31. August 2023, Berlin
Heute ist Iss-draußen-Tag. Wahrscheinlich wurde er von Wespen erfunden.
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Der Sohn hat heute Abend mal wieder Exkursion mit dem Philo-LK. Diesmal geht es nicht ins Gefängnis, sondern ins Kino. In Barbie.
Eine interessante Filmwahl. Wir mussten damals noch Literaturverfilmungen wie Homo Faber oder Hamlet mit Mel Gibson im Original anschauen. Das ist jetzt aber keine Früher-war-alles-besser-Klage. Aus mir spricht einfach der pure Neid.
Bei dem Hamlet-Film erinnere ich mich nur noch daran, dass ich fast kein Wort verstanden habe. Und bei Homo Faber konnte unser Lehrer den Titel nicht aussprechen, ohne dass irgendjemand von uns pubertierenden Jungs angefangen hat zu lachen.
01. September 2023, Berlin
Der Sohn hat heute Geburtstag. Er wird 17. Seine Geburt war auch an einem Freitag. Da es ein geplanter Kaiserschnitt sein musste, legten wir ihn direkt vors Wochenende. So hatte ich danach zwei Tage frei und konnte Urlaubstage sparen, was wir praktisch fanden. So viel zum Zauber der Geburt.
Ich brachte die Tochter damals frühmorgens in die Kita, meine Frau fuhr mit S- und U-Bahn ins Virchow-Klinikum. Das sparte uns Taxi-Kosten, was wir ebenfalls praktisch fanden.
Rund zwei Stunden später ruhte sich meine Frau auf der Intensivstation von den Strapazen des Kaiserschnitts aus, ich saß mit dem Sohn auf dem Arm in einem Sessel und wir lernten uns kennen. Beziehungsweise ich lernte den Sohn kennen, er dachte wahrscheinlich: „Wo zur Hölle bin ich hier, wer ist dieser Typ und wenn er verdammt nochmal nicht sofort aufhört, mir irgendetwas ins Ohr zu flüstern, fange ich an zu schreien.“
Obwohl heute Schule ist, haben wir Zeit für ein gemeinsames Geburtstagsfrühstück. Wegen des Kinobesuchs gestern Abend lässt der Philosophie-Lehrer heute Morgen die ersten beiden Stunden ausfallen. Zu meiner Schulzeit hätte es so etwas nicht gegeben. Ein weiterer Beleg, dass früher nicht alles besser war.
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Meine Frau schickt eine WhatsApp-Nachricht und beschwert sich, LinkedIn hätte ihr einen Job als Referentin bei der Jungen Union vorgeschlagen. Ich schreibe zurück, es sei doch schön, dass sie für jung gehalten wird. Sie meint aber, bei der Jungen Union giltst du bestimmt noch mit 60 als jung. Damit hat sie wahrscheinlich recht. Zumindest was das geistige Alter angeht.
02. September 2023, Berlin
Laut Marathon-Vorbereitungsplan muss ich heute 35 Kilometer laufen. Das ist lang. Ich laufe am Hohenzollernkanal entlang, so wie gestern schon. Das ist langweilig. Die letzten zwölf Kilometer muss ich in Endbeschleunigung im Marathontempo laufen. Das ist anstrengend.
Ich habe noch leichten Muskelkater von gestern, weil ich bei meinem 20-Kilometer-Lauf fünf Steigerungsläufe machen musste. Da hatte ich bereits Muskelkater von den Drei-Kilometer-Intervallen vom Mittwoch, als ich noch Muskelkater vom Halbmarathon am Sonntag hatte. Die Marathonvorbereitung ist ein einziger Muskelkater.
Um mich vom Muskelkater abzulenken, höre ich beim Laufen Podcast. Die Hotel-Matze-Folge mit der spanischen Porno-Produzentin Paulita Pappel. Sie erzählt, als sie Mitte der 2000er Jahre nach Berlin kam, hätte sie die Erfahrung gemacht hat, dass deutsche Männer nicht flirten können. Ich bin ein sehr guter Beleg für diese These. An Karneval hat mich mal eine Frau gefragt, ob ich schwul oder verheiratet sei. Ich wollte zurückfragen, was ihr lieber wäre, aber da hatte sie sich schon jemand anderem zugewandt, mit dem sie dann später geknutscht hat.
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Als ich vom Laufen nach Hause komme und gerade meine Schuhe vor der Wohnungstür ausziehe, höre ich, wie ein paar Etagen über uns jemand abschließt und polternd die Treppe runterstürmt. Unser Nachbar P. erscheint auf dem Treppenabsatz. Er entschuldigt sich, er hätte mich nicht erschrecken wollen – was er gar nicht hat –, aber er müsse sich beeilen. Sie hätten heute Einschulung und weil er sein Hemd schon vorher durchgeschwitzt hatte, musste er sich schnell umziehen. Dann rennt er den Rest der Treppe hinunter und aus dem Haus.
So schnell wie P. läuft, vermute ich, dass er nochmal zurückkommen muss, um sich ein weiteres Mal umzuziehen.
03. September 2023, Berlin
Sachen, die diese Woche am Straßenrand gelegen haben:
- eine blaue Jeans
- eine karierte Stola
- eine einzelne pinke Kindersocke
- ein einzelner Badelatschen
- eine kaputte Badewanne
- ein kaputtes Bettgestell
- ein Sofa ohne Stoffbezug
Das hört sich jetzt an, als wohnten wir im Ghetto, wo jeder seinen Müll wild auf der Straße entsorgt. Tatsächlich ist es hier aber relativ sauber und auf dem Gehweg liegen nur vereinzelte Dosen oder Süßigkeitenverpackungen rum und so gut wie gar keine Hundehaufen. Möglicherweise lebe ich schon zu lange in Berlin, dass ich das für „relativ sauber“ halte.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Wieder sehr amüsant, vielen Dank. (Entspannt am Strand vom Camping el Prats in Spanien)
Gruß
Andi