Eine kleine Wochenschau | KW35-2024 (Teil 2)

Teil 1


30. August 2024, Berlin

Ich erhalte ein Blog-Kooperationsangebot. Für einen Kinderfußball mit lustigem Löwen-Motiv. Die Anbieter schlagen vor, ich solle den Ball mit meinen Kindern ausprobieren und dann auf dem Blog vorstellen. Nach dem Motto: Rausgehen, spielen und einfach Spaß an der Bewegung haben.

Während der Corona-Pandemie, als es sonst nichts zu tun gab, sind wir ab und an zu viert in den Park gegangen und haben Ball gespielt. Fußball, Volleyball oder einfach nur Zuwerfen. Besonders geschickt haben wir uns dabei nicht angestellt. Das war weniger eine Werbung fürs Ballspielen und Spaß an der Bewegung, sondern eher für den Abschluss einer Unfallversicherung.

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11 Uhr. Es klingelt. Vor der Tür steht G. aus der Studi-WG im vierten Stock. Heute Morgen sei eine Taube in ihre Küche geflogen, erklärt er. Ich hoffe inständig, dass er mich nicht bittet, sie für ihn einzufangen.

Glücklicherweise hat er das mit Hilfe eines Handtuchs schon selbst erledigt. Als er sie im Hof ausgesetzt habe, wollte sie davonfliegen, schaffte es aber nur bis zum Fenstersims vor unserer Küche, erzählt G. Da säße sie jetzt schon eine Weile.

Wir gehen in die Küche und tatsächlich, vor dem Fenster hockt eine Taube. Sie hat sich aufgeplustert und sieht ängstlich aus. Aber das ist nur eine Vermutung von mir. Ich habe keinen Schimmer, wie eine Taube aussieht, wenn sie Angst hat. (Und auch nicht, wenn sie wütend oder gelangweilt ist.)

G. fragt, ob ich der Taube vielleicht etwas Wasser hinstellen könnte. Damit sie keinen Durst leiden muss. (Anscheinend weiß G., wie Tauben aussehen, wenn sie durstig sind. Vielleicht studiert er etwas mit Tieren. Zoologie oder Veterinärwesen. Oder er ist Tierpräparator.)

Ich verspreche ihm, mich darum zu kümmern. Als er gegangen ist, fülle ich ein kleines gelbes Plastikschälchen mit Wasser und räume die Fensterbank leer. Allerdings habe ich Sorge, die Taube kommt reingeflogen, sobald ich das Fenster aufmache. Vielleicht mag sie Küchen und nachdem sie bei G. rauskomplimentiert wurde, versucht sie bei uns ihr Glück.

Ganz schnell öffne ich das Fenster, stelle die Schale draußen ab und schließe es ebenso geschwind wieder. Für das menschliche Auge waren meine Bewegungen wahrscheinlich gar nicht wahrnehmbar. The Flash wäre stolz auf mich.

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Der Sohn erzählt, sie seien gestern Abend in einem Club gewesen. Hat ihm aber nicht so gefallen, die Mädchen dort waren ihm zu aufdringlich. Na gut, besser so als umgekehrt.

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Als ich vor dem Schlafengehen noch Geschirr in die Spülmaschine stelle, sitzt die Taube immer noch vor dem Fenster. Das Wasser hat sie nicht angerührt. Vielleicht mag sie kein Gelb. Ihre Verdauung funktioniert aber tadellos und sie hat den ganzen Sims vollgekackt Da würde mir auch der Durst vergehen.

31. August 2024, Berlin

Heute ist Iss-draußen-Tag. Ich schätze, er wurde von Wespen erfunden.

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Die Taube befindet sich weiterhin auf der Fensterbank und hat kaum ihre Position verändert. Normal ist das sicherlich nicht. Vielleicht ist sie krank.

Meine Frau recherchiert nach dem Tauben-Notruf, damit sich jemand dem Tier annimmt. (Ob das wohl die gleichen Leute sind, die sich um Fledermäuse in Wohnungen kümmern? Immerhin fliegen beide.)

Die Tauben-Notruf-Leute bitten meine Frau, die Taube mit etwas Futter und Wasser in einen Karton zu setzen, bis jemand kommt und sie abholt. Dann erledigt sich das Problem von selbst. Als meine Frau die Taube mit einem Handtuch greifen will, schaut diese kurz panisch auf und fliegt davon.

Vielleicht ging es ihr doch die ganze Zeit gut und sie wollte nur ein weniger auf unserem Fenstersims chillen.

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Heute Abend steigt die große Party des Sohns. Als gute Eltern haben wir uns ein Hotelzimmer genommen und schlafen auswärtig. Das ist wahrscheinlich für alle Beteiligten besser.

Hoffentlich geht auf der Feier nichts zu Bruch. Außer dem Fernseher. Der läuft seit einiger Zeit nicht mehr einwandfrei, aber noch zu gut, um ihn zu entsorgen. Da wäre es praktisch, wenn einer der Partygäste ihn umschmeißen würde. Selbstverständlich aus Versehen. Vielleicht kann der Sohn jemanden schubsen.

01. September 2024, Berlin

Nun ist der Sohn also volljährig. Laut Gesetz darf er jetzt selbst Schnaps kaufen (und trinken), Zigaretten rauchen, Verträge abschließen, den Bundestag wählen und sogar für den Bundestag kandidieren. Nur Bundespräsident kann er noch nicht werden. Dazu musst du mindestens 40 sein.

Dass unsere Kinder jetzt beide erwachsen sind, führt mir das eigene Älterwerden vor Augen. Das ist möglicherweise gar nicht so schlecht, denn was mein Alter angeht, leide ich manchmal an einer verzerrten Wahrnehmung, die schon leicht ins Realitätsverweigernde spielt.

Zum Beispiel schätze ich regelmäßig Menschen auf mein Alter, die allerdings Mitte 30 sind. Oder kürzlich sah ich im Magazin das Foto einer älteren Frau, von der ich dachte, dass sie ungefähr im Alter meiner Eltern sein muss. Tatsächlich war sie 64, womit sie altersmäßig näher bei mir als bei meinem Vater liegt. Ein nur mittelschöner Gedanke.

Jetzt, wo beide Kinder volljährig sind, ist wohl auch die Erziehung mehr oder weniger abgeschlossen. Was wir ihnen bis jetzt nicht vermittelt haben, werden wir ihnen wohl auch künftig nicht mehr beibringen.

Ob wir gute Eltern waren (und sind)? Zumindest bin ich zuversichtlich, dass wir nicht die schlechtesten der Menschheitsgeschichte waren. Auf jeden Fall haben wir es geschafft, ihnen so etwas wie einen moralischen Kompass mitzugeben. Somit sehe ich es ein klein wenig als unseren erzieherischen Erfolg an, dass sie keine Arschgeigen geworden sind, sondern wissen, was prinzipiell richtig und falsch ist (Und dass es mehr als schwarz und weiß gibt.)

In diesen Zeiten ist das nicht das Allerschlechteste.


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2 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW35-2024 (Teil 2)

  1. Ich liebe die Wochenschau. Sehr.
    Immer höchst amüsant. Das Talent über das alltägliche Leben so witzig zu schreiben hätte ich auch gerne!
    LG

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