Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
27. September 2021, Berlin
Sitze vormittags mit dem Sohn beim Orthopäden. Beim Judoturnier am Wochenende hat er sich irgendetwas am Knie zugezogen. Außerdem ist sein linker Daumen lädiert, auf Höhe des rechten Wangenknochens hat er einen blauen Fleck und die Lippe hat auch etwas abbekommen. So wie der Sohn aussieht, fühlt sich heute wahrscheinlich die CDU.
Der Orthopäde untersucht das Knie, mutmaßt, dass das Außenband überdehnt oder angerissen ist und ordnet ein MRT an. Ich bitte ihn, sich auch den Daumen anzuschauen Der Sohn kann keinen Stift halten, was blöd ist, weil er Linkshänder ist, was noch blöder ist, weil er diese Woche drei Arbeiten schreiben muss. Daher bitte ich um ein Attest, weil das bei den Lehrer:innen wahrscheinlich mehr Eindruck macht, als ein von mir geschriebener Zettel.
Der Daumen sei wohl verstaucht, meint der Orthopäde und fragt den Sohn, ob er nicht auch mit rechts schreiben könne. Der Sohn antwortet, seine Schrift sei schon mit links nicht die allerleserlichste – was ein ziemlicher Euphemismus ist –, aber mit rechts sei sie gar nicht zu entziffern und eine Zumutung für die Lehrer. Als Arzt weiß der Orthopäde wahrscheinlich nicht, was mit „unleserliche Handschrift“ überhaupt gemeint ist, stellt dann aber doch das Attest aus.
„Oben genannter Patient kann die nächsten 14 Tage nicht handschriftlich tätig werden.“
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Meine Frau schreibt mittags die Lehrer:innen an, um anzukündigen, der Sohn könne die Arbeiten nicht mitschreiben und schickt das Attest gleich mit. Die Geschichtslehrerin antwortet umgehend, dass sei kein Problem. Vor allem, weil die Arbeit schon heute geschrieben wurde.
28. September 2021, Berlin
Unsere Dusche funktioniert nicht. Irgendetwas blockiert die Wasserzufuhr im Brauseschlauch. Langsam habe ich den Eindruck, 2021 arbeitet eine Checkliste ab, was alles kaputt gehen kann. Heizung, Wasserboiler, Waschmaschine, WLAN und Spülmaschine sind schon abgehakt.
Jetzt also die Dusche. Da sich das Problem nicht auf die Schnelle lösen lässt, kauere ich nun würdelos in der Badewanne und halte zum Haarewaschen den Kopf unter den Wasserhahn. Um den Rest des Körpers zu waschen, schütte ich mir mit einer kleinen Schüssel Wasser über Rücken, Brust und Beine, was ein nicht weniger demütigendes Bild abgibt. Wenn ich mich etwas anstrenge, kann ich mir vorstellen, dass ich eine rituelle Waschung durchführe, um Körper und Geist zu reinigen. Ich möchte mich aber nicht anstrengen und mein Geist zieht es auch vor, genervt zu bleiben. (Umso wichtiger wäre wahrscheinlich die rituelle Waschung.)
29. September 2021, Berlin
Ich bekomme eine Mail von der Volks- und Raiffeisenbank. Mit meinem Banking stimme etwas nicht und deswegen musste es deaktiviert werden. Das ist merkwürdig, denn ich habe gar kein Konto bei der Volks- und Raiffeisenbank. Noch merkwürdiger ist allerdings der Text der Mail.
WichtigeеMitteilung
SehrеgeehrterеKunde,
Ihr Bankingеwurde aus sicherheitstechnischenеGründenеdeaktiviert.
durchеneue Bestimmungenеist es erforderlich, dassеKontoinhaber inеregelmäßigen Abständen eine kurzeеBestätigung Ihrerеaktuellen Datenеdurchgeben. Damit soll gegen nichtеauthorisierte Benutzung vonеKonten und Geldwäscheеvorgegangenеwerden.
Um unsereеDienste weiterhin wieеgewohnt nutzen zu können undеeiner drohenden Schließung vorzubeugen, möchtenеwir Sie höflich bittenеdies umgehend zuеerledigen.
Wir wunschenеIhnen noch einenеangenehmen Abendеund entschuldigen unsеfur die Unannehmlichkeiten.
Mit freundlichenеGruBen
IhreеVolksbank
Die Phishing-Betrüger könnten sich ruhig etwas mehr Mühe geben und ihre Mails vor dem Abschicken jemandem zum Gegenlesen geben. Sie wissen schon, 4-Augen-Prinzip und so. Das hat ja auch etwas mit Respekt gegenüber den potenziellen Betrugsopfern zu tun, dass du nicht den Eindruck vermittelst, du hältst sie für die letzten Volltrottel, die auf so etwas reinfallen.
Ich frage mich ohnehin, ob es tatsächlich Menschen gibt, die auf solche Mails reagieren. Wenn neben dem Bankautomat ein Typ in zerlumptem Anzug steht und zu dir sagt: „Deinen Karten nicht funktionieren. Mussten geben mir und dazu noch auch Ihren PIN. Ich wunschen noch einen angenehmen Tage und entschuldigen mich fur die Unannehmlichkeiten.”, denkst du doch auch nicht: „Mensch, was für ein netter Mann, bei dem ist meine Bankkarte gut aufgehoben. Vielleicht kann er sich auch noch um mein Aktiendepot kümmern.”
30. September 2021, Berlin
Die Briten bekommen immer mehr die Auswirkungen des Brexits zu spüren. Da die meisten ausländischen Arbeitskräfte das Land verlassen mussten, gibt es zu wenige LKW-Fahrer, was dazu führt, dass die Tankstellen nicht genügend Benzin geliefert bekommen und auch in vielen Supermärkten bleiben häufiger mal die Regale leer.
Der Brexit hat aber noch ganz andere Folgen: Nordirische Zirkusse klagen über eine Clowns-Knappheit. Im Gegensatz zur LKW-Fahrer-, Benzin- und Lebensmittel-Knappheit gibt es für dieses Problem eine einfache Lösung: Wenn die Menschen einen Clown sehen wollen, können sie sich einfach die Reden von Boris Johnson anschauen.
01. Oktober 2021, Berlin
Heute ist Tag des Lächelns. Ich glaube nicht, dass der in Berlin besonders begangen wird. Außerdem ist Tag des Kaffees. Dafür brauche ich auch keinen eigenen Gedenktag, den habe ich jeden Tag. Im Gegenteil wäre es für mich sinnvoller, es gäbe einen Christian-macht-heute-mal-halblang-was-den-Kaffeekonsum-angeht-Tag.
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Der Sohn fragt, ob er sich heute Abend mit ein paar Klassenkameraden und -kameradinnen treffen dürfe. Sie wollten im Park abhängen. Wir erlauben es, er solle aber spätestens um 1 Uhr zu Hause sein und außerdem seinen Perso mitnehmen, falls die Polizei im Park kontrolliert. Schließlich haben weder meine Frau noch ich Bock, ihn nachts auf irgendeiner Wache abzuholen, weil seine Personalien nicht festgestellt werden konnten.
Es ist für mich noch gewöhnungsbedürftig, dass der Sohn jetzt in einem Alter ist, wo er weggeht. Ich kann mich kaum auf unsere Serie konzentrieren, weil ich mir vorstelle, wie er jetzt draußen rumläuft. Abends, wenn es schon dunkel ist. Außerdem frage ich mich, ob wir aufbleiben müssen, bis er wohlbehalten zurück ist.
Aus Kinderperspektive ist das nicht so toll, sondern eher nervig, wenn du nach Hause kommst und die Eltern noch wach sind und dich ausfragen, wie es war. Aus Elternperspektive ist es aber auch nicht so prickelnd. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal bis 1 Uhr wach war. Wir sind ja auch keine 20 mehr, als du um eins erst losgegangen bist. Und andererseits sind wir noch keine 80, wo du mit sehr wenig Schlaf auskommst.
Der Sohn hat ein Einsehen mit uns und ist schon um 23 Uhr zurück. Er kündigt an, morgen würde er wieder weggehen. Also, nur wenn wir nichts dagegen hätten, fügt er noch pro forma hinzu.
O2. Oktober 2021, Berlin
Als ich meine Brille absetze und auf der Küchenanrichte ablege, bricht sie am Steg auseinander. Nun habe ich quasi zwei Monokel, aber keine Brille mehr. Danke, 2021, vielen Dank!
Gut, die Brille ist mehr als 10 Jahre alt und hat mir immer gute Dienste geleistet, da kann sie irgendwann auch mal kaputt gehen. Andererseits erfordert die zerbrochene Brille eine Spontanität, auf die ich nicht vorbereitet war. Zum einen muss ich heute noch zum Optiker gehen und mich um einen Ersatz kümmern, denn meine Back-up-Brille ist ein circa 20 Jahre altes Gestell, bei dem die Gläserstärke nicht mehr so ganz zu meiner Weitsichtigkeit passt. Das wird mir schmerzlich vor Augen geführt, als ich maulwurfsgleich versuche, am Handy die Öffnungszeiten des Optikers zu entziffern. Zum anderen muss ich nun doch eine Jeans anziehen, dabei sah meine eigentliche Tagesplanung heute vor, gemütlich in Jogginghose zu entspannen. Danke, 2021, vielen Dank!
Wenigstens hat der Optiker gute Nachrichten für mich: Die Brille kann repariert werden. Ich bin sehr erleichtert. Wenn es mich schon latent überfordert, eine Jeans anzuziehen, obwohl ich geplant hatte, eine Jogginghose zu tragen, wie hätte ich mich da für ein Brillenmodell entscheiden sollen, das mich mindestens für die nächsten zehn Jahre begleitet?
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Auf dem Heimweg gehe ich noch schnell zu meinem arabischen Frisör. (Wenn schon spontan, dann richtig.) Ich habe mir das letzte Mal kurz vor dem Urlaub, also vor knapp zweieinhalb Monaten, die Haare schneiden lassen und nun sieht es bei mir obenrum etwas zottelig aus. Aber nicht gewollt hipster-stylish zottelig, sondern eher nach Moschusochse-mit-einer-nicht-behandelbaren-Fell-Krankheit zottelig.
Vor mir ist noch ein anderer Kunde dran. Als er fertig ist, fragt er den arabischen Frisör nach Haar wuchs. Der Mann zeigt auf eine rote Dose und fragt: „Was ist das für ein Wachs?“
Der arabische Frisör zuckt mit den Schultern. „Rotes.“
„Und das?“ Der Mann deutet auf einen schwarzen Tiegel.
„Schwarzes.“
„Und das?“, fragt der Mann und zeigt nun auf einen grauen Behälter.
„Graues.“
Ich denke, niemand kann meinem arabischen Frisör eine unlautere Verkaufstechnik vorwerfen, mit der er den Kunden mit überzogenen Versprechungen zum Erwerb von Haar-Styling-Produkten überreden will. Der Mann kauft trotzdem vier Dosen. (Zwei schwarze und zwei rote, falls es Sie interessiert.)
03. Oktober 2021, Berlin
Heute ist Tag der deutschen Einheit. Dass er dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, trübt die Freude über den Feiertag allerdings ein wenig.
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Normalerweise bin ich kein Mensch, der sich leicht erheitern lässt. Zumindest nicht so, dass ich laut und anhaltend lache. Dieses Video eines Mannes, der versucht, Gnocchi zu frittieren, hat es aber geschafft.
Anscheinend ist mein Humor doch weniger anspruchsvoll und intelligent, als ich mir immer glauben machen will.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Aber was für eine unterhaltsame Wochenschau. Danke, 2021!