Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
25. September 2023, Berlin
A. und ich gehen morgens zusammen zum Bäcker, um Brötchen fürs Frühstück zu holen. Unsere Beine sind etwas schwer, aber wir sind guter Stimmung. Gestern war Berlin Marathon. Nach unserem Kölner Laufdebakel wollten wir ohne Zeitdruck, einfach mit einem guten Gefühl laufen und den Lauf genießen. Um hier keine künstliche Spannung aufzubauen: Es hat funktioniert.
Das Wetter war gut, die Temperaturen nicht zu warm und nicht zu kalt und die Stimmung an der Strecke war phantastisch. An jeder Stelle standen Zuschauer*innen und feuerten die Läufer*innen an, was sehr motivierend ist und gute Laune macht. Ich finde es bewundernswert, wie viele Menschen ihren halben Sonntag damit verbringen, nicht nur den Weltklasseathletinnen zuzujubeln, sondern auch irgendwelchen Wildfremden, die durch Berlin flitzen. Oder kriechen. Dazu kommen noch Hunderte oder Tausende von Freiwilligen, die beim Einlass, bei den Getränkestationen, als Streckenposten, an der Kleiderabgabe oder im Zielbereich helfen und den Marathon überhaupt erst möglich machen.
Den ersten Höhepunkt hatte ich ungefähr bei Kilometer 4. Dort entdeckte ich meinen alten Kollegen F. mit seiner Familie. Beziehungsweise er mich. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich habe seine Kinder abgeklatscht. Also, an den Händen, nicht im Gesicht. (Diesbezüglich bin ich mir sehr sicher.)
Ein weiterer Höhepunkt waren die vielen Mexikaner*innen im Teilnehmer*innenfeld. Gefühlt war halb Mexiko in Berlin unterwegs. Entweder auf der Strecke oder am Straßenrand, um die Landsleute frenetisch anzufeuern. Das nächste Mal ziehe ich mir ein Mexiko-Trikot an, dann bekomme ich 42 Kilometer non-stop Support.
Ebenfalls ein Highlight sind die unzähligen Bands und Musikgruppen, die überall Stimmung machten. Von Rock über Jazz bis zu Samba war alles vertreten. Und noch viel mehr. Bei Kilometer 22 spielte beispielsweise eine Alphorn-Gruppe. Ich hätte gerne gesehen, wie die Alphornist*innen ihre Instrumente in der U-Bahn transportieren. Alphorn-Musik ist rhythmisch vielleicht nicht ganz ideal fürs Laufen, sorgt aber wenigstens dafür, dass du dich tempomäßig nicht übernimmst.
Am Kudamm stand wiederum ein Spielmannszug, der Militärmärsche zum Besten gab. Die teilweise recht jungen Musiker*innen trugen dabei preußische Uniformen und Pickelhauben. Was bei mir die Frage aufwarf, Armeekleidung aus dem 19. Jahrhundert anzuziehen, sich Helme aufzusetzen und dann zu musizieren. Um ehrlich zu sein, finde ich das bei Menschen jedweden Alters leicht befremdlich. Dennoch muss ich gegen meine Überzeugung eingestehen, dass Militärmärsche, was Tempo und Rhythmus angeht, nicht die schlechtesten Laufbegleiter sind. (Und sei es nur, weil du schnellstmöglich Reißaus nehmen willst.)
Trotz meiner Vorbehalte gegen diese Aufmachung und die historischen Hintergründe der Musik angeht, muss ich allerdings eingestehen, dass Märsche, was Tempo und Rhythmus angeht, ein guter Laufbegleiter sind.
Beim Wilden Eber, ungefähr bei Kilometer 28, warteten S. und S. auf uns, ein befreundetes Paar von A. S. lief so lange neben uns her, dass ich zwischenzeitlich dachte, er begleitet uns bis ins Ziel. Dabei feuerte er uns so enthusiastisch an, dass dagegen Jürgen „Tschakka!!!“ Höller wie ein demotivierender Stimmungskiller wirkt.
In der Nähe des Potsdamer Platzes hielt jemand ein selbstgebasteltes Schild in die Höhe. „Ihr seid alle Weltklasse!!!“ Bei aller Wertschätzung, die in dieser Botschaft steckt, ist sie vielleicht doch etwas hoch gegriffen. Objektiv betrachtet laufen wir nicht ganz in einer Liga mit Eliud Kipchoge, der den Marathon in 2:02:42 gewann. Während wir uns bei Kilometer 38 abmühten, regenerierte er wahrscheinlich schon seit drei Stunden in seinem Hotelzimmer.
Was wir aber vielleicht mit dem kenianischen Weltrekordler gemeinsam hatten, war das Glücksgefühl, das wir verspürten, als wir auf Unter den Linden einbogen und nur noch einen Kilometer vor uns hatten. Dort säumten links und rechts tausende von Menschen die Strecke, riefen unsere Namen, klatschten mit uns ab und jubelten, als würden wir gerade um eine olympische Medaille rennen.
Das fühlte sich wahnsinnig gut an und meine Glückshormondrüsen arbeiteten auf Übersoll-Produktion. Keine Ahnung, warum mich das so übermäßig euphorisierte. Meine Kollegin C. mutmaßte, dass es bei mir anscheinend ein Bedürfnis gibt, gesehen zu werden. Möglicherweise bin ich doch nicht der bescheidene Mensch, der gerne im Hintergrund steht, für den ich mich immer halte.
Nach vier Stunden, fünfzehn Minuten und dreißig Sekunden erreichten A. und ich das Ziel. An der Verpflegungsstation bei Kilometer 34 musste A. Wasser holen und ich lassen, was uns circa eine Minute gekostet hat. Sonst hätten wir es sogar unter 4:15 geschafft. Aber das ist egal. Wir wollten Spaß bei dem Lauf haben, und den hatten wir definitiv.
Das ist auch auf den Fotos unseres Zieleinlauf zu sehen, die A. erworben hat. Es ist das erste Mal, dass ich auf den Bildern einer Laufveranstaltung nicht aussehe, als sei ich gerade gegen einen Bus gelaufen.
Meine Frau war von den Fotos ebenfalls sehr angetan, wie sie mir auf WhatsApp bestätigte.
Da sie uns dankenswerterweise während des Laufs Flaschen angereicht hat, sei ihr diese Bemerkung gestattet.
26. September 2023, Berlin
Meine Frau hat heute Home Office gemacht. Um kurz vor sechs frage ich sie, ob sie mit zu dm gehen will. Schon in dem Moment, in dem die Frage meinen Mund verlässt, weiß ich, dass das ein Fehler war. Nicht, weil ich keine Zeit mit meiner Frau verbringen möchte, sondern weil wir ein sehr unterschiedliches Einkaufsverhalten haben. Ich würde es sogar als fast inkompatibel bezeichnen.
In der Regel erledige ich bei uns die Einkäufe. Immer mit Einkaufsliste, festen Routen in den Läden, nach denen ich die Regale ablaufe, und alle vermeintlichen Angebote ignorierend, die mich in den Kauf von Dingen, die ich nicht benötige, manipulieren wollen. Mein Einkauf ist auf Effizienz, Schnelligkeit und Sparsamkeit getrimmt.
Meine Frau ist da anders. Sie schlendert gerne durch Supermärkte und Drogerien, schaut mal hier, mal dort und lässt sich von dem, „was so da ist“ inspirieren. Daher neigt sie zu Spontankäufen, was mir alter Krämerseele ein Graus ist.
Ich gehe zügig durch den dm und lege mit fokussiertem Tunnelblick die Produkte auf der Einkaufsliste in unserem Wagen lege, meine Frau spaziert gemächlich durch die Gänge. Vor dem Regal mit den Gesichtsmasken hält sie inne und studiert die Auslage. Dabei stehen Gesichtsmasken überhaupt nicht auf unserer Liste! Mit einem freundlichen, aber bestimmten „Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.“, versuche ich sie von dem Regal wegzulotsen.
Nachdem ich die Einkaufsliste abgearbeitet habe, sammle ich meine Frau bei den Body Lotions ein. Sie inspiziert gerade eine Flasche mit 5 % Urca und regenerierendem Panthenol. (Gibt es diese Worte eigentlich wirklich oder wurden die in den Marketingabteilungen von Kosmetikkonzernen erfunden?)
An der Kasse bezahle ich unsere Einkäufe, meine Frau räumt sie in den Rucksack. Ich habe beim Einräumen ein sehr bewährtes System. Hinten die schweren, flachen Sachen, damit nichts gegen den Rücken drückt, vorne unförmige, kantige Produkte und obendrauf der Kleinkram.
Meine Frau macht das anders. Anders heißt ja nicht zwangsläufig schlechter. Manchmal aber schon. Das Einräumen meiner Frau würde ich als intuitiv bezeichnen. Fast schon als willkürlich. Zum Beispiel liegt die Einkaufstasche, die ich immer dabeihabe, falls der Rucksack nicht ausreicht, nicht ordentlich gefaltet im Laptop-Fach, sondern zusammengeknüllt am Boden, und die Einkäufe liegen darauf.
Das ist selbstverständlich keine Katastrophe globalen Ausmaßes, da muss man sich nicht drüber aufregen. Das wäre geradezu albern. Schließlich ist das ein freies Land und jede*r kann seine Einkäufe einräumen, wie er oder sie will. (Leider.)
Dennoch entfährt mir beim Anblick des Chaos im Rucksack ein tiefer Seufzer der Resignation und Niedergeschlagenheit. Wie ein Vater, der nicht sauer auf sein Kind ist, sondern sehr, sehr enttäuscht. Ich glaube, das nächste Mal gehe ich wieder allein einkaufen.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)