Eine kleine Wochenschau | KW38-2023

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


18. September 2023, Berlin

Meine Frau probiert bei Snapchat einen Senioren-Filter aus. Ihr Haar wird schneeweiß, die Wangen schlaff, ihre Augenpartie faltig. Sie ist 30 Jahre gealtert.

Bei mir ist das Ergebnis weniger spektakulär. Mein Bart ist ohnehin schon grau, lediglich mein Haar wird schlohweiß eingefärbt. Im Gesicht ändert sich nichts.

Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll: Entweder werde ich mit Ende 70 noch als Ende 40-Jähriger durchgehen, oder ich sehe heute schon wie ein 80-Jähriger aus, der sich die Haare dunkel färbt.

19. September 2023, Berlin

Kurz vor 7. Ich wache eine Stunde später auf als gewöhnlich und bin trotzdem hundemüde. Um 1 Uhr wurde ich aus dem Schlaf gerissen, weil meine Frau geschrien hat. Reflexhaft nahm ich sie fest in den Arm und sagte ebenso reflexhaft: „Da ist nichts.“

Meine Frau träumt regelmäßig davon, dass an unserer Schlafzimmerwand oder -decke eine riesige Spinne entlangläuft. Keine Ahnung, was das psychoanalytisch bedeutet, aber ich gehe davon aus, nichts Gutes.

Meine Aufgabe als treusorgender Ehemann besteht darin, ihr zu versichern, dass Wand und Decke spinnenfrei sind. Um ehrlich zu sein, kann ich das meistens gar nicht mit Gewissheit sagen, denn ohne Brille und im Halbdunklen sehe ich nicht besonders gut. Ich hoffe einfach, dass ich mich nicht mitten in der Nacht darum kümmern muss, eine kaninchengroße Spinne aus der Wohnung zu befördern.

Meine Frau schlief heute Nacht sofort wieder ein, ich dagegen war hellwach. Wenn dir jemand nachts angsterfüllt ins Ohr gekreischt hat, strömen so viele Hektoliter Adrenalin durch deinen Körper, da ist an Schlaf erstmal nicht zu denken.

Ich ging erstmal auf Toilette. Wenn du ohnehin wach bist, hast du ja Zeit dafür. Anschließend machte ich das Weckradio an. Berliner Rundfunk. Harmlose Oldies und die besten Hits aller Zeiten, von denen ich hoffte, dass sie mich in den Schlaf lullen. Taten sie aber nicht.

Also las ich etwas. Die Architektin von Till Rather. Normalerweise dauert es abends drei bis vier Seiten, bis ich so müde bin, dass ich einschlafe. Um 2 Uhr morgens funktionierte das nicht. Nach fünf Kapiteln legte ich das Buch beiseite.

Ich ging ein weiteres Mal auf Toilette, denn ich hatte sonst nichts zu tun.

Auf dem Rückweg ging ich auf den Balkon. Es war etwas kühl, aber für Mitte September erstaunlich mild. Ich schaute, was bei uns in der Straße los ist. Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Die Vögel schliefen noch, die Fenster der anderen Häuser waren dunkel, kein Auto fuhr weit und breit.

Nur in einem Fenster im Kloster gegenüber brannte Licht. Müssen Dominikaner nachts beten? Oder fand einer der Mönche keinen Schlaf mehr, nachdem ihn einer seiner Glaubensbrüder durch einen Alptraum aus dem Schlaf gerissen hatte?

Auf der anderen Straßenseite lief ein Mann vorbei. Er rauchte. Warum geht jemand um 3 Uhr morgens Spazieren? Der Typ fragte sich wahrscheinlich, warum steht jemand um 3 Uhr morgens auf dem Balkon. Wir taten so, als würden wir uns nicht sehen.

Ich ging zurück ins Bett. Die frische Morgenluft auf dem Balkon hatte mich noch wacher gemacht. Ich hörte wieder Radio. Die 4 Non Blondes sangen „What’s going on?“ Ich wusste es doch auch nicht.

Gegen halb fünf schlief ich endlich ein. Heute früh muss ich feststellen, dass mir zweieinhalb Stunden Schlaf nicht ausreichen, um ausgeruht und fröhlich in den Tag zu starten. Stattdessen fühle ich mich bleischwer und weiß nicht, wie ich meinen Körper aus dem Bett bekommen soll.

Meine Frau weist jegliche Schuld an meiner schlaflosen Nacht von sich. Sie trage dafür keine Verantwortung. Sie könne doch nichts dafür, dass sie von Spinnen träume, vor denen sie so schreckliche Angst habe.

Auf den ersten Blick mag diese Argumentation überzeugend klingen. Nicht aber auf den zweiten. Schließlich steuert unser Unterbewusstsein unsere Träume. Das Unterbewusstsein ist aber Teil unseres Selbst. Fragen Sie Freud. Somit ist es etwas voreilig, jedwede Verantwortung für seine Träume und für die Konsequenzen, die sich aus ihnen ergeben, von sich zu weisen. Besonders wenn du deinen Partner dabei auf brutalstmögliche Weise aus dem Tiefschlaf reißt und ganz besonders wenn sich dieser Partner aufopferungsvoll darum kümmert, dass du beruhigt und unverzüglich wieder einschlafen kannst.

Allerdings bin ich nicht in der Lage, meiner Frau diesen nicht gerade unterkomplexen Gedankengang stichhaltig darzulegen. Dazu bin ich einfach zu müde.

20. September 2023, Berlin

In der Birkenstraße, wo früher der Dicke Engel war, hat im Sommer ein neues Restaurant aufgemacht. Platform 68. Vietnamesische Küche + Sushi steht auf dem Schild an der Fassade.

Vietnamesische Küche und Sushi finde ich eine wilde Mischung. So als würde ich in Thailand ein Lokal mit dem Namen „Bahnsteig 68. Deutsche Hausmannskost + Pizza“ betreiben.

Ich frage mich, ob die Besitzer der Platform 68 Vietnamesen oder Japaner sind. Wahrscheinlich Araber.

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Die Tochter hat neue Mitbewohner*innen. Unter anderem zwei Spanierinnen und einen Portugiesen. Die könnten sich in einer Mischung aus Spanisch und Portugiesisch verständigen. Wenn sie dabei sei, würden sie aber Englisch reden.

Meine Frau sieht das als Gelegenheit, ihre Portugiesisch-Kenntnisse anzubringen, die sie sich im Frühjahr in Vorbereitung auf unseren Urlaub in einem Online-Kurs angeeignet hat, den sie für ein paar Wochen absolviert hat. (Bitte denken Sie sich bei den Wörtern Kenntnisse, angeeignet und absolviert Anführungszeichen. Zur Wahrung der ehelichen Harmonie kann ich sie nicht selbst setzen.)

Brot heiße Pão, Wasser Áqua und Milch Leite, erklärt meine Frau. Ich denke nicht, dass dieses Vokabular für die Tochter besonders hilfreich ist, um eine Unterhaltung mit ihrem portugiesischen Mitbewohner zu führen. Außer sie spielen Einkaufsladen. Dann könnte das nützlich sein.

So wie sich meine Frau bei ihren Ausführungen geriert, könnte man meinen, sie spräche fließend Portugiesisch. Quasi wie eine Muttersprachlerin. Dazu passt allerdings nicht, dass sie während unseres Portugalurlaubs kein einziges Mal Brötchen gekauft hat, weil sie sich nicht getraut hat, die Verkäuferin an der Brottheke anzusprechen. Das musste ich übernehmen und mir dafür den Backwaren-Kauf-Dialog zusammendeepeln. Jeden Morgen, weil meine Lernkurve sehr flach ist und ich immer so aufgeregt war.

(„Guten Morgen, ich hätte gerne vier Brötchen, danke.“ heißt auf Portugiesisch übrigens „Bom dia, gostaria de ter quatro pãezinhos, obrigado.“ Bitte, gerne.)


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Ein Kommentar zu “Eine kleine Wochenschau | KW38-2023

  1. Eine Anmerkung zum Eis in Mailand (bzw. zum Essen generell in Italien): Es ist gar nicht so, dass die zwei Kugeln Eis 16 € kosten, vielmehr ist es in Italien üblich, „coperto“ oder „servizio“ zu berechnen, wenn man sich im Lokal hinsetzt. Ein Beispiel: Der Espresso am Tresen kostet immer (!), das ist staatlich festgeschrieben, zwischen 0,80 und 1 €. Setzt man sich an einen Tisch, kommt ein Aufschlag für die Bedienung, das Gedeck, etc. hinzu, und so werden an einem touristischen Ort wie der Piazza San Marco in Venedig auch schnell mal 20 € für den Espresso fällig. Der Preis, den die Eltern bezahlten, bezog sich also gar nicht auf das Eis, sondern vor allem auf die Art des Konsums.
    Liebe Grüße!

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