial und kulinarisch akzeptierte Antwort auf meine Frage lautet doch: „Da würde ich natürlich die Pizza nehmen.“ Stattdessen sagt sie schließlich: „Also, ich glaube, ich würde mich für die Linsen entscheiden.“
Okay, meine Frau ist deutlich älter als ich – vier Monate, um genau zu sein –, aber dass sie jetzt schon wunderlich wird, hätte ich nicht gedacht. Da frage ich besser nicht, ob sie die Linsen auch einem Stück Käsekuchen vorziehen würde.
11. August 2021, Berlin
Beim Einkaufen nehme ich im Bio-Laden die aktuelle Ausgabe der Schrot & Korn mit. Warum weiß ich selbst nicht so genau. (Vielleicht ist meine Frau nicht die Einzige, die allmählich wunderlich wird.)
In dem Heft gibt es unter anderem Rezepte für Vorspeisen aus dem Nahen Osten, die fotografisch appetitanregend in Szene gesetzt sind, beim Nachkochen durch mich aber aussehen würden, als hätte sich ein Elefant auf den Esstisch gesetzt. Ein anderer Artikel enthält Tipps für die ökologisch korrekte Zahnpflege. Die Zähne einfach verrotten lassen, ist keine Option. Außerdem gibt es ein Interview mit Reinhold Messner unter der irreführenden Überschrift „Ich sehe Felswände brechen“, in dem es gar nicht um kotzende Berge geht.
Das Beste an dem Heft sind die Kontaktanzeigen. (Wie eigentlich bei jedem Print-Magazin.) Anscheinend sind auch die Ökos und Esos nicht vor dem Diktat des Körper-Kults gefeit. In mehreren Anzeigen wird die eigene Schlankheit hervorgehoben oder von den für zweisame Stunden gewünschten Partner:innen eingefordert. Einige Kontaktsuchende gehen all-in und schreiben, sie möchten eine Familie gründen oder Kinder haben. So viel Transparenz und Offenheit sind löblich, dadurch werden Menschen gleich abgeschreckt, die nur an schmuddeligem Sex interessiert sind. (Oder am Ausleben erotischer Honig- oder Linsen-Phantasien.)
In zwei Anzeigen betonen die Absender, dass sie jung geblieben seien. Sie sind beide im gleichen Jahr geboren wie ich. Was stimmt mit den Menschen nicht?
12. August 2021, Berlin
Die Wurst wird zum Politikum. Damit möchte ich mich nicht despektierlich über Armin Laschet äußern. Nein, VW hat verkündet, dass das Angebot in einer seiner Kantinen künftig fleischlos sein wird, weil sich viele Mitarbeitende mehr vegetarische und vegane Angebote wünschen. Dann wird dort auch keine Currywurst mehr serviert.
Für den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder ist das vollkommen inakzeptabel und er meldet sich wie ein wütender, Leserbrief schreibender Rentner zu Wort. Allerdings auf seinem LinkedIn-Account zu Wort, was bei mir die Frage aufwirft, warum er überhaupt einen LinkedIn-Account hat. Vielleicht weil er das Passwort zu seinem Stay-Friends-Konto vergessen hat.
Wäre er noch im VW-Aufsichtsrat, würde es das nicht geben, grantelt der Altkanzler. Currywurst mit Pommes sei nämlich der Kraftriegel der VW-Facharbeiterinnen und -Facharbeiter. Eine These, die bei mir wiederum die Frage aufwirft, ob sein Konto von einem geistig verwirrten Menschen gehackt wurde.
Ich meine, wie sehr musst du Currywurst lieben, dass du dich darüber derart aufregen kannst? Es ist ja nicht so, als hätte irgendjemand Gerhard Schröder verboten, Currywurst zu essen. (Und im Übrigen auch niemandem bei VW.) Aber wer weiß, wenn ich mal 77 bin und erfahre, dass VW keinen Käsekuchen mehr in seinen Kantinen anbietet, schreibe ich vielleicht auch empörte Posts ins Internet.
13. August 2021, Berlin
Ich stehe nur in Unterhose und mit Maske bekleidet vor einer Frau, die mich mit strengem Blick genaustens inspiziert. Was wie der Besuch in einem Fetisch-Studio klingt, ist lediglich meine Hautscreening-Untersuchung und Teil meines Plans, dieses Jahr mehr Wert auf Vorsorgetermine zu legen.
Als die Ärztin fertig ist sagt sie: „Alles in Ordnung. Es gibt keine dermatologischen Auffälligkeiten.“ Sie macht eine kurze Pause. „Für ihr Alter.“
Ich verzichte darauf, nachzufragen, was sie damit meint. Wahrscheinlich, dass ich für ein Baby eine katastrophale Haut hätte, für einen junggebliebenen Greis ist dagegen alles im grünen Bereich.
14. August 2021, Berlin
Nachdem die Tochter gestern ihre zweite Corona-Impfung hatte, ist heute der Sohn an der Reihe. Im Gegensatz zu seinem ersten Termin ist im Impfzentrum diesmal ordentlich was los. Die Schlange vor der Messe ist knapp 100 Meter lang. Das ist einerseits erfreulich, denn das bedeutet, dass sich viele Menschen impfen lassen, anderseits dauert es anderthalb Stunden, bis wir endlich in der Impfkabine sind. (Es spricht für die tadellose Organisation vor Ort, dass es nicht noch länger dauert.)
Die impfende Ärztin ist schon etwas älter, wirkt ein bisschen fahrig und sieht, wie der Sohn wenig charmant aber nicht ganz unzutreffend anmerkt, „ein wenig verrückt“ aus. Sie redet kurz mit mir und fragt plötzlich etwas unvermittelt: „Wo kommen Sie her?“ Ich bin maximal verwirrt und weiß nicht so genau, was sie von mir will. „Sie meinen in Berlin? Aus Moabit“, antworte ich. „Ach so. Ich dachte Sie hätten einen Akzent. Unter der Maske versteht man das ja nicht so genau.“ Ich versichere ihr, dass ich keinen Akzent hätte, sondern lediglich nuscheln würde. Auch ohne Maske.
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Den Rest des Tages fragen meine Frau und ich den Sohn regelmäßig, ob es ihm nach der Impfung gut geht oder ob er irgendwelche Nebenwirkungen verspürt. Er erklärt, es sei alles in Ordnung, aber es könnte sein, dass er am Montag zu schlapp sei, um in die Schule zu gehen. Netter Versuch.
15. August 2021, Berlin
Der Spiegel findet, dass das wichtigste Thema diese Woche das Leiden der modernen Väter ist, und macht mit dem postillon-würdigen Titel „Papa kann das schon alleine. Was moderne Väter alles hinkriegen – wenn die Mütter sie lassen“ auf. Ich überlege sehr lange, einen gewitzten Tweet dazu zu verfassen, aber mir fällt nichts ein, was über ein primitives Väter-Bashing hinausgeht, mit dem ich mich ungerechtfertigterweise über andere erheben würde, oder irgendeine Plattitüde, die nur dazu dient, Applaus aus der eigenen Bubble zu bekommen. Ich entscheide, dass die Schlagzeile in ihrer provozierenden intellektuellen Unterkomplexität nicht satisfaktionsfähig ist, und schreibe nichts.
Allerdings ist das auch doof. Wenn du so einen Unfug unwidersprochen stehen lässt, entsteht der Eindruck, er könnte wahr sein. Ist er aber nicht. Es gibt wahrscheinlich ungefähr 98 Gründe, warum Männer sich nicht mehr bei der Care Arbeit einbringen – individuelle, kulturelle, finanzielle, gesellschaftliche, strukturelle – und an 99. Stelle kommt dann vielleicht das so genannte Maternal Gatekeeping.
So, jetzt bin ich doch auch über das Stöckchen gesprungen, dass Der Spiegel uns allen hingehalten hat. Toll.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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