Eine kleine Wochenschau | KW36-2022

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


05.09.2022, Berlin

Heute ist Sei-spät-dran-für-etwas-Tag. Ich glaube, um das zu zelebrieren, braucht der Sohn keinen Ehrentag.

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Wir telefonieren mit der Tochter in Malmö. Sie erzählt, sie habe sich nach der Vorlesung mit einer Frau unterhalten, die schon seit fünfzehn Jahren studiert. An verschiedenen Unis und sie habe auch schon mehrere Abschlüsse, aber die Tochter ist trotzdem fassungslos. „Fünfzehn Jahre!“, wiederholt sie und reißt ihre Augen weit auf.

Bei uns in der Soziologie in Marburg gab es damals auch Studierende, die schon seit fünfzehn Jahren und länger studierten. Aber ausschließlich in Marburg und ohne bereits einen Abschluss zu haben. Und auch ohne Aussicht – und ohne Absicht –, bald einen zu machen. Das hatte auch sein Gutes: Mit meinem Diplom nach zwölf Semestern konnte ich mich wie ein Turbostudent fühlen.

06.09.2022, Berlin

Heute ist Kämpfe-gegen-die-Prokrastination-Tag. Ich gehe davon aus, dass die Person, die Zeit und Energie investiert hat, diesen Tag zu begründen, irgendeine nervige Aufgabe zu erledigen hatte. Danach hat sie dann den Sei-spät-dran-für-etwas-Tag erfunden.

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Am Kloster gegenüber von unserem Schlafzimmer und damit meinem Arbeitsplatz wird ein Gerüst aufgebaut. Um es positiv auszudrücken: Die Gerüstbauer sind gut drauf, lachen viel und vor allem laut. Und sie trinken anscheinend sehr viele kohlesäurehaltige Getränke. Das wäre zumindest eine Erklärung für ihre bemerkenswert hohe Rülpsfrequenz.

In der zehnten Klasse habe ich mal das Wort „Hippopotamus“ gerülpst. Das hat mir sehr viel Respekt unter meinen Klassenkameraden eingebracht. (Weniger unter den Klassenkameradinnen.) Danach habe ich meine öffentliche Rülpskarriere beendet. Es ist immer gut, auf dem Höhepunkt deines Erfolges abzutreten.

07.09.2022, Berlin

Für die Marathonvorbereitung muss ich heute einen langsamen Dauerlauf machen. In einer Geschwindigkeit, mit denen ich die steilen Berge in Cassis hochgekrochen bin.

Die langsamen Dauerläufe stehen regelmäßig im Trainingsplan. Durch das langsame Tempo soll der Körper lernen, mit Energie aus der Fettverbrennung sowie aus dem aeroben Kohlehydratabbau zu laufen. Was das genau bedeutet, weiß ich auch nicht. Aber anscheinend ist das wichtig, um die letzten zehn Kilometer beim Marathon einigermaßen würdevoll zu überstehen. So steht es zumindest in der Laufbibel von Herbert Steffny, nach der mein Freund Arne und ich uns vorbereiten. Dann wird das schon stimmen. Falls nicht, haben wir am 02.10. ab Kilometer 32 ein Problem.

Das langsame Tempo des langsamen Dauerlaufs hat zur Folge, dass ich ständig überholt werde. Von älteren Läuferinnen, von übergewichtigen, von untrainierten, von Kleinkindern, die gerade das Laufen lernen, von Greis*innen, die allmählich das Laufen verlernen und eigentlich von allen Menschen. Und von Kriechtieren, die sich auf dem Spreeweg und im Schlosspark befinden.

Das ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wenn ich in meinem normalen Trainingstempo laufe, passiert mir das nur sehr selten. Da werde ich fast nie überholt. Das liegt aber eher nicht daran, dass ich so ein toller Athlet bin. Wahrscheinlich gibt es in Moabit und Charlottenburg einfach nicht so viele ambitionierte Freizeit-Läufer*innen. Oder die laufen zu anderen Uhrzeiten und auf anderen Strecken als ich.

Ich habe festgestellt, dass es mein Unterbewusstsein offenbar wurmt, dass ich ständig überholt werde. Bei den langsamen Dauerläufen verändert sich mein Laufstil. Ich bewege mich betont lässig, schlenkere unmerklich mit den Armen, die Brust ist breiter als sonst, die Körperhaltung unnormal aufrecht und ich habe immer ein Lächeln im Gesicht. Fehlt nur noch, dass ich fröhlich vor mich hinpfeife. Hauptsache niemand denkt, ich sei unfit und laufe wie ein untrainierter Waschlappen an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit.

Vielleicht sollte ich meinem Unterbewusstsein mal erklären, dass vollkommen egal ist, was die Menschen hier über mich denken. Außerdem werden auf dem Spreeweg und im Schlosspark keine Medaillen vergeben. Hier geht es nicht um Rekorde und es finden auch keine Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele statt. Falls doch, würde ich es daran merken, dass ich nicht mitlaufen dürfte.

08.09.2022, Berlin

Die Gerüstbauer fangen heute früh um kurz nach sechs mit der Arbeit an. Sie klappern zwar laut mit den Metallstangen, Brettern und Schrauben, aber ihre Rülps-Frequenz liegt wenigstens noch bei null. (Wahrscheinlich weil Kaffee keine Kohlensäure enthält.)

Später hören sie über eine Bluetooth-Box irgendeine gruselige Eurodance-Mucke. Die Lieder klingen wie eine Mischung aus DJ-Bobo-Songs aus dem Giftschrank und Dr.-Alban-Demotapes, die auf einem Walkman mit zu schwachen Batterien abgespielt werden. (Die Älteren erinnern sich.)

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Die Queen ist gestorben. Vorgestern musste sie noch Boris Johnson als Premierminister verabschieden und die neue Premierministerin Liz Trust begrüßen und heute ist sie tot. Auch keine schöne Vorstellung: Du hast nur noch zwei Tage zu leben und musst eine Stunde deiner verbleibenden Zeit mit solchen Dumpfbrumsen verbringen.

Wie aufmerksame Stammleser*innen wissen, verbindet mich eine kaum hinter ironischer Distanz verborgene Faszination mit dem britischen Königshaus. Ich erkläre mir das damit, dass Prince Charles und Lady Di an meinem sechsten Geburtstag geheiratet haben. Ich habe damals die Zeremonie stundenlang am Fernseher verfolgt und die beiden beneidet, dass sie in einer Kutsche fahren durften. Und meinen Eltern habe ich übelgenommen, dass wir nicht adelig sind, und mir daher dieses Vergnügen vorenthalten sein wird, wenn ich einmal heiraten werde.

Meine Begeisterung für die Royals ging sogar so weit, dass ich später Zeitschriftenartikel von der Geburt von Prince William ausgeschnitten und an meine Pinnwand gehängt habe. Wahrscheinlich haben meine Eltern damals überlegt, ob es vielleicht besser wäre, mal mit mir bei einem Kinderpsychiater vorstellig zu werden.

Einmal konnte ich die Queen persönlich sehen. Das war 2015 als sie zum Staatsbesuch in Deutschland war. Als sie in Berlin ankam, holte ich gerade den Sohn von einer Verabredung in der Nähe vom Flughafen Tegel ab. Plötzlich wurden die Straßen abgesperrt und der königliche Konvoi fuhr an uns vorbei.

Ich war deswegen wesentlich aufgeregter als der Sohn. Der war schlecht gelaunt, weil er schon nach Hause musste, und außerdem hatte er Hunger. Auf solche Befindlichkeiten konnte ich aber keine Rücksicht nehmen. Schließlich fuhr die Queen in diesem Moment an uns vorbei. Bis heute bin ich übrigens überzeugt davon, dass sie mir aus dem fahrenden Auto huldvoll zugewunken hat. (Je länger die Begegnung zurückliegt, umso sicherer bin ich mir.)

Winkende Queen. Vielleicht.

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Es gibt aber auch gute Nachrichten heute: Die Tochter hat eine Zusage für ein Studium in Irland bekommen. Am St. Patricks College in Carlow. Hätten Sie mich gestern gefragt, wo Carlow liegt, hätte ich Ihnen keine Antwort geben können. Heute weiß ich dank Wikipedia, dass sich Carlow 84 Kilometer südwestlich von Dublin befindet und circa 15.000 Einwohnerinnen hat. Und dank einer kurzen Internetrecherche weiß ich außerdem, dass es nicht wahnsinnig viele bezahlbare Unterkünfte für Student*innen in Carlow gibt.


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