20. Oktober 2023, Berlin/Hamburg
Meine Frau, der Sohn und ich fahren nachmittags nach Hamburg. Zu unserem jährlichen Geschwistertreffen mit den Brüdern meiner Frau plus Partner*innen und Kindern. Ich habe Karten für den FlixBus gekauft.
Eigentlich bin ich kein großer Fan von Fernbusreisen und fahre lieber Bahn. Das hätte uns trotz Bahncard 50 aber 200 Euro gekostet, die Bus-Tickets gibt es dagegen für knapp 100 Euro. Da ich auch kein großer Fan von zu viel Geld ausgeben bin, nehme ich in Kauf, mich für dreieinhalb Stunden in einen engen Sitz zu quetschen und keinerlei Bewegungsfreiheit zu haben.
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Im Eingangsbereich des ZOB steht eine Gruppe von circa zehn jungen Männern. Sie pfeifen sich gerade ein paar Energy Drinks rein und sind etwas laut. Und etwas prollig. Ich hoffe, sie fahren nicht nach Hamburg.
Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. In meinem Fall allerdings zu vorletzt, denn zuletzt steigen die Männer in unseren Bus ein. Wir und die anderen Fahrgäste sind mäßig begeistert.
Pünktlich um 15.30 Uhr geht es los. Es geht zügig durch die Straßen Berlins. Kein Feierabendverkehr und kein Ferienbeginn-Stau halten uns auf. Vielleicht ist Fernbus-Reisen doch nicht so schlimm.
Ein Urteil, das ich knapp zehn Minuten später revidiere. Da kippt ein Fahrgast aus seinem Sitz. Weil direkt daneben die Treppe ist, fällt er diese runter und schlägt sich die Stirn auf. Der Mann gehört nicht zu der Junge-Männer-Truppe. Diese kümmert sich geradezu rührend um ihn. Einer von ihnen hilft ihm auf, ein anderer verarztet ihn mit Pflastern.
Der Bus bleibt erstmal stehen. Aus uns unbekannten Gründen hat der Fahrer die Polizei gerufen. Vielleicht wegen der Versicherung. Gut 20 Minuten später, erscheinen fünf Polizist*innen. Eine etwas überdimensionierte Personalstärke, wie ich finde, aber sie sind alle freundlich, reden kurz mit dem Mann und dann darf er wieder einsteigen.
Endlich geht die Fahrt weiter. Für fünf Minuten. Der Mann steht oben im Gang, macht sich ein Bier auf und will sich nicht hinsetzen. Die jungen Männer erklären ihm freundlich, das ginge nicht, sonst würde er wieder stürzen. Er ist uneinsichtig, die Diskussion wird hitziger, Bier schwappt über ein 12-jähriges Mädchen, es kommt zu einer Rangelei.
Der Busfahrer hält an und der renitente Fahrgast wird aufgefordert, den Bus zu verlassen. Er weigert sich, wird laut und handgreiflich. Mit Einverständnis des Fahrers setzten die jungen Männer ihn vor die Tür.
Er versucht jedoch immer wieder einzusteigen, bis es dem Busfahrer zu bunt wird. Der ist circa 1,95 groß und 150 Kilo schwer. Er packt den Mann am Kragen, schüttelt ihn durch und schubst ihn weg. Es dauert dann immer noch rund zehn Minuten, bis sich der Typ verzieht.
Wir sitzen seit rund einer Stunde im Bus und haben rund drei Kilometer zurückgelegt. Die Fahrt wird fortgesetzt. Für drei Minuten. Dann stehen wir im Stau. Ob wegen einer Baustelle, einer Klebeaktion der Letzten Generation oder weil der Feierabend- und Ferienbeginn-Verkehr doch noch zugeschlagen, ist unklar. Auf jeden Fall geht es nur im Stopp-and-Go-Schneckentempo voran. Wir brauchen so lange, bis wir die Stadtgrenze von Berlin überqueren und auf die Autobahn gelangen, dass ich befürchte, der Busfahrer hat gleich seine erlaubte Maximalfahrzeit erreicht und muss erstmal seine gesetzlich vorgeschriebene Pause einlegen.
Den Rest der Fahrt passiert glücklicherweise nichts mehr. Wir kommen kurz vor 21 Uhr am ZOB in Hamburg an.
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Die Tochter hatte ebenfalls eine ereignisreiche Anreise. Sie flog mit ihren beiden Onkeln von Frankfurt nach Hamburg. Der Flug war ganz okay, aber der Landeanflug ziemlich wackelig. Wegen des Sturmtiefs Wolfgang. Der Pilot meinte später, die Windstärke sei an der Grenze dessen gewesen, was gesetzlich noch erlaubt ist, um überhaupt zu landen. Da möchte ich mir nicht vorstellen, wie unruhig die Landung war. Möglicherweise hatten wir es mit unserem randalierenden Fahrgast gar nicht so schlecht erwischt.
21. Oktober 2023, Hamburg
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, heute Morgen im Stadtpark laufen zu gehen. Die Worte Sekt, Weißwein und Aperol Spritz sollten ausreichen, um zu verstehen, warum ich mein Vorhaben nicht in die Tat umsetze.
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Nachdem wir uns aufgrund des schlechte Wetters – in Hamburg auch bekannt unter der Bezeichnung Wetter – den ganzen Tag in der Wohnung aufgehalten haben, gehen wir abends kegeln. Für die U20-Fraktion der Familie eine Premiere.
Anscheinend auch für C., den 35-jährigen Mann meines Schwagers. Also mein Schwippschwager, um hier mal ein Wort einzubringen, das sich anhört, als hätte Didi Hallervorden es erfunden. (Was eigentlich ein Grund ist, es nicht zu verwenden.)
C. schrieb vor ein paar Tagen in unsere WhatsApp-Gruppe „Die krummbucklige Sippe“, er hätte ein Kegel-Video angeschaut und das sähe viel schwieriger als Bowling aus. Dann fragte er, ob wir das schon mal gemacht hätten. Ich antwortete, wir hätten früher auf Kindergeburtstagen häufig gekegelt. Seine Antwort: „Das ist ja recht lang her…“ Keine Ahnung, was er damit meint.
Es war in meiner Kindheit tatsächlich eine sozial akzeptierte Kindergeburtstag-Aktivität, mit einer Gruppe von Grundschüler*innen in die Kneipe zu gehen und im Keller zu kegeln. Dabei tranken wir Limo – selbstverständlich mit Zucker und Inhaltsstoffen, die heute als gesundheitsgefährdend verboten sind – und die Eltern des Geburtstagskindes genehmigten sich das ein oder andere Bierchen.
Wenn der Wirt eine neue Runde Getränke brachte, wehte aus dem Schankraum immer eine Wolke Zigarettenqualm nach unten. Als Höhepunkt der Feierlichkeiten gab es zum Abendessen meistens Schnitzel mit fettigen, salzigen Pommes. Wahrscheinlich hat uns das alles nicht nachhaltig geschadet, aber ich denke, es gibt trotzdem gute Gründe, warum Kindergeburtstage heutzutage anders gefeiert werden.
Um meiner Chronistenpflicht zu genügen, sei festgehalten, dass im Duell „Jung“ gegen „Alt“ die Kegel-Novizen gewinnen. Der Sohn wirft insgesamt viermal alle Neune, was ich persönlich nicht so erwähnenswert finde, aber er legt Wert darauf, dass dies hier verkündet und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird.
22. Oktober 2023, Hamburg/Berlin
Rückfahrt nach Berlin. Heute nicht mit dem FlixBus, sondern seinem Bruder, dem FlixTrain. Die Reise fällt ereignislos aus. Keine Betrunkenen, keine Rangeleien, keine Verspätungen. Aber nur bis Paulinenaue. Eine brandenburgische Gemeinde, die sich anhört wie eine bayerische Biermarke und rund 50 Kilometer nordwestlich von Berlin liegt.
Dort kommt der Zug außerplanmäßig zum Stehen. Der Schaffner erklärt, sie hätten etwas entdeckt und das müssten sie nun überprüfen. Klingt nicht besonders vertrauenswürdig. Rund 30 Minuten später die nächste Durchsage. Es liege tatsächlich ein technischer Defekt vor, aber wir könnten unsere Fahrt erstmal bis Nauen fortsetzen. Allerdings mit maximal 160 km/h. Auch das klingt nur mittelmäßig vertrauenswürdig.
In Nauen wird vorgeschlagen, auf Züge der Deutschen Bahn umzusteigen, da ungewiss sei, wann die Fahrt fortgesetzt werden kann. Wir nehmen den nächsten Zug Richtung Berlin. Der steht fünfzehn Minuten einfach rum, in der Ferne sehen wir, wie der FlixTrain wieder losfährt.
Kurz nach vier sind wir zuhause. Circa 75 Minuten später als geplant. Vielleicht gehen wir das nächste Mal einfach zu Fuß.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
…..darum fahre ich Auto.
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nicht weil man da nicht auch mal im Stau steht und später ankommt, sondern weil man es da wesentlich bequemer hat und keine nervige Mitfahrer stören.
Gruß
Andi
… wobei man für den Preis eines Autos sicherlich etliche Jahre zu Besuch mit dem Taxi fahren könnte, und dabei noch die Übernachtungen in den Hotels inbegriffen wären.