Eine kleine Wochenschau | KW43-2023 (Teil 2)

Teil 1


26. Oktober 2023, Berlin

Der Sohn räumt sein Zimmer auf. Freiwillig und ohne Aufforderung. Sogar mit Saugen und Müll unterbringen. Was ist da los? Hat er ein Date? Eine naheliegende Vermutung, aber das ist es nicht.

Vielleicht will er etwas von uns. Einen nicht rückzahlbaren Taschengeldvorschuss oder so. Aber warum sollten wir ihm Geld dafür geben, dass er bei sich aufräumt? Ist ja sein Zimmer. Würde er das Bad und die Küche putzen, wäre das etwas anderes.

Das ist selbstverständlich nur ein Spaß. Taschengeld ist bei uns an keine Bedingungen geknüpft und die Kinder werden für Haushaltstätigkeiten nicht entlohnt. Jede*r muss seinen Teil übernehmen, um unsere familiäre Wohngemeinschaft einigermaßen am Laufen zu halten. Ich werde schließlich auch nicht dafür bezahlt, dass ich mehrmals die Woche einkaufen gehe. Was eigentlich schade ist. Von dem Geld könnte ich die Einkäufe bezahlen.

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Ich stoße im Internet auf einen Artikel, der erklärt, wie ein Geschirrspüler eingeräumt werden sollte. Oben Gläser, Becher und kleine Schalen, unten Teller und Töpfe, alles nicht zu eng beieinander, damit überall Wasser hinkommt, und Messer im Besteckkasten immer mit dem Griff nach oben einsortieren, damit du beim Ausräumen nicht in die Klinge packst. Es gibt sogar ein Video und eine interaktive Grafik dazu. Während ich das lese, frage ich mich, wie lebensuntüchtig du sein musst, dass du einen Artikel brauchst, der dir erklärt, wie du eine Spülmaschine bestücken musst.

Nachmittags öffne ich unseren Geschirrspüler, den der Sohn größtenteils eingeräumt hat. Vielleicht sollte ich ihm mal das Video schicken.

27. Oktober 2023, Berlin

Wir sind mit S. und R. verabredet, den Eltern eines Schulfreundes des Sohns. Wir haben die beiden zu uns zum Abendessen und Gin Tasting eingeladen. Das klingt so schrecklich erwachsen. (Und leicht elitär.). „Zum Abendessen und Gin Tasting einladen.“

Gut, meine Frau und ich sind 48, S. und R. noch etwas älter. Da ist es schon angemessen, Erwachsenendinge zu machen. Es wäre doch befremdlich, wenn unsere Eltern ein Playdate für uns ausgemacht hätten, damit wir uns zum Playmobil oder Lego spielen treffen können.

Meine Frau hat gestern Abend einen riesigen Topf Chili gekocht. Heute Vormittag ruft S. an. R. ist krank geworden und sie müssen absagen. Das ist sehr schade. Dafür müssen wir uns aber in den nächsten drei Tagen keine Gedanken über unser Abendessen machen.

Das ist auch schrecklich erwachsen: Sich darüber freuen, dass du dir keine Gedanken übers Abendessen machen musst.

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Letzte Woche habe ich mir bei Tchibo lange Laufshirts bestellt, um für die kühlere Jahreszeit gewappnet zu sein. Heute muss ich das Paket bei der Post abholen. Das ist nervig, denn ich war zuhause, als der DHL- Fahrer angeblich versucht hat, das Päckchen zuzustellen.

Noch nerviger ist, dass er die Lieferung in eine Postfiliale in der Otto-Suhr-Allee gebracht hat. Das ist circa drei Kilometer entfernt von uns. Dabei gibt es in unserer Gegend in einem Umkreis von 500 Metern 138 Paketannahmestellen – konservativ geschätzt –, die ich bequem fußläufig innerhalb von fünf Minuten erreichen könnte.

Einen Zettel hatte ich auch nicht im Briefkasten, sondern ich bekam eine Mail, die mich auf die Sendungsverfolgungs-Website verwies. Dort musste ich mit einiger Mühe und einigen Klicks herausfinden, wo ich mein Paket abzuholen habe.

Leicht missmutig radle ich bei leichtem Nieselregen – natürlich – zur Otto-Suhr-Allee. Als ich bei der angegebenen Adresse ankomme, sehe ich, dass es sich um einen dieser Hybrid-Läden handelt. Eine Mischung aus voll ausgestatteter und gebrandeter Postfiliale und Kiosk, in dem du Zeitschriften, Süßigkeiten, Zigaretten, Vape-Zubehör, hochprozentige Alkoholika und als saisonales Angebot gruselige Halloween-Masken kaufen kannst.

Ich gehe zum Schalter und erkläre dem Post-Mitarbeiter/Kiosk-Betreiber, ein Paket von mir lagere hier, ich hätte aber keinen Abholschein, sondern nur eine Mail. Diese halte ich ihm vors Gesicht und fuchtle gleichzeitig mit meinem Ausweis rum, damit er sieht, dass ich ich bin und mir das Paket nicht unrechtmäßig aneignen will.

Der Mann tippt etwas in ein Handheld, schaut, scrollt, schaut, scrollt, tippt nochmal, scrollt, schaut. Dann schüttelt er den Kopf. „Hier ist nichts.“ Ich schlage vor, er könne vielleicht trotzdem mal im Lager schauen, ob das Paket eventuell doch da ist.

Er ignoriert meinen Vorschlag erstmal und tippt meine Sendungsnummer in den Computer ein. Dann studiert er das Kleingedruckte auf dem Monitor. Schließlich sagt er, dort stünde, die Sendung würde zur Filiale geliefert, aber nicht, dass sie dort angekommen sei. Ich gebe zu bedenken, dass sei fast eine Woche her und ich könne mir nicht vorstellen, dass der DHL-Fahrer seit Tagen durch Berlin irrt, weil er die Filiale nicht findet.

Ich weiß nicht, ob den Mann das überzeugt, aber er erklärt sich zumindest bereit, doch mal im Hinterzimmer nach meinem Paket zu suchen. Nach weniger als einer Minute kommt er mit einem Tchibo-Karton zurück. Er gleicht die Empfängeradresse mit meinem Perso ab. Dann schaut er genervt in sein Handheld.

Er müsse jeden Tag zwei Stunden länger bleiben, um die Pakete alle einzuscannen und dann würde das Scheißding sie nicht registrieren, schimpft er. Das sei ja doof, erwidere ich, weil mir nichts Besseres einfällt.

„Zwei Stunden, jeden Abend“, wiederholt er. „Für nichts.“ Außerdem brauche er mehr als 40 Minuten bis nach Hause. Ich bin kurz davor, mich bei ihm für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die ich ihm bereitet habe.

Nachdem ich die drei Kilometer zurückgeradelt bin, stelle ich beim Anprobieren fest, dass mir die Shirts zu groß sind. Ich muss sie alle zurückschicken. Schönen dank auch.

28. Oktober 2023, Berlin

Der Sohn, meine Frau und ich gehen brunchen. In die Markthalle, eine Querstraße weiter. Von 10 bis 14 Uhr. Wir essen Waffeln, Schnitzel Wiener Art, Laugenbrötchen, Weizenbrötchen, Vollkornbrot, Croissant, Kirschmarmelade, Nutella, diverse Käsesorten, etwas Obst, veganes Schnitzel, Pulled Pork Burger, Süßkartoffelpommes, Chicken Wings, Pokebowls mit Lachs, Lasagne, Käsekuchen, Mohnkuchen, Rhabarberkuchen, Tiramisu, Schoko Mousse, Crème Brûlée und noch mal Waffeln.

Dazu trinken wir Kaffee und O-Saft sowie einige Gläser Prosecco, die der zuvorkommende Prosecco-Butler immer wieder auffüllt. Was für ein toller Job. Quasi ein sozialer Beruf, denn er kümmert sich ja um Menschen und ihre Bedürfnisse.

Auf dem Hinweg hatte meine Frau gesagt: „Ich habe extra die weite Hose mit dem elastischen Bund angezogen.“ Schön, wenn du mit Profis zusammenarbeitest.

29. Oktober 2023, Berlin

Ich habe seit dem Aufstehen einen Ohrwurm. „Secret Love“ von den Bee Gees. Keine Ahnung warum. Was will mir mein Unterbewusstsein damit sagen? Warum Bee Gees, warum „Secret Love“? Fällt das schon unter Midlife-Crisis?


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Ein Kommentar zu “Eine kleine Wochenschau | KW43-2023 (Teil 2)

  1. 😂🤣 – gerade vor ein paar Tagen sprachen wir mit “dem (unseren) Sohn” über den früher regelmäßig anfallenden Kauf eines unsinnig großen Stapels mäßig gelungener Porträts vom Schulfotografen zum Wucherpreis !!
    …danke wieder für erheiternden Wochenstart ! 😄

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